Re: blind fold test #11: vorgarten

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vorgarten

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#9
hammeriver: HEARTBREAKER (abrahams, buck, cooper, dafeldecker, delius, kurzmann, thomas)
clare cooper (har), chris abrahams (p), christoph kurzmann (lloopp), tobias delius (ts), clayton thomas (b), werner dafeldecker (b), tony buck (dm)
aus HAMMERIVER, mikroton 2010, rec. berlin 2007

es gibt zwei internationale supergruppen der freien improszene des heutigen berlins: das splitter orchestra von clayton thomas (in dem jeder mitspielt, der gerade zeit hat – manchmal sind das 60 leute) und das alice-coltrane-hommage-projekt HAMMERIVER seiner frau clare cooper. letzteres ist oft drone-fixiert, durchaus swingend (mit all den komischen sounds, die zwei bässe, eine harfe und ein subtilelektroniker wie kurzmann als grundierung aufbieten können) und hat eigentlich nur delius als solistische stimme darüber. im HEARTBREAKER allerdings kommt das konzept des splitter orchestras zum tragen: so viele musiker – so wenig noten. diese form extremster zurückhaltung vertraut auf die sounds an sich, die sich großartig ergänzen & manchmal nicht mehr auseinanderdividiert werden können. und mit minimalismus haben tony buck und chris abrahams, also 2/3 der necks, sowieso keine probleme. HAMMERIVER ist die erste und bisher einzige veröffentlichung der band, nach langen verhandlungen schließlich doch nicht beim raffgierigen hat hut label erschienen, sondern nur klein bei mikroton. kriegt man trotzdem problemlos. das tolle cover ist übrigens von clare cooper selbst.

#10
spaceways incorporated: TAPESTRY FROM AN ASTEROID (sun ra)
ken vandermark (cl), nate mcbride (b), hamid drake (dm)
aus: THIRTEEN COSMIC STANDARDS BY SUN RA & FUNKADELIC, atavistic 2000, rec. chicago 2000

man glaubt es kaum – diese entschleunigte version von TAPESTRY ist der opener (!) zu einem wirklich absurd sinnigen konzept: kompositionen von sun ra mit denen von george clinton zu kombinieren, das alles als „cosmic standards“ auszurufen und darüber zu improvisieren. einziger unterschied: mcbride wechselt für die clinton-sachen zum e-bass. helden des afrofuturismus (UNDERGROUND RESISTANCE hätten auch noch gepasst – deren mythos eines ‚schwarzen atlantis‘ aus der geschichte rührt, dass afrikanische sklavinnen bei den menschenhandelstransporten ihre neugeborenen babies über bord werfen mussten, die daraufhin kiemen bekamen und unter wasser ein eigenes reich gründeten), der flamboyanten überwindung irdischer diskriminierung im geiste des space age und des funk. doch wie kann man das behaupten und dann sun ra so unglaublich traurig und melancholisch auf die erde zurückholen, wie die herren das hier tun. ich habe vandermark mehrfach live gesehen und finde gerade sein klarinettenspiel jenseits allen zweifels – ein komplementär-introvertiertes gegengewicht zu seinen oft kopfigen powerplay-attacken. ich finde das, was er hier macht, einfach wunderschön. und über hamid drake mag ich hier nicht erneut schwärmen.

#11
maxine sullivan: TWO FOR THE ROAD (briousse / mancini)
maxine sullivan (voc), seldon powell (fl), dick hyman (p), major holley (b), mel lewis (dm)
aus LOVE…ALWAYS, baldwin street 1986, rec. nyc 1985

„the characteristics which I consider most important in singing are the way in which I hit notes…softly and without effort, a relaxed feeling at all times and a feeling for what I am singing. most of all I like to take a sad number with a simple melody, changing the notes to fit the soft, straight manner, strict tempo vocalizing and without jive.“

wie toll, wenn eine solch selbstbewusste beschreibung der eigenen fähigkeit sofort bewiesen werden kann, und sei es mit einer der letzten aufnahmen einer bereits 74jährigen sängerin. 1911 geboren, schon in den späten dreißigern ein star, u.a. mit einer jazzversion des schottischen folksliedes „loch lomond“, gefördert von claude thornhill und mit unterbechungen bis zu ihrem tod 1987 als sängerin aktiv, immer in ihrem eigenen stil. kennengelernt habe ich sullivan durch die tollen frauen-jazz-filme von greta schiller (hier ein trailer, hier die deutsche dvd), in der sullivan u.a. bei den aufnahmen zu LOVE…ALWAYS zu sehen ist. ihre mitstreiter hier wären wohl mindestens drei kapitel für sich, aber das wisst ihr wahrscheinlich selbst.

hier noch EASY TO LOVE aus dem jahr 1937.

#12
arthur blythe / david eyges / bruce ditmas: SYNERGY (blythe/ eyges/ ditmas)
arthur blythe (as), david eyges (cel), bruce ditmas (dm).
aus SYNERGY, in & out 1997, rec. 1996 nyc

bei allmusic steht, dass blythe beinahe ein star geworden wäre – von columbia aus seinem avantgarde-umfeld herausgeholt, etwas abwartend unterstützt, schließlich fallen gelassen und wynton marsalis als neuen heilsbringer vorgesetzt bekommen. naja. das war ein experiment hier, blythe zu präsentieren, denn sein ton ist ja wirklich sofort identifizierbar (war ja auch so) – was ja schon mal eine leistung ist. dieses schräge trio, fast komplett frei improvisierend, von david baker in seinem berüchtigten subtilen kellersound aufgenommen, kam 1986 zusammen, entwickelte synergien und nannte das auch so. eyges bissiger cello-ton und sein kammermusikalischer zugang, ditmas‘ streisand-, garland- & gil-evans-erfahrungen und das free-blues-spiel des saxophonisten hätten eigentlich kaum weniger zusammenpassen können. aber die cd ist eine meiner liebsten, frei in jeglicher hinsicht, auch im zulassen eines rockbeats wie hier (und noch einmal auf dem album). das passiert, wenn sich szenen, auch freie, nicht unbedingt eine eigene behaglichkeit schaffen, sondern risiken eingehen. bei dem spieltechnischen niveau dieser drei ist jeder freiflug aber auch zweifelsfrei gut abgesichert.

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