Re: Savages – Silence Yourself

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ragged-glory

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spiegel.deSavages – „Silence Yourself“
(Matador/Beggars/Indigo, ab 3. Mai)

Manifeste scheinen ja wieder schwer in Mode zu kommen: Nachdem die schwedischen Avantgardisten The Knife zu ihrem umstürzlerischen Monumentalalbum „Shaking The Habitual“ eine agitierende Gebrauchsanweisung veröffentlichten, kommen nun Savages aus London mit ein paar Leitsätzen, die sie praktischerweise gleich vorne aufs Cover drucken: „If the world shut up even for a while/Perhaps we would start hearing the distant rhythm of an angry young tune – and recompose ourselves“, heißt es da.

Nun ist die Vier-Frauen-Band aus Nordwest-London nicht die erste, die das mediale Geplapper und Getwitter anprangert, weil es uns mit seinem Sturm der Stimulanzen ablenkt und damit verletzlich und offen für Infiltrationen macht. Für uns Verlorene im Datenreizstrom haben Savages eine programmatische Ansage parat: Maul halten und zuhören! Uns selbst natürlich in erster Linie, aber natürlich gerne auch ihrem Debütalbum, das folgerichtig mit dem Song „Shut up“ beginnt: „The world’s a dead sorry hole/And I’m cold, and I’m cold, and I’m stubborn“, ruft Sängerin Jenny Beth zornig, ihre Stimme ein zupackendes Heulen, das an Siouxsie Sioux und an Grace Slick erinnert, Heldinnen der weiblichen Selbstermächtigung im Pop.

An Selbstvertrauen mangelt es auch Savages nicht: „I am here/I won’t hide/I am shouldering you“, bietet Beth im zweiten Song „I Am Here“ breitschultrig an, dazu donnern strengkontrollierte Drums und Bassläufe zu wütenden Gitarrenriffs, als befänden wir uns plötzlich wieder in der großen Zeit der Agitprop-Wavebands: Wire und Gang of Four, Bauhaus und Joy Division – ein Sound, der so retro ist, dass er fast schon reaktionär wäre, wenn nicht aus jedem dieser nervösen, angespannten auf 39 Minuten komprimierten elf Songs eine rohe Energie hervorbrechen würde, der man sich nur schwer entziehen kann.

„City’s Full“, „Strife“, „She Will“, „No Face“ und das bereits im letzten Jahr als Single veröffentlichte „Husbands“ sind Testamente der Angst, der Selbstqual und der Entfremdung, Faustschläge gegen die bunte Wand der medialen Ignoranz und gegen das allgemeine Absterben, um endlich wieder etwas zu fühlen – und wenn es erstmal nur Schmerz ist. Sadomaso-Phantasien wie „Hit Me“, das Ehefrust-Drama „Husbands“, die Lesbenlust in „She Will“ oder die Mordballade „Marshall Dear“ sind auch feministische Pamphlete, doch der aufrüttelnde Anspruch von Savages ist nicht genderspezifisch gemeint: Wir alle, Männer wie Frauen, sind auf Facebook und haben dort unser Gesicht verloren.

Was bleibt, ist eine soziale und emotionale Wüste, so karg und leer wie das von tristen mechanischen Geräuschen durchdrungene Instrumental „Dead Nature“ in der Mitte des Albums. „The world used to be silent/ Now it has too many voices“, heißt es im Savages-Manifest. Dieser Klang einer neuen, wilden und selbstverständlich weiblichen Stimme des Aufbegehrens lässt sich jedoch nicht ausblenden. Gut so.

(9.0) Andreas Borcholte

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