Re: Blind Fold Test #9: Friedrich

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friedrich

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Auflösung Teil 4

#12: Alex North & His Orchestra – French Quarter

Various: Crime Jazz: Music In The Second Degree (1997)
Ursprünglich stammt das Stück aus dem Soundtrack zum Film A Streetcar Named Desire von 1951 von Elia Kazan nach dem Stück von Tennessee Williams.

Besetzung: keine Angaben

Ein weiteres Stück aus einem Filmsoundtrack, diesmal aber in der Originalversion. Ich habe das Stück nur auf einer Kompilation, die diverse jazzige Musik versammelt, die in den 50er und 60er Jahren als Untermalung von vor allem Krimis und Detektivfilmen diente, darunter natürlich eine ganze Reihe reißerische Titelmusiken, u.a. von Quincy Jones, Stan Kenton, Henri Mancini, Lalo Schifrin, Stan Getz und anderen. (Es gibt natürlich auch ein Schwesteralbum mit dem Untertitel Music In The First Degree)

Aus den liner notes: „The material on this disc was never quite seriously regarded as music that made an „art statement“. For jazz fans it may have been all right, but it didn’t place the emphasis on extended soloing to qualify as „jazz“, despite the fact that most of the musicians you’re hearing here are West Coast Jazz leading lights. Instead, it lingered on the sidelines, affixed to movies that would be, in most cases, forgotten soon after release. The crime drama was viewed as something only slightly better than a monster movie (until the French rediscovered it, anyway)“

French Quarter stammt nun ausgerechnet nicht aus einem Krimi, sondern aus einer Literaturverfilmung, in der es aber auch um Sex, Gewalt und Wahnsinn geht. So sehr hier mit Klischees hantiert wird, so großartig sind doch die messerscharfen Arrangements, die oft brillanten Solisten, die Dramaturgie, und die Stimmungen, die damit erzeugt werden. Und dann kamen Louis Malle und Godard und aus Krimi wurde Kunst …

Trailer mit einer anders orchestrierten Fassung der Musik: http://www.youtube.com/watch?v=5vPEs_r5Nts&feature=related

#13: Gil Evans – Straight, No Chaser

Album: Great Jazz Standards (1959)

Gil Evans: p; Johnny Coles, Louis Mucci, Allen Smith: tp; Bill Eaton, Curtis Fuller, Dick Lieb: tb; Bob Northern: flh; Bill Barber: tuba; Steve Lacy: ss; Al Block: reeds; Chuck Wayne: g; Dick Carter: b; Dennis Charles: dr.

Eine weitere Monk-Komposition, wobei das hier eher Zufall ist. Mir kam es bei diesem Stück mehr auf des Arrengement von Gil Evans an: der aufregende Pianotriller am Anfang, die Klangflächen, die dazwischen schneidenden Disharmonien und die Dramatik, die damit erzeugt wird. Das Sopransax spielt übrigens Steve Lacy, der 1959 wohl noch so wenig bekannt war, dass er namentlich nur unter ferner liefen erwähnt wird.

#14: Joe Lovano – Angel Eyes

Album: Rush Hour (1995)

Joe Lovano: ts; James Chirilo: g; Edwin Schuller, Mark Helias: b; George Schuller: dr. Dazu Streicher, Flöte und Harfe unter Gunther Schuller als Arrangeur und Dirigent.

Noch eine große Besetzung, diesmal arrangiert von Gunther Schuller, der – wie ich erst hier erfuhr – aus Birth Of The Cool-Tagen auch Verbindungen zu Gil Evans hat. Der Leader und Solist ist aber Joe Lovano, also einer, der auf diesen Seiten nicht immer den besten Ruf hat. Zu mainstream? Zu konservativ? Zu professionell? Egal, denn wie er hier Sax spielt, zerreißt einem das Herz und – fast hätte ich es so ausgedrückt – Gunther Schuller webt ihm den passenden Soundtrack dazu. So wird großes Kino daraus. Rush Hour versammelt einige Standards (dieser hier, Ellington, Strayhorn, Mingus …) mit einigen Originalen. Teils sehr aufwändig arrangiert, teils aber auch als Duette (auf einem Stück begleitet sich Lovano selbst an den Drums), teils hypernervös (das Titelstück), teils sehr entspannt (Chelsea Bridge) und teils – herzzerreißend. Das Album ist teils auch etwas gewöhnungsbedürftig, vor allem wenn Lovano sich von der Sopranstimme seiner Ehefrau Judi Silvano begleiten lässt. Aber irgendwie klasse!

#15: Terence Blanchard – The Man With The Golden Arm

Album: Jazz In Film (1999)

Terence Blanchard: tp; Joe Henderson: ts; Kenny Kirkland: p; Reginald Veal: b; Carl Allen: dr. Orchester unter der Leitung von Terence Blanchard.

Terence Blanchard stammt as dem Dunstkreis von Wynton Marsalis. Wenn er keinen Jazz spielt, schreibt er Soundtracks (z.B. für alle Spike Lee Filme seit 1991, für die Doku When the Levees Broke über Hurricane Katrina aber auch zu solch Hollywood Schinken wie Glitter mit Mariah Carey). Auf Jazz In Film interpretiert er ausschließlich Themen aus zumindest von Jazz beeinflussten Soundtracks, darunter A Streetcar …, Chinatown, Anatomy of a Murder, Taxi Driver und hier ein von Elmer Bernstein geschriebenes Thema aus dem Otto Preminger Film The Man With The Golden Arm von 1955 mit Frank Sinatra in einer seiner größten Rollen.

Es ist nicht die Titelmusik sondern stammt aus dieser Szene, in der Sinatra ein Vorspielen als Drummer verpatzt: http://www.youtube.com/watch?v=gjXZ-qqkEfM In der Rolle des blasierten Bandleaders: Shorty Rogers, als Drummer Shelly Manne..

Blanchard rück-übersetzt die Musik aber in einen sehr virtuos, glanzvoll und professionell gespielten Mainstream Jazz, etwas, das hier auch schon mit James Last und Musik für Unterhaltungsshows verglichen wurde. Andere Urteile fielen aber auch deutlich anerkennender aus. Wir hören hier übrigens sowohl Joe Henderson als auch Kenny Kirkland auf ihren jeweils letzten Aufnahmen, glaube ich.

Der original Filmtrailer: http://www.youtube.com/watch?v=Ujgu8C4lN68

Abschließend noch ein kleiner Nachtrag zum Soundtrack von Kansas City:

Der Trailer: http://www.youtube.com/watch?v=66rtqQ2Q-Wk

Kansas City Band spielt Moten Swing: http://www.youtube.com/watch?v=BU_27g4pi9Y&feature=related

THE END

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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)