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KENDRICK LAMAR The blacker the berry
„Nicht die Literaten, die sich politisch engagieren, sind per se gescheitert, sondern diejenigen, die ihre Literatur für Politik instrumentalisieren.“ (Ahmad Milad Karimi)
Dass ich Kendrick Lamar für eine herausragenden Rapper und großen Songschreiber halte, ist bekannt. Er ist aber auch ein großartiger Texter, der es schafft verschiedene Ebenen ineinandergreifen zu lassen. Kritik, Beobachtungen, Anekdoten, Geschichten, Weltgeschehen – kurz: Wirkliches Storytelling.
„The blacker the berry“ ist ein ganz besonderer Track, für Lamar unerwartet rauh und zornig, mit kratziger Stimme, Verbitterung und teilweise auch Ekel vorgetragen. In drei Strophen werden mehrere Fäden verwoben und durch die Hook von Assassin aufgelöst. Die Produktion stammt von Boi-1 da & Terrace Martin. Schon das Intro beschreibt den Gedankenlauf: Schwärze, gewollte, undefinierte, auf die Haut geschriebene, Leid. In einem kleinen Dorf geboren, am „bottom of mankind“ und „black as the moon“ – mit der Empfindung, dass der Hass allgegenwärtig ist, dass Verrachtung die Sinne raubt, dass man seine Gefühle schützen muss – man sich aber etwas Unauslöschliches erhalten kann: Stil, Form, Würde. „I’m a proud monkey“ heißt es.
Die zweite Strophe schwenkt zur Historie: Ehemals waren wir Sklaven, trugen Ketten, heute sind es Goldketten mit großen Edelsteinen geworden; einst waren es Peitschenhiebe; Lamar spielt hier mit Doppeldeutigkeiten – so könnte das „whip“ in der folgenden Zeile auch Geisel bedeuten – die Geisel, die heute bei ihnen geparkt im Block steht. Es gibt noch einige weitere Hinweise, die Lamar für seine Wut gibt – der Ausschluss aus der Gesellschaft, unbegründete Gefängisaufenthalte, kirchliche Maßnahmen, Genozid und Kulturmord ohne Rechtsprechung. Und eine Form der Selbstbehauptung: „You made me a killer, emancipation of real nigga“ und „The bigger I shoot“, das Töten als Befreiungsschlag als Umkehrung der Position.
Zuletzt sticht das Auge in Wunden der jüngeren Geschichte: Leute, mit glänzenden Pistolen, Straßengangs, wie die Compton Crips, die sich mit der Pirus Street Family bekriegen, die Black Panther Party und die Rassentrennung von Marcus Garvey, den Raubüberfall von Tyron Darius Ellison, Zulu und Xhosa, die in den Krieg ziehen und die immer wieder aufkeimende Erkenntis: Je schwärzer die Beeren, desto süßer der Saft – es ist Heuchelei, egal ob weiss oder schwarz. Lamar spricht hier nicht nur den offensichtlichen Rassismus an, den Clash zwischen African und American, sondern auch den Hass untereinander. Zuletzt heißt es: „When gang banging make me kill a nigga blacker than me?“ und zuvor hatte er den, die Gesellschaft spaltenden, Tod von Trayvon Martin angesprochen, der sich in Florida ereignete, wie auch den African-American Black History Month.
Es gibt in diesem Porträt einen entscheidenden Punkt, in dem klar wird, auf was Lamar hinaus will: Dass jede Rasse auf einem Fleckchen Erde einstmals begonnen hat zu leben. Und dass der Hass, den man nach außen spült, stets auch selbstbezogen ist. Reciprocation of freedom only lives in your eyes.
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Hold on Magnolia to that great highway moon