Re: Irrlichts Introducing

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irrlicht
Nihil

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Bill Callahan Summer painter

That type of approach to art where you just destroy yourself and your loved ones, like dyng for your art – I think I used to embrace that philosophy, but lately with this last record, I’ve been trying to – because I don’t want to die alone – find a new way to still making good work, but not at the expense for the rest of your life“

Der sechste Track von „Dream river“ zählt für mich zum Magischsten, was Callahan überhaupt je geschrieben hat. „Summer painter“ vereint alles, was dieses Album ausmacht: Die Intimität, die Schwüle, das Beklommene und dabei immerzu Natürliche, die feinsinnige Poesie, die musikalischen Orkane und Passagen, in denen sich der Sturm fast ganz zurückgezogen hat. Bereits die ersten Sekunden schleifen sich langsam ins Nervenzentrum, man hört einen tiefen Gitarrenrhythmus, neben dem sich eine Flöte sinister erhebt und eine Geräuschkulisse im Hintergrund beschwörend zu vibrieren beginnt – fiebrig und von beeindruckender Anmut.

Callahan hat nicht nur einmal beschrieben, dass der Prozess des Schreibens sich in den letzten Jahren wandelte – „sink into this thing for, like, 16 hours, just sitting there working, and the rest of the world goes black“. Heute verläuft es anders: Nach einigen Stunden wird das Textblatt zur Seite gelegt und die wirklich Welt kehrt zu ihm zurück. „Dream river“ thematisiert dies einige Male, ist das Bindeglied zwischen Fiktionalem und der Welt, in der Callahan den Stift ansetzt. „Summer painter“ ist der Track, der den dazu harschesten Kontrast liefert. Es wird September und die Seele verfällt dem Herbst, aber „holding a job was not believable behavior at all, so I split“ heißt es hier. Zu Anfang des Songs lässt Callahan seinen Protagonisten noch Namen an Boote malen – für einen wiederkehrenden Sommer. Es gibt einige Zeilen, die in diesem Track sehr elliptisch beschrieben sind und die ersten sind die komplexesten des gesamten Albums. Callahan schreibt von „the same first letter“, von „bad luck at sea“ und der Narrheit der Reichen bzw. Träumen der Armen, während das musikalische Gewand immer schwüler wird (mich erinnert die düstere Orgel, die immer wieder kurz durch die Risse des Damms bricht, etwa an „Red apples“). Danach wird es aber konkreter: Es entstehen mehr und mehr Dämme, die unüberwindbar sind und die nie ganz brechen werden – Callahan wählt hier das Bild des Biebers, metaphorisch für die Persönlichkeit, die immer geschäftig bleibt; Tag für Tag neue Wälle errichtet. „You never really quit“ singt er kurz darauf und es ist wie die Schlüsselzeile dieses Albums, nach der er sich fragt, wem all dies überhaupt nützt. Er verdient ein wenig damit und sammelt es an („socket it away“ würde ich similär zu „save up“ deuten), aber die Erkenntnis bleibt stets die Selbe: „I never truly knew who I was working for anyway – the rich or the poor“. Der Wert der Dinge an sich wurde schon einige Zeilen vorher vorweggenommen, als von „Rich man’s folly and poor man’s dream“ die Rede war. Er beschloss diese Frage mit „for a rainy day“, kurz: Für schwerere Zeiten.

Es ist unheimlich eindrucksvoll, wie Callahan diesen Track nun weiter führt. Während eine Gitarre ganz klar und hell durch die düstere Nebelwelt bricht und ein wenig Percussion die Straßen auslegt, toben schwere Stürme übers Land. Es wird die Verwunderung der Leute beschrieben, als nur noch die kahlen Rahmen der Dinge vom Regen verschont bleiben, wie alles hinfort gespült wird, in einem großen unbarmherzigen Fluss. „Like all that time spent down by the water/had somehow given me control over the rain“ klingt ein wenig wie eine Rückblende zur Zeit von „A river ain’t too much to love“, an die trostlosen Winter von „Palimpsest“ und das Zurückgaloppieren ins Leben von „Say valley maker“.
Mich fasziniert dieser somnambule Rhythmus, dieses von Leben durchsetzte bleiern Schwere, das bedrückende Vorantasten – und der trockene Humor mit dem Callahan leicht schmunzelnd „Guess I got my rainy day“ singt. Damit kommt nun der Orkan und der Sommerregen – Flöten stechen heißer herauf, die Gitarren scheppern und beginnen verstörend zu schlittern, während der Regen alles Küstennahe hinfort reißt („the rain ripped the lips off the mouth of the bay“). Immer mehr simulieren die Instrumente einen alles wegschwemmenden Wolkenbruch – danach ist Stille, selbst die Luft wurde hinfort gefegt. Etwas ähnlich Intensives habe ich in den letzten Jahren selten gehört.

Verstörend ist daran, neben der Instrumentierung, auch der Text, der viel Spielraum lässt. „Rendered the eye“, „sleighted the hand“, „tricked the land“? Und ist mit „cape“ ein Umhang oder ein Gebirge gemeint? Ich weißt es nicht. Irgendetwas wird hier aber offensichtlich zur Bewegung gebracht und gewaltig aus seiner Fassung geworfen. „Dream river“ arbeitet sehr oft mit derartigen, stark assoziativen Worten und Stimmungen und ich bin nicht sicher, ob man diese Szene wirklich deuten kann und sollte. „Summer painter“ ist das Abgründigste, was Callahan, vielleicht seit „River guard“ geschrieben hat und mich fasziniert alles an dieser Aufnahme. Die flimmerenden Zwischentöne, das Ausufern, die Brachialität und beunruhigende Versunkenheit – und die ruhigen Stellen, die dieser Traumfluss nicht aus der Welt geschwemmt hat.

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Hold on Magnolia to that great highway moon