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Sehr guter Artikel im Hamburger Abendblatt: Dagobert fühlt so echt wie Rio Reiser
[…] Seine Songs heißen „Bild“, „Ich bin verstrahlt“ oder „Ich mag deine Freunde nicht“. Das Spannende an ihnen ist ihre totale Umarmung der romantischen Liebe, wie sie auch Joseph von Eichendorff nicht energischer hingekriegt hätte, und zugleich die listig-entspannte Distanz zum eigenen, liebenden Ich. In „Bild“ heißt es zum Beispiel: „Doch bis dahin leb‘ ich weiterhin im Spannungsfeld, / das sich zwischen Bild und Wirklichkeit aufrechterhält.“ So was ist Heino noch nie eingefallen.
Das Lied „Ich bin zu jung“, ein Go-West-artiges Stampferchen, das Berliner Radios begeistert rauf und runter spielen, könnte auch der höhnische Abschiedsbrief eines bindungsunwilligen Stenzes sein: „Ich bin zu jung für alle deine Pläne, viel zu jung.“ In Wirklichkeit beklagt das lyrische Ich verblüffend unzeitgemäß die eigene Jugend, die der reiferen Frau nicht genügt. Da kann es noch so sehr beschwören: „Ungestüme Jugendtage lass‘ ich bald schon hinter mir.“ Gegen Ende des Albums schmachtet Dagobert zu Glockenklang und La-la-la-Chören: „Du bist viel zu schön, um auszusterben. Lass neue Kinder deine Schönheit erben.“
Wie man sieht, ist Dagobert vollkommen furchtlos. Er stürzt sich ins Gefühl wie in die Flut von Reimen, denen man unrecht täte, würde man schlicht mit schlecht verwechseln: „Ich will mit dir ans Meer. / Und dich will ich noch mehr.“ Der Song „Raumpilot“ steht den größten Klassikern deutscher Liedermacherkunst weder musikalisch noch textlich nach. Er ist das wahre Meisterwerk des Albums: „Heute bin ich Raumpilot. / Ich sterbe hier und bin dann tot. / Und morgen bin ich nur noch dieses Lied.“ Dagobert fühlt so echt wie Rio Reiser, nur ist er nicht so wütend.
Noch bemerkenswerter als seine Musik ist allerdings die Möglichkeit von Freiheit, die er, wenn er sie auch nicht erreicht hat, so doch nie aus den Augen lässt. Dagobert sitzt ruhig auf dem Stuhl vor dem Café in der Ackerstraße, in dessen Hinterzimmer er anderthalb Jahre übernachtet hat. Es ist spät geworden. Dagobert macht keine Anstalten zu gehen. Er wirkt sehr überzeugend wie jemand, der nirgendwo hin muss, aus dem einfachen Grund, dass er das Konzept des Müssens aus seinem Leben verbannt hat. Die Bewohner der Ackerstraße eilen von der Arbeit nach Hause, gehen einkaufen oder schieben Kinderwagen durch die Gegend. Wenn sie Dagobert sehen, winken sie ihm zu und lächeln.
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