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bullschuetzIch zum Beispiel höre auf der Platte eine absolut faszinierende Gesangsperformance – nuancen- und abwechslungsreich, emotional vielschichtig, von superzärtlich bis hundsgemein, von knurrig-wuchtig bis schwerst verletztlich, von märchenonkelraunerisch bis lässig, von lakonisch bis aufgewühlt. Ein großer Gesangsschauspieler! Und wie Dylan phrasiert, mit dem Rhythmus spielt, extrem verschleppt und dann wieder auf den Punkt knurrt – ich find’s grandios und ziemlich einzigartig.
Dass diesmal gleich mehrere Songs arg länglich und abwechslungsarm geraten sind, will ich bei aller Liebe zu Dylan nicht abstreiten. Narrow Way, Scarlet Town, Tin Angel und Tempest – jeden dieser Songs für sich genommen könnte ich recht gut vertragen. Aber alle vier zusammen ergeben allein 38 Minuten Spielzeit und verführen mich beim Zuhören recht unwiderstehlich zur Gedankenabschweifung. Obendrein finde ich zum Beispiel den Text von Tempest im Vergleich zu anderen Monumental-Epen der Dylan-Geschichte definitiv nicht so grandios, dass ich 40 oder 50 Strophen brauche. Hätte der alte Zausel (schönes Wort, tolo, und gar nicht so unpassend, finde ich) etwas mehr kreative Selbstdisziplin geübt, hier und da entschlossen gestrafft, auf das eine oder andere Lied verzichtet und eine Platte mit 50 Minuten statt fast 70 Minuten Spielzeit und so hinreißenden Nummern wie Duquesne Whistle, Soon after Midnight, Long and Wasted Years, Pay in Blood, Roll On John gemacht, wäre ich vor Begeisterung ausgerastet.
Keine Einwände. Es ist wie es ist. Du hörst das Album eben anders als ich. Für beides gibt es gute Gründe.
Was die von dir angesprochene mangelnde Selbstdisziplin betrifft, wäre sicher ein Co-Produzent für das Album keine schlechte Idee gewesen. Nach meiner Ansicht hat Dylan nicht selten ein Problem damit, seine künstlerische Kreativität mit der Produktion im Studio in Einklang zu bringen. Ich glaube nicht, dass er als Jack Frost/Bob Dylan Opfer eigener Selbstgefälligkeit wird, sondern eher, dass er wohl anderen Produzenten nicht mehr traut oder vielmehr ihnen nicht mehr zutraut Ideen nach seinen Vorstellungen umzusetzen. Vermutlich ist ihm aber oft selbst nicht klar, wie sein Album eigentlich klingen soll. Dies wiederum mag vielleicht daran liegen, dass er mehr Songschreiber und Geschichtenerzähler, als Musiker ist. Und vielleicht ist er ja auch ein klitzekleines bisschen starrsinnig.
Mir fallen spontan ein paar Produzenten bzw. Co-Produzenten ein, die sich Dylan hätte gönnen können: Tchad Blake, T-Bone Burnett, Daniel Lanois, Todd Rundgren und – ja – weshalb nicht auch Rick Rubin. Bei den Alben die mir von Dylan gefallen, waren stets – mit Ausnahme von BLOOD ON THE TRACKS (eine chaotische Produktionsgeschichte, die jeden Produzenten zur Verzweiflung gebracht hätte) – andere Produzenten verantwortlich bzw. mitverantwortlich: Daniel Lanois (OH MERCY), Bob Johnston (NASHVILLE SKYLINE), Rob Fraboni (PLANET WAVES), Gordon Carroll (PAT GARRETT & BILLY THE KID).
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