Re: Pop Crimes: Jan Lustiger denkt laut über Platten nach.

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jan-lustiger

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Courtney Barnett – Depreston
[Track, 2015]

Mit Courtney Barnett gab heuer eine der vielversprechendsten Songwriterinnen seit langem ihr LP-Debüt. Auf dem wunderschön betitelten Sometimes I Sit and Think, and Sometimes I Just Sit geht die Australierin mit beeindruckender Beobachtungsgabe an ihre Songs heran, entdeckt den Humor und die Tragik im Alltäglichen und schaufelt so die Poesie unter der Last des schnelllebigen 21. Jahrhunderts frei. Deswegen lässt sich über ihren besten Song auch ein derart banaler Satz schreiben wie: Depreston handelt von einer Hausbesichtigung. Aber das ist eben nicht die ganze Geschichte.

Depreston ist eine der ruhigeren Nummern auf Barnetts Debütalbum. Zu einer dezent vorantreibenden Rhythmusgruppe spielt sie eine Mischung aus Jangle- und Country-Gitarre, deren jede Zeile beendende Hook für Pop-Appeal sorgt. Ihre Vocals legen den Fokus auf das Narrative; immer wieder mal bricht Barnett aus der introvertierten Gesangsmelodie aus, vollendet eine Zeile mal eher rhythmisch gesprochen, mal besonders melodiös, je nachdem nach was für einer Betonung die Geschichte gerade verlangt.

Ein bisschen erinnert das an die ruhigeren Sachen Lou Reeds, auch was die Suche nach der Poesie an unüblichen Orten als zentrales Bestandteil im Songwriting angeht. Allerdings begeben wir uns hier nicht nach New York, um uns Geschichten über Drogenmissbrauch und Transsexualität anzuhören. Ganz im Gegenteil führt uns Depreston raus aus der Großstadt, weg von der Avantgarde, rein ins bürgerliche Milieu.

In diesem Song nämlich begleiten wir ein Pärchen nach Preston, eine Vorstadt Melbournes mit etwa 30.000 Einwohnern. Melbourne selbst hat nämlich an Reiz verloren: „You said we should look out further / I guess it wouldn’t hurt us / We don’t have to be around all these coffee shops”. In dieser Zeile – der Einstiegszeile – geht es natürlich nicht um eine Abneigung gegenüber Kaffee. Vielmehr ist der Überschuss an Cafés ein Hinweis auf die Gentrifizierung der Stadt, wegen der man das erste eigene Haus vielleicht besser in der Vorstadt suchen sollte.

Einen guten ersten Eindruck macht die allerdings auch nicht: „We drive to a house in Preston / We see police arresting / a man with his hand in a bag“. Der Verhaftete versteckte vermutlich Alkohol in der Tasche, das erste einsame Bild in einer einsamen Gegend. „How’s that for first impressions? / This place seems depressing“ kommentiert Barnett und gibt dieser Zeile einen Doppelbezug, indem sie hinzufügt: „It’s a Californian bangelow in a cul-de-sac“. Dadurch erweitert sich der deprimierende Ersteindruck Prestons im Allgemeinen auf das besichtigte Haus im Speziellen. Das befindet sich dann auch passenderweise in einer „cul-de-sac“, einer Sackgasse.

Hier schaltet sich der Immobilienmakler ein. „It’s got a lovely garden / a garage for two cars to park in,“ zählt er auf, „or a lot of room for storage if you’ve got just one“. Schließlich sind die Zeiten, in denen ein zweites Auto Statusgewinn bedeutete, vorbei. Warum das Haus denn so günstig sei, will das Pärchen wissen. „Well, it’s a deceased estate / Aren’t the pressed metal ceilings great?“. Über die offensichtliche Tristesse von Wohnung und Umgebung, den verkaufseifrigen Makler sowie dessen Bemühungen, das Grau bunt zu zeichnen, baut Barnett einen Kontrast auf, der eine größere Tragik der Tristesse zur Folge hat. Die Versuche des Maklers, davon abzulenken, sind zum Scheitern verurteilt.

Stattdessen hat sein leiser Hinweis darauf, dass das Haus durch einen Todesfall frei wurde, zur Folge, dass der Ich-Erzählerin andere Dinge ins Auge fallen: „Then I see the handrail in the shower, a collection of those canisters for coffee, tea, and flour / and a photo of a young man in a van in Vietnam“. Die Haltestange deutet darauf hin, dass in dem Haus eine ältere Person alleine gewohnt hat, das Foto eines jungen Mannes in Vietnam (Australien war am Vietnamkrieg beteiligt) zeigt vermutlich den Sohn oder Ehemann (rechnerisch ist beides möglich) der ehemaligen Hausbesitzerin. So wird über die Hauseinrichtung eine persönliche Geschichte erzählt, die in Verbindung mit der australischen Vorstadt als Setting einen Gesellschaftsbezug bekommt.

Durch die Tragik ihrer Beobachtungen relativieren sich schnell all die Gedanken, die sich Barnetts Hauptfigur bei der Hausbesichtigung eigentlich so machen würde: „And I can’t think of floorboards anymore / whether the front room faces south or north“. Stattdessen kommt sie nicht davon los, sich Gedanken über das Leben der alten Frau, die einst in diesem Haus lebte, zu machen. „And I wonder what she bought it for“, fragt sie sich in einem Augenblick, in dem nur noch wenig Sinn zu machen scheint.

Mitten in der Vorstadt-Tristesse konfrontiert mit der Vergänglichkeit in ihren Gedanken versunken, wird sie schließlich vom Makler zurück in die Gegenwart geholt: „If you’ve got a spare half a million / you could knock it down and start rebuilding“, empfiehlt er. Für schlappe 500.000 Australische Dollar also könne das Haus abgerissen und ein neues errichtet werden. Damit wären die letzten Spuren des Lebens der Vorbesitzerin ausgelöscht. An ihre Stelle tritt die sich weiter ausbreitende Gentrifizierung, die so den Kreis, den die Ausgangssituation begonnen hatte, vollendet: Ein neues teures Haus folgt dem (buchstäblichen) Tod der Mittelklasse. Fünf mal wiederholt Barnett diese Zeile mit immer steigender Eindringlichkeit, damit wir uns bewusst werden, dass der Hinweis des Maklers nichts anderes ist als eine traurige Pointe des Kapitalismus.

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