Re: Bill Frisell

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friedrich

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Vorletzter Teil meines kleinen Bill Frisell-Exkurses. Auf dem Wege habe ich nur wenige Mitstreiter, aber auch wenig Gegenwehr vorgefunden. Schade eigentlich, aber davon wollte ich mich nicht entmutigen lassen. Die Musik von Bill Frisell ist es mir wert. Vieles habe ich angesprochen, vieles habe ich ausgelassen, aber ich denke dieses Mosaik gibt schon ein recht anschauliches Bild. Außer den hier vorgestellten Platten habe ich noch ein einziges Stück von Bill Frisell im Köcher, das eigenartigerweise gestern, am 01. September 2012, eine unerwartete und leider traurige Aktualität gewonnen hat. Aber dazu später.

Floratone – dto.
2007

Bill Frisell: e-git, a-git, loops
Matt Chamberlain: dr, perc, loops
Tucker Martine: production
Lee Townsend: production
with guests
Viktor Krauss: a-b, e-b
Ron Miles: ct
Eyvind Kang: viola

Floratone II
2012

Matt Chamberlain: dr, perc, loops
Tucker Martine: production
Lee Townsend: production
with guests
Mike Elizondo: a-b, e-b
John Brion: kb
Ron Miles: tp
Eyvind Kang: viola

Bill Frisell goes Dub! Wenn man die ersten paar Töne von Floratone hört, könnte man das jedenfalls meinen: Die ersten Perkussionsklänge hallen mit Echo durch den Raum. Klingt wie eine Reggae-Produktion, aber nicht sehr lange, denn dann kommen auch wieder die beinahe schon üblichen Ingredienzien einer Bill Frisell-Platte mit ins Spiel: Country, Blues, ein bisschen Jazz und Funk. Was Floratone aber von vielen anderen Platten Bill Frisells unterscheidet, ist die personelle Konstellation mit Bill Frisell als Gitarristen, dem Schlagzeuger Matt Chamberlain und den beiden Produzenten Lee Townsend und Tucker Martine. Matt Chamberlain ist ein Drummer der schon mit allen und jedem gespielt hat, von Brad Mehldau über Regina Spector bis zu David Bowie. Lee Townsend ist der Hausproduzent von Bill Frisell, während Tucker Martine aus dem Indie- und Folk-Rock kommt. Nicht nur eigenartige Mehrheitsverhältnisse zwischen Musikern und Produzenten also, sondern auch ein seltsames Zusammentreffen von Akteuren aus unterschiedlichen musikalischen Welten.

Bill Frisell und Matt Chamberlain haben für Floratone im Studio einige musikalische Skizzen improvisiert. Bill Frisell ist dabei Bill Frisell und Matt Chamberlain tritt mit einem ganzen Arsenal von Schlagwerk an, mit dem er klingt wie mehrere Drummer auf einmal. Diese Tracks wurden dann an das Produzenten-Duo übergeben, die die Tracks editiert, Spuren gelöscht, übereinander gelegt, geloopt, overdubs hinzugefügt und das Ganze mehrmals durch das Mischpult geschickt haben. Technisch manipulierte Americana, wenngleich die Eingriffe am Mischpult nicht unmittelbar zu hören sind und die Stücke erstaunlich organisch klingen.

Floratone klingt wie andere Bill Frisell-Platten auch sehr atmosphärisch, vielleicht sogar noch mehr, da der Fokus hier weniger auf Songstrukturen liegt, sondern auf Klang. Die Produzenten scheinen die den ursprünglichen Tracks innewohnende Stimmung noch verstärkt zu haben. Auch die Bilder im Kopf sind wieder da und Titel wie Mississippi Rising, Swamped oder Monsoon unterstützen das noch. Großartig wird Floratone, wenn auf The Wanderer nach gerade mal gut einer Minute die Perkussuion und das Tempo rausgenommen wird und das Stück unheimlich umherwabert wie ein böser Traum. Swamped ist ein schleppend cooler Jazz-Funk und Louisiana Lowboat klingt wie eine Trip Hop Version von John Lee Hocker. Das abschließende Threadbare scheint nur aus einem einzigen verzerrten Gitarrenakkord zu bestehen, der knapp 2 Minuten lang wiederholt wird und über den umhervagbundierende Perkussionsounds und Gitarrenloops gelegt werden. Nur ein kleine Skizze, aber was für eine Stimmung.

Eine tolle Platte, bei der viel mit Americana-Klischees gearbeitet wird, aber sozusagen am Mischpult reflektiert und dadurch sehr kreativ und originell. Floratone steckt mit einem Bein tief in der Tradition amerikanischer Musik und tastet mit dem anderen nach den Möglichkeiten moderner Produktionsmethoden. Die Credits gehen dabei übrigens zu gleichen Teilen an die Musiker wie an die Produzenten. Der Titel Floratone erklärt sich weniger durch das schöne Cover, als durch den Namen des Studios, in dem das Album aufgenommen wurde: Flora.

Floratone II ist – der Titel sagt’s – nicht mehr und nicht weniger als Teil 2 des Vorgängers. Das Konzept ist das gleiche und die Besetzung fast unverändert. Ich hätte mir gewünscht, das Teil 2 noch etwas mutiger und abenteuerlicher mit den Möglichkeiten des Studios umgeht. Da ist auf jeden Fall noch Luft nach oben. Das bleibt aber leider aus. Dennoch ein gute Platte und wer Floratone mochte, wird von Teil 2 nicht enttäuscht.

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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)