Re: SCOTT WALKER – Bish Bosch

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ragged-glory

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Ein Kollege erzählte neulich, mit Scott Walkers neuer Platte sei es ihm erstmals gelungen, seinen ansonsten phlegmatischen, sogar Slayer-Exzesse durchschlafenden Kater aus dem Zimmer zu jagen. So ein Album ist das. Der US-Amerikaner, in den Sechzigern erfolgreicher Pophit-Lieferant mit den Walker Brothers, dann bis heute gefeierter Solo-Barde mit seinen Alben „1“ bis „4“, zuletzt „Liedzerstörer“ (Wigger) mit beunruhigenden Geräusche-Collagen, betrachtet jedes seiner Alben als das potentiell letzte, daher macht er längst keine Kompromisse oder Zugeständnisse mehr.

Auf „Bish Bosch“ führt er folglich weiter, was er spätestens mit „The Drift“ (2006) etabliert hat: Schabende, mit analogen Geisterbahn-Sounds, weißem Lärm und anderem Noise versetzte Experimentalmusik, zu der Walker mit seiner heulenden Hui-Buh-Stimme allerlei Hochkultur-, Historien- und Popzitate in einem scheinbar frei assoziierten Singsang schlauer Wortspiele zusammentextet. Das ist im Opener „See You Don’t Bump His Head“ noch recht harmlos, wenn „Schwanensee“ und „Tosca“ in einen Gruselfilm gemixt werden, in dem sich unter anderem Spinnenweben in einer Gebärmutter auflösen. „While plucking feathers from a swan song/ Shit might pretzel Christ’s intestines“, deklamiert Walker über einem geloopten Industrial-Geräusch, das wie ein enervierendes Türklappen klingt, bis dann plötzlich ein hartes Gitarrenriff reingrätscht – „Jesus Christ Superstar“, die Alptraum-Version.

Brutales Kernstück des Albums ist das über 21 Minuten lange Stück „SDSS 1416+13B (Zercon, A Flagpole Sitter)“, in dem Walker wie in einem (mehrfach durch Pausen unterbrochenen) Hörspiel einen weiten Bogen von einem gnomhaften Hofnarr des Barbarenkönigs Attila über römische Eroberungspolitik, griechische Philosophie bis hin zu sogenannten Braunen Zwergen schlägt, Sternen, die zwar riesig sind, aber nicht genug Masse haben, um als richtige Sonne zu gelten. Im Schlussstück „The Day The ‚Conducator‘ Died“ frönt Walker dann noch mal seiner eigenartigen Leidenschaft für Diktatoren (auf „Scott 4“ widmete er den Song „The Old Man’s Back Again“ Josef Stalin) und vertont die Erschießung des rumänischen Despoten Ceaucescu als Weihnachtslied, komplett mit langsam schellenden Jingle Bells. Was das alles bedeuten soll? Keine Ahnung.

Das Rätselraten und Entschlüsseln gehört zum Genuss eines jeden Walker-Spätwerks. Sogar die Plattenfirma empfiehlt im länglich erklärenden Info zur Platte, dass man Wörterbuch und Wikipedia bereithalten sollte, um alle Referenzen mitzukriegen. Ist das noch Pop oder schon Konzeptkunst, eine avantgardistische Installation mit musikalischen Rudimenten? Ach, man muss das alles nicht so ernst nehmen. Denn auch Walker, ganz anders als in den Abgründen von „The Drift“ oder „Climate Of Hunter“, scheint hier einen Mordsspaß zu haben, die Abstraktion seines Schaffens auf die Spitze zu treiben. Selten war Unhörbarkeit so vergnüglich.

(9.0) Andreas Borcholte

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