Re: Jack White – Blunderbuss

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annamax

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Sehr wohlwollende Besprechung bei Spiegel-Online:

Jack White – „Blunderbuss“

Jack White muss man eigentlich nicht mehr groß erklären, aber wir machen das jetzt trotzdem nochmal. Der Allround-Musiker aus Detroit, der Gitarren aus einem Brett, einem Draht und drei Nägeln bauen kann, ist der vielleicht einflussreichste Rock-Produzent der USA, seit Rick Rubin nur noch Popstars betreut. Seine Bands – The White Stripes, The Raconteurs, The Dead Weather – setzten in den vergangenen zehn Jahren Maßstäbe für einen rohen, auf den Sixties-Garagenrock verweisenden Rock’n’Roll-Sound, der die jetzt virulente Sehnsucht nach Live-Authentizität und analogem Klang vorwegnahm. Kurz gesagt: Die inzwischen wie White in Nashville ansässigen Black Keys hätten ohne dessen Vorarbeit für ihren aufs rappelnde Skelett reduzierten Soul-Blues’n’Roll niemals einen Grammy gewonnen. Nach dem im vergangenen Jahr proklamierten Ende der White Stripes tritt White nun erstmals als Solo-Künstler an. Wie das US-Magazin „Billboard“ staunend, aber richtig erkannte, dienten die zahlreichen Beteiligungen und Betätigungen Whites in den letzten drei, vier Jahren offenbar vor allem als Vorbereitung für diesen großen Moment, in dem er die ganze, beeindruckende Bandbreite seines Spektrums gebündelt abbilden kann: Das Rumpeln und Rasseln der White Stripes ist ebenso vorhanden („Sixteen Saltines“) wie der Classic Rock der Raconteurs („Weep Themselves To Sleep“). Aber auch aus seiner Arbeit als Produzent an Wanda Jacksons Comeback-Album nahm er Einflüsse mit, zum Beispiel für das im Retro-Country-Stil gehaltene Titelstück oder den Sixties-Groove „I’m Shakin'“. In seiner Kooperation mit Danger Mouse und Daniele Luppi für „Rome“ könnte er die bisher unbekannte Zartheit und Ruhe für die breitwandige Ballade „Love Interruption“ gefunden haben.

„Blunderbuss“ ist wie ein überladener Schaukasten voll funkelnder Glasperlen, ein klappriger Pferdewagen mit geheimnisvollen Arzneien und Lotionen, wie sie im Wilden Westen über die Dörfer fuhren. Und Jack White sitzt an den Zügeln und kobert und preist seine wundersamen Waren an wie ein echter Flim Flam Man, ein Gaukler und Hochstapler. Natürlich tut er nur so, als hätte er den Boogie von „Trash Tongue Talker“, den Country-Rock von „Take Me With You When You Go“ oder die Beatles- und Kinks-Einflüsse in Songs wie „Hip (Eponymous) Poor Boy“ oder „On And On And On“ in 60 Jahren Rockgeschichte selbst erfunden und gelebt. Jack White ist ein Schwindler und ein Schelm, aber er ist auch ein sensibler, großartiger Musiker mit großem Herz – und er liebt diese alte, knarrende Musik. Auf seiner Solo-Tournee will er je nach Tageslaune mal mit einer rein männlichen, mal mit einer rein weiblichen Band auftreten. Und als Werbeaktion ließ er hunderte Flexi-Discs seiner ersten Single an Helium-Ballons aufsteigen, als (vermutlich unerreichbare) Gratis-Gabe für seine Fans. „Blunderbuss“ heißt übersetzt übrigens „Donnerbüchse“. Ein vernehmlicher Volltreffer. (9) Andreas Borcholte

http://www.spiegel.de/kultur/musik/0,1518,827896,00.html

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I'm pretty good with the past. It's the present I can't understand.