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#5
frank gratkowski trio: SENGA (gratkowski)
frank gratkowski (cl), dieter manderscheid (b), gerry hemingway (dm)
aus THE FLUME FACTOR, random acoustics 1998, rec. graz 1997
auf einer autobahnfahrt durchs ruhrgebiet, vor etwa 14 jahren, lief diese musik im radio und warf fragen auf. wer spielt so? motivisch, subtil modulierend, mit langem atem und sensiblen mitspielern? ich hatte ca. 7 minuten zeit, bis das rätsel vom moderator (karl lippegaus, glaube ich) aufgelöst wurde. ich muss zugeben, dass ich die ganze cool-tradition damals noch nicht kannte, auch nicht gratkowskis lehrer: nistico, mariano, lacy. mir kam das unerhört neu vor. da ich aber nicht weit weg von köln war, konnte ich das schnell nachholen und wusste bald, wer gratkowski und manderscheid sind. die cd erstand ich dann bei den jazztagen in moers nach einem loft-im-exil-konzert. die szene selbst ist ja ein bisschen selbstgenügsam, ein bassist wie manderscheid wahrscheinlich deshalb auch viel zu unterschätzt. walter wierbos (der das trio normalerweise zum quartett erweitert) hat allerdings einen anderen hintergrund, hemingway sowieso und gratkowski (mittlerweile wohl in berlin) immerhin international ausgerichtete fühler (vor kurzem gab es eine duo-aufnahme mit hamid drake). aber THE FLUME FACTOR mag ich deswegen so gerne, weil sie so anders ist, die diversen jahre musikstudium und –lehrtätigkeit der herren sich nicht heraushören lassen und die musik von wunderbarer lässigkeit geprägt ist. die free-sachen sind ultrahart und laut und nach vorne, die swingsachen swingen im großen bogen, die kammermusikalischen zwischenspiele sind angenehm kurz. noch lieber hätte ich das michael moore gewidmete altsax-stück CALIFORNIA ROLL genommen, aber das ist fast 15 minuten lang. und danach kann man eigentlich nichts anderes mehr hören, erst mal.
#6
art ensemble of chicago: SUITE FOR LESTER, pt. 4 (mitchell)
roscoe mitchell (sax), malachi favors maghostut (b), famoudou don moye (dm)
aus TRIBUTE TO LESTER, ecm 2003, rec. chicago 2001
ein toller sidekick in der ensemblediscografie. lester war gerade gestorben, joseph macht eine spirituelle pause und manfred wollte zum ersten mal seit 1985 wieder eine platte von ihnen veröffentlichen. herzstück dieser völlig unkitschigen und nur auf‘s zweite hören traurigen hommage ist mitchells SUITE FOR LESTER, von der ich hier nur einen ausschnitt ausgewählt habe. mit humor, klarheit und dem sinn für’s wesentliche wird hier was auf den punkt gebracht, wofür andere mindestens 5 konzeptalben und mehrere stipendien des lincoln centers brauchen. aber natürlich konnte ich schlecht damit leben, dass jarman nicht dabei ist – und musste ihm einen extraauftritt geben.
#7
william parker organ quartet: BUDDHA’S JOY (parker)
darryl foster (ts), cooper-moore (org), william parker (b), gerald cleaver (dm)
aus UNCLE JOE’S SPIRIT HOUSE, centering/ aum fidelity 2010, rec. 2010 nyc
bevor jetzt wieder das übliche parker-bashing losgeht (hätte ich am anfang die falschen 5 mingus-platten gehört, hätte ich auch einen falschen eindruck von ihm…), gleich die klarstellung: das war meine liebste jazz-cd 2010. ein back-to-the-pop-roots-album von parker, eine hommage an einen onkel und eine tante, die seit 65 jahren verheiratet sind und die „kunst des alltagslebens“ beherrschen, so der bassist. so schrieb er ihnen ein paar songs und ein gedicht: „(…) first bike / baseball glove / electric train / dollhouse / joy in toys / dancing sky and early saturday sadness rain / like afternoon boiled peanuts in small paper bags / good drink / good food / the untouched piano / floating over the roofs of grey hands / a place where the blues lives / (…)“
die musik ist wunderbar gefühlvoll und tight, ein bisschen schäbig, ‚benutzt‘ vielleicht, vertraut. darryl fosters manchmal ungelenker, immer warmer soul-ton, cooper-moores variationen über das hohe register, cleavers unprätentiöses schlagzeug und parkers wuchtige stütztöne lassen mich total vergessen, wo hier gerade die musiktheoretische anbindung ist. BUDDHA’S JOY ist darüber hinaus billy bang gewidmet, mit dem parker schon einige bittersüße popmelodien umspielt hat. bei den kollegen von organissimo herrscht anfangs etwas verwirrung über das orgel-debüt von cooper-moore. später setzte sich aber eine allgemeine anerkennung durch.
#8
geri allen: RED VELVET IN WINTER (allen)
geri allen (p)
aus FLYING TOWARDS THE SOUND, motema 2010, rec. 2008
ja, dieser dame sollte auch endlich mal gerechtigkeit wiederfahren. gibt es eigentlich sonst jemanden, der in den 80ern bekannt geworden ist und auf solch hohem niveau klavier spielt? für mich war sie DIE entdeckung auf steve colemans rein akustischem debüt MOTHERLAND PULSE, ohnehin eine hoch inspirierte angelegenheit, wo sie seine kantigen linien so schräg und störrisch störte, mit monkischem bop-ansatz und fast unhörbaren, eleganten glissandi. ganz am anfang gab es schon eine soloplatte von ihr (vijay iyer hat sie kürzlich wieder empfohlen), die man nicht mehr bekommt und die ich auch nicht kenne. 2010 hat sie wieder eine gemacht, vielschichtig, leicht und wie üblich sehr selbstbewusst. RED VELVET IN WINTER finde ich sehr typisch für sie, die vampfigur der linken hand, die muskulösen, abwechlungsreichen umspielungen der linken. ja, jeder weiß, dass sie was kann, aber so richtige fans fehlen ihr wohl noch. als ich in den letzten jahren wieder auf sie aumerksam wurde, dachte ich: die ist ja immer noch so gut. ich hoffe, dass ich das durch dieses stück ein bisschen zeigen konnte.
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