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Ich bevorzuge es halt, einfach von „Jazz“ zu reden und die weiteren Etiketten im Gespräch anzuhängen, auf das Gegenüber einzugehen, dem ich eine Musikerin oder ein Album nahelegen will.
Matana Roberts gräbt tief in der Jazzgeschichte (aber auch Ornette ist tief im Blues in – ja! – in der Tradition der Texas Tenors verwurzelt, bloss konnte, wollte das um 1960 herum kaum einer hören), ihre Musik ist jedenfalls verwurzelt in der Tradition, die hier weit über das Jazzhistorische hinaus geht. Aber klar kann man von Free Jazz sprechen, wenn man will.
Berendt versucht im „Jazzbuch“ etwas zu sortieren, wenn er das Kapitel „Seit 1960 – Free Jazz“ wie folgt öffnet (ich zitiere die 1989er Ausgabe in der Fischer TB-Edition von 1991 bzw. in meinem Fall 1996, S. 43):
Am Jazz der sechziger Jahre – dem Free Jazz – ist neu:
1. ein Durchbruch in den freien Raum einer ausgeweiteten, zunächst als „atonal“ empfundenen Tonalität;
2. eine neue rhythmische Konzeption, die durch die Auflösung von Metrum, Beat und Symmetrie gekennzeichnet ist;
3. die Einbeziehung der Weltmusik in den Jazz, der sich nun plötzlich allen grossen Musikkulturen von Indien bis Afrika und von Japan bis Arabien öffnete;
4. eine Betonung des Intensitätsmoments, wie sie in den früheren Jazzstilen unbekannt war. Der Jazz wawr schon immer eine Musik, die in ihrer Intensität anderen musikalischen Formen der westlichen Welt überlegen war, aber noch nie in der Jazzgeschichte wurde auf Intensität in einem so ekstatischen, orgiastischen – bei einigen Musikern auch religiösen – Sinne Wert gelegt wie im Free Jazz. Viele Free Jazz-Musiker treiben einen „Kult der Intensität“;
eine Ausweitung des musikalischen Klanges in den Bereich des Geräuschs.
Das kann man, Punkt für Punkt, alles aufs Leichteste hinterfragen, widerlegen, ins Lächerliche ziehen (die Formulierung des „Kults der Intensität“ ist auf jeden Fall grenzwertig), einzeln genommen könnte man wohl für jeden der Punkte schon Beispiele im Jazz der Zwanzigerjahre finden – es geht ja auch v.a. um Wahrnehmung nicht darum, was ist bzw. allenfalls sein könnte. Aber ich halte es im grossen Ganzen für einen einigermassen hilfreichen Beitrag, etwas nicht oder nur äusserst schwer Fass- und Formulierbares in Worte zu fassen.
Wo sich da Matana genau bewegt, ist wiederum schwieriger zu klären. Meiner Ansicht nach wird von Musikern wie ihr der Free Jazz längst schon als Teil eines grossen Kontinuums aufgefasst, auf den man zugreifen kann wie auf Bebop oder Hardop, wie auf Blues oder Gospel. Klare Grenzen gibt es im Jazz längst nicht mehr, es gibt sie nur noch da, wo Leute – Phil Woods kommt da grad wieder gelegen – seit Jahrzehnten ihrem Stil treu bleiben und nicht über den Zaun schielen mögen (Woods hat das nur in ganz, ganz seltenen Fällen mal getan), oder da, wo junge Leute in Biotopen einen eigentlich längst historischen Stil pflegen (was manchmal ganz hübschs ein kann, etwa in der Szene um den Club und das Label Small’s aus New York, aber andernorts – in der ideologisch aufgeladenen Szene um Wynton Marsalis – auch eine enorm hässliche Fratze offenbaren kann). Da, wo Jazz noch einigermassen lebt, geht er kreativ mit dem Erbe um – das muss nun nicht heissen, dass man immer alles einbeziehen muss, wie Matana Roberts es wohl tut, bei ihr geht es ums Ganze, darum ist ihre Musik wohl auch so intensiv, ja existentiell. Jedenfalls geht es denjenigen Leuten, die den Jazz heute noch pflegen – ich werfe hier mal das Label Pi und die mit ihm assoziierten Musiker verschiedener Generationen in die Runde, in der dritten Augabe von get happy!? gibt es dazu einiges nachzulesen (full disclosure: auch aus meiner Feder), die Wege finden, lebendige, und ich will das mal so sagen: gültige Musik zu machen, die auf der Jazztradition als Ganzem aufbaut und neue Wege findet, sich neue Inspirationsquellen erschliesst auch von ausserhalb dessen, was man „Jazz“ nennen mag (auch das übrigens eine lange Tradition, die im Jazz seit Anbeginn zu finden ist, in New Orleans hat man auch schon mal Arien aus Opern oder Operetten verwurstet).
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba