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Es muss schon einige Jahre her sein, als ich Die Orsons kennenlernte, damals war ich mitten in einem Praktikum als Stagehand, hantierte in tiefster Nacht an Monitoren und Endstufen – Hip Hop war mir zu dieser Zeit noch fremd und weitestgehend verhasst. Musik fand für mich zunächst in den Siebzigern statt, für lange, ausgiebige Instrumentalpassagen konnte ich mich begeistern, für die großen Sänger der Zeitgeschichte, für Songs, die zwar nicht plump technisch, aber doch am Limit dessen liegen sollten, was Kunst ausdrücken kann. Und dann kamen Die Orsons; ich mochte es.
Hinter dem Quartett stehen zunächst vier grundsympathische Charaktere aus Stuttgart, Kattowitz und Reutlingen, die bis heute ihren Soloprojekten nachgehen. Kaas begründete vor einigen Jahren das „love movement“ im Hip Hop, Tua ist meisterlich in den Gefilden zu finden, die Hip Hop mit Dubstep und teils brachialen Elektrosounds kreuzen und die beiden Stuttgarter und langjährigen Freunde Maeckes und Plan B touren durch die Republik und immer mal wieder fallen dabei sogar ganz prächtige Veröffentlichungen vom Deck (wie etwa die jüngst erschienene „Manx“ EP). Die Orsons ist die entlegene Spielwiese im teils waghalsig spießbürgerlichen Deutschrap-Camp, rosa und gelb sind die Farben des Coverartworks, es gibt Songs über die Beatles, Delfine und die Reise zum Mond. Ein reines Spaßprojekt mithin, aber mit allerlei schönen Momenten, mit teils etwas seltsamem Humor, aber immer mit Herz und Hirn.
„Jetzt“ ist etwas anderes. Es ist das erste Lebenszeichen nach über drei Jahren – und man merkt, dass zwar noch heute die lustigen Jungs aus der Nachbarschaft an den Federn sitzen und grübeln und tricksen, aber das der instrospektive Blick geschult wurde; „Jetzt“ ist ein Stückchen Erinnerung. Markant bereits: Die Gitarre. Im allgemeinen sind Die Orsons die Knaben mit dem Bubblegum Automat auf der Schulter, aber hier verklebt nichts – der Track atmet und lebt, man spürt den Wind an der Nase vorbeiziehen, Grashalme flattern umher und irgendwo in dieser Nacht raschelt es auch, man ist mitten an der Feuerstelle, wo leise Kohlen aufglühen. „Jetzt“ ist ein Atmosphäresong und er greift sofort. Dann beginnt die Zeit zu ticken – die Nacht unter freiem Himmel mit all den Fragen werden wieder präsent, die Unsinnigkeit des Unglücklichseins, die Tage, in denen man über alles gelacht hat, über sich, über nichts, mit allem. „Wir lachen, weil es kaum was besseres gibt“.
Noch etwas anderes ist auffällig: Wo Die Orsons zunächst als Projekt gestaltet ist, das auf seiner Pluralität lebt (so ist Maeckes der sinnliche Sokrates der Worte, während Tua oftmals den magentretenden Gangster karikiert), so ist „Jetzt“ der Kurzschluss – man hört hier vier Musiker, die sich einem Thema widmen und einen Song immer weiterführen. Da ist die Zukunft ganz nah, am Rande des Horizonts, der zum Teelicht geworden ist, 2038, wo die neuen Äpfel über der Vergangenheit grübeln, in der einstmals alles soviel besser war.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich mal so alt werd’/
Weil Mitte 20 fühlte ich schon meine Halbwertszeit
Ich berühre das Gras nur um zu prüfen, ob ich was spür’/
Und ob ich noch lebe, noch fühle wie früher/
Ob das noch da ist“
„Sollten unsre Kinder
irgendwann mal meckern
‚Früher war alles viel besser!‘
dann mein‘ sie damit jetzt“
Etwas an der Zeit ist trügerisch – sie vergeht schneller mit den Jahren; aus eben selben werden Wochen, irgendwann sind es wohl nur noch lange Tage, von denen man erzählen wird. Sollte man irgendwann wieder dort sitzen, unter freiem Himmel, im ewigen Sommer, wo die neue Zukunft heranwächst, die schon jetzt bereits wieder Vergangenheit ist. Vielleicht wird dann die Gitarre wieder leise zu spielen beginnen und an eine Zeit erinnern, die in Wahrheit nie Abschied genommen hat.
„Jetzt“ umfasst das Leben, die Zeit, die Melodie des Lachens. Und noch etwas.
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Hold on Magnolia to that great highway moon