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Die Überwältigungstaktik, sofern es denn eine ist, liegt wohl tatsächlich darin begründet, dass Dagoberts Kunst nie ganz durchblicken lässt, ob er den deutschen Singsang zur Persiflage stilisiert oder das alles tatsächlich, ohne überhaupt irgendeinen Boden, ganz tief empfindet. Ein echter Raumpilot sozusagen, schwerelos im Nichts.
Mich fasziniert das Album jedenfalls enorm: Es hat einen angenehm einlullenden, milchtrüben Schlummerklang, auch wenn es immer wieder mal Kirmesorgel, Gong und Girchturmglocken aus den Schatten zaubert. Es wirkt unpathetisch, obwohl es einige der abgedroschensten Phrasen verwendet, die die Welt der Songlyrics zu bieten hat. Und es liegt nicht nur an der Intonation, am musikalischen Umschlag, an der Art, wie Dagobert singt, schluchzelt und wehklagt, dass es nie im Schmand versinkt, sondern vielmehr daran, dass die Phrase nie ganz zu Ende geführt wird, ein Wort eben doch anders, unerwartet, charmant direkt, fast dreist rührend ist, vorführt, auf wieviele Arten man das ein und selbe Thema behandeln kann, ohne damit zu langweilen. „Dagobert“ ist ein Lobgesang auf die Zärtlichkeit in dieser Welt, auf die großen Gesten und den Kitsch, der aber erst ab dem Moment des Vergleichs überhaupt existent wird.
Man beachte nur „In unserem Garten“. Der Song breitet aus, was einem Denkmal gebührt. Kehlkopfartige Gesänge, die die ersten Sekunden aus dem Schlaf treiben (mich erinnert das an die wunderbare „Submarine“ Aufnahme von Björks „Medúlla“) und die Türchen zum verwunschenen Garten aufstoßen. Das hat alles etwas sehr Schemenhaftes, wirkt bedrückend und beengend, Dagobert lässt Glockenspiele vor ganz leise auf- und abschwellenden Streicherfetzen harmonieren – gleichermaßen fühlt sich dieses Ambiente aber nach meinem Gefühlsverständnis an wie der Moment, an dem ich zum ersten Mal Nicos „The falconer“ lauschte. Oder Hirschs „Dorftrottel“. Oder Falcos „Jeanny“. Oder Alexandras „Illusionen“. Unvergesslich: „Illusionen, schweben Sommerblau[…]Dieses Wolkenbild, Deine Phantasie/Erfüllt sich nie“ – hach, zum Sterben!. „In unserem Garten“ zieht Dagobert allerdings die Zeit mit der Spieluhr auf, sinniert über die Welt, wie sie ist, wie sie sein wird, wenn einmal die Kinder hier sein werden. Und wie sie träumen werden, von „Pistolen und schneeweisen Fohlen“. Dieses Bild ist hier aber weit mehr als bloße, stark verquaste Seifenblasenpusterei – es geht um das „sich weitergeben“, um das sich wiederfinden in anderen, etwas Existenzielles, das bleibt und für immer weiterlebt. Dagobert bricht diese Szene in vielerlei Hinsicht: Der Meine-Vergleich, die verstörrend impulsive Gitarreneinlage; und dann ein Satz, der mehr Verwirrung stiftet, als ein halbes Tocotronic Werk. „Bitte, bitte, lass mich doch einfach zu Dir rein“ – nur wo ist zu Dir?
Das ganze Album ist in dieser Art: Ein wenig verrückt, verstörend real, immer nachempfindbar. Man denke nur an die abschließenden Momente, wie aus dem ganz großen Schmachtpalast die endgültige Zeile herausbricht: „Ich will ein Kind von Dir. Du bist viel zu schön, um auszusterben!“. Und dann: Trompeten, Keyboardwände, Flutlicht, lalala-Background Feedbacks, Kirchturmglocken, bunte Schleifen und Tüll, die ganz große Inszenierung, so dramatisch und entwaffnend ehrlich, dass man mit einem Auge funkelt und das andere mit dem Tuch trocknet. Wunderbar.
Wer hier von Schlager spricht, gehört mit dem Duden erschlagen.
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Hold on Magnolia to that great highway moon