Re: Nick Cave & The Bad Seeds – Push The Sky Away (VÖ: 18.02.2013)

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ragged-glory

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Wer das große Glück hatte, in der vergangenen Woche Zeuge zu sein, wie Nick Cave und die illuster zusammengestellen Bad Seeds (Ed Kuepper!) ihr neues Album im Berliner Admiralspalast in voller Länge aufführten, der bekam eine sehr plastische Vorstellung davon, welchen Weg der 55-jährige Sänger, Songwriter, Literat und Soundtrack-Komponist seit seinen fiebrigen Anfängen mit den Boys Next Door in Melbourne zurückgelegt hat: Im Anschluss an die streng zurückgenommen Songs von „Push The Sky Away“ schickte Cave den bis dahin anwesenden Kinderchor mit sardonischem Lächeln von der Bühne: Ihr dürft jetzt nicht mehr mitmachen, aber „hört gut zu… und lernt!“. Und dann lehnte sich die Band mit Brachialität in den Bad-Seeds-Klassiker „From Her To Eternity“ und ließen einige andere disparate Hymnen aus vergangenen Zeiten folgen.

So mancher dachte ja, spätestens mit dem Weggang seines ältesten Weggefährten, Gitarrist Mick Harvey, hätte sich auch das Konzept Bad Seeds erledigt, einige hatten die Band bereits 2003 abgeschrieben, als Blixa Bargeld ausstieg. Doch „Push The Sky Away“, das 15. Album von Nick Cave und den Bad Seeds, bedeutet nicht nur eine triumphale Rückkehr, sondern auch eine musikalische Erneuerung der Bad Seeds.

Denn einen entscheidenden Part in der Sound-Gestaltung übernimmt nun ganz offenbar Caves Grinderman- und Soundtrack-Partner Warren Ellis (das ist der kleine Bärtige, der seine Violine so feinfühlig spielt, wie er rabiat die Gitarre bearbeitet). Ellis, ansonsten Chef der verstörend stimmungsvollen Instrumentalband Dirty Three und Australier wie Cave, ist ein Meister darin, mit seiner Musik ein unterschwelliges Unbehagen zu erschaffen, die Erwartung einer gewaltigen Eskalation zu schüren, die dann aber doch enervierend vorenthalten wird. Also eigentlich etwas, was den monströsen, lustvollen Entladungen der früheren Bad Seeds diametral entgegensteht.

Das neue Album lässt sich in eine Reihe mit gemäßigteren Werken wie „The Boatman’s Call“ stellen, aber in Wahrheit liegen zwischen blutigen Mörderballaden wie „Stagger Lee“, dem furiosen Abschluss des Berliner Konzerts, und der neuen, geisterhaften Single „We Know Who U R“ Welten. Auch an einem Nick Cave geht das Alter eben nicht spurlos vorbei: Der aus Elvis, Bibel und Kriminalgeschichte katalysierte heilige Zorn weicht mehr und mehr einer immer noch gefährlichen, aber viel besinnlicheren, schamanischen Reflexion. Und den Stoff dafür googelte sich Cave dieses Mal aus Internetnachrichten zusammen.

So kommt es, dass im großen, fast achtminütigen Herzstück des Albums, dem „Higgs Boson Blues“, ein Bogen von der christlichen Missionierung über die Erfindung des teuflischen Rock’n’Rolls durch Robert Johnson bis hin zum Tod des Pop-Sternchens Miley Cyrus geschlagen wird. Jene als „Hannah Montana“ bekannt gewordene Sängerin, nach Avril Lavigne anscheinend die neueste Girlie-Obsession Caves, kommt gleich mehrmals in diesem Delirium einer Autofahrt nach Genf (wo das Higgs-Boson entdeckt wurde) vor. „Who cares what the future brings“, fragt Cave, und endet mit der vielleicht sogar erleichterten Feststellung: „Can’t remember anything at all.“ Vergangenheit und Zukunft gleichermaßen negiert – die Bad Seeds geben sich ganz im Jetzt verortet.

So erklärt sich auch, dass die auf einem langsam anschwellenden „Hey Joe“-Riff basierende Hurenmord-Hymne „Jubilee Street“, übrigens der einzige Song, der auf Gitarre aufbaut, von Cave noch einmal in beinahe gleicher Länge von „Finishing Jubilee Street“ erklärt wird, einem Spoken-Word-Rant, der wie ein Artikel- oder Blog-Kommentar im Internet wirkt. Das Titelstück schließlich zeigt, wie alles vielleicht doch weitergehen könnte: indem man nie aufhört, „den Himmel beiseite zu schieben“, um wieder, ja was zu sehen? Die Sterne? die Erlösung? Das Gesicht von Jesus? „Some people say it’s just Rock’n’Roll/ Oh, but it gets you/ Right down to your soul.“ In der Mördergrube ist noch Licht.

(9.0) Andreas Borcholte

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