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In dieser Ausgabe des Bill Frisell-Threads kommen wir endlich zu Alben, die er als Leader aufgenommen hat. Es sind nicht seine ersten Alben als Leader – die hat er Anfang/Mitte der 80er bei ECM veröffentlicht und sind mir unbekannt – aber die ersten, die ich gehört habe.
Bill Frisell hat 1992 das Album Have A Little Faith veröffentlicht. Eine Sammlung von Kompositionen von Aaron Copland, Charles Ives, Muddy Waters, Sonny Rollins, Bob Dylan und anderen, eine sehr bunter Reigen amerikanischer Musik des 20. Jahrhunderts also. Vielleicht ist diese Auswahl in einer Weise programmatisch für Bill Frisell. Denn auch wenn er Eigenkompositionen spielt, scheint dort immer ein breites Wissen um verschiedene Traditionslinien mitzuschwingen.
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich Have A little Faith nicht kenne. Kann jemand helfen? Ich fange daher mit dem darauf folgenden Album an, das auch gleichzeitig das erste Album von Bill Frisell ist, das mir zu Ohren kam.
This Land (1994)
Bill Frisell: g; Don Byron: cl, b-cl; Billy Drewes: as; Curtis Fowlkes: tb; Kermit Driscoll: a-b, e-b; Joey Baron: dr
This Land enthällt Stücke mit Titeln wie Jimmy Carter (part 1 +2), Amarillo Barbados, Cartoon, Rag oder Julius Hemphill, letzteres nach dem Gründer des World Saxophone Quartets. Also auch hier schon in den Titeln reichlich Referenzen auf amerikanische Kultur. Der Titel der Platte selbst darf wohl auch durchaus programmatisch verstanden werden. Entsprechend weit gefächert ist auch das stilistische Spektrum, wobei die Band mit den sehr schön arrangierten 3 Bläsern und durch BFs eigenwilligen Gitarrensound einen sehr charakteristischen Klang hat, der die gesamte Platte prägt.
Es stehen hier weniger Solisten im Vordergrund – auch wenn diese große Momente haben, vor allem Don Byron und Curtis Fowlkes – , als das Arrangement und die Dramaturgie der Stücke. Das hat was von musikalischer Landschafts- oder Portraitmalerei oder – ja – etwas Filmisches. Oft ist das auch sehr atmosphärisch und spannt den Hörer ziemlich auf die Folter. Das fast 10-minütige Julius Hemphill beginnt schläfrig träge und baut sich langsam zu einem dramatischen Höhepunkt auf bevor es ausklingt. Der Titel Cartoon sagt eigentlich schon alles über das betreffende Stück, denn hier überstürzen sich dann plötzlich die Ereignisse.
Tolle Platte, war für mich beim Kennenlernen recht gewöhnungsbedürftig (und ist sie immer wieder!), nicht nur wegen des sehr eigenen Sounds der Platte sondern auch wegen der eigenartigen Dramaturgie. Es findet hier eine Entschleunigung statt, wie ich sie bis dahin kaum mal gehört habe. Die dramatischen Höhepunkte sind dafür aber umso sensationeller. Man muss halt manchmal etwas darauf warten.
Go West: Music for The Films of Buster Keaton
High Sign / One Week: Music for The Films of Buster Keaton
Beide 1995
Bill Frisell: g; Kermit Driscoll: a-b, e-b; Joey Baron: dr
Bei diesen beiden Platten haben wir es mit veritabler Filmmusik zu tun, und nicht nur das, wir haben es mit Filmmusik zu Stummfilmen von und mit Buster Keaton zu tun und das ist noch mal eine ganz eigene Sache. Denn diese Musik funktioniert nicht als bloß atmosphärische Untermalung des jeweiligen Filmes, sie ist so eng mit dem Geschehen auf der Leinwand verwoben, das man sie eigentlich nur schwer davon trennen kann. Ergibt es also überhaupt Sinn solche Musik unabhängig vom Film zu veröffentlichen? In diesen beiden Fällen tut es das!
Ursprünglich hat Bill Frisell und sein Trio diese Filmmusik live zur Filmvorführung gespielt. Man hört den beiden Alben sehr schön an, wie perfekt Frisell, Driscoll und Baron ineinander greifen und – offenbar – punktgenau auf die Handlung reagieren. Das hat alles natürlich keine Songstrukturen, sondern ist anders aufgebaut und wechselt dauernd Stimmung und Tempo. Darauf muss man sich als Hörer einlassen. Ein bisschen kennen wir das ja inzwischen schon von älteren Aufnahmen von Bill Frisell. Im Unterschied zu jenen ist das hier aber deutlich lockerer gestrickt, denn hier wird nicht wie z.B. bei den Aufnahmen mit John Zorn oder dem Stück Cartoon von This Land eine imaginäre Filmhandlung in nur ein einziges Stück von nur ein paar Minuten Länge gepresst. Hier zieht sich der Handlungsstrang im Falle von High Sign / One Week immerhin über die Länge von zwei Kurzfilmen von jeweils knapp 20 Minuten Länge. Im Fall von Go West ist das sogar ein Langfilm von über einer Stunde Dauer und erstaunlicherweise funktioniert das für meine Ohren hier deutlich besser als bei den Kurzfilmen. Woran liegt’s? Bei Go West gibt es ein-zwei prägnante musikalische Motive, die in verschiedener Form immer wieder auftauchen, z.B ein ganz einfaches Bass-Motiv von Kermit Driscoll, das er mal auf dem akustischen Bass streicht, mal stramm marschierend auf dem E-Bass spielt und über das Bill Frisell seine akustische oder E-Gitarre legt. Im Stück Cattle Drive gibt es dann einen haarsträubenden Höhepunkt: das ist so ziemlich das Abgefahrenste, was ich je auf einer Gitarre gehört habe! Abwechselnd zerrt es nur so in den Ohren und wird sofort wieder gedämpft, manchmal hört es sich so an, als wird dem kreischenden Biest für einen Augenblick die Klappe zugehalten, bis es sich wieder losreißt. Hochspannung! Dieser Cattle Drive dürfte turbulent sein und allein dieser Moment ist die Platte Wert!
Nicht alles auf Go West ist so spannend, z.B. ein 45-sekündiges poltriges Drum-Solo von Joey Baron mag im Filmzusammenhang Sinn ergeben. Ohne den Film tut es das weniger. Trotzdem eine tolle Trio-Platte, vom Stil her übrigens mit einem deutlichen Hang zu Country & Western – Go West ist schließlich ein Western.
One Week kann man sich übrigens hier komplett ansehen, wenn auch mit einer anderen Musik:
http://www.youtube.com/watch?v=-JpEJILgcxU&feature=related
Sagenhaft ist die Szene bei 5:15, in der eine Hauswand direkt über Buster Keaton umfällt, aber da, wo er steht, ausgerechnet ein Fenster ist – und er dadurch auf die unwahrscheinlichste Weise unversehrt bleibt. Man stelle sich mal vor, was für eine Wirkung so eine Szene in einer Zeit gehabt hat, in der es noch keine Computertricks gab!
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)