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Und hier ist die Auflösung, Teil 1:
#01 a – e: Evan Lurie – Soundtrack zu dem Kurzfilm THE CALL OF THE WYLIE (Regie Fisher Stevens) Titel: Fired! / The Call of the Wylie / Mary Melody To The Hollywood Hills / The Class / You Can’t Go Home Anymore
Album: How I Spent My Vacation (1998)
Steve Elson: cl, b-cl, ts; Steven Bernstein: tp; Art Baron: tb, euphonium; Eileen Folsom: cello; Evan Lurie: p; Greg Cohen: b; Douglas Bowne: dr, perc.
Ich weiß nicht mehr, was zuerst da war: Die Idee, diesen BFT mit diesen 5 Tracks zu beginnen, die Absicht einige Tracks einzuflechten, auf denen ein bestimmter Musiker immer wieder auftaucht oder das Thema Filmmusik, dass sich ebenfalls locker durch diesen Mix zieht. Auf jeden Fall schien mir dieser kleine Soundtrack als eine Art kleine Ouvertüre für meinen BFT sehr geeignet. Manche haben dies eine Suite genannt, und irgendwie trifft das auch zu, denn für mich funktioniert das auch ohne Film. Mir gefällt, wie sich diese „Suite“ durch die Stimmungen hangelt, indem verschiedene Stile und Klangfarben eingesetzt werden. Die Inhaltsangabe zu diesem Lo-Budget Film liest sich so: „In Call of the Wylie, a famous Toon star, washed up and run over, seeks salvation in the bottom of a cocktail glass. Beep! Beep!“ Alles klar? Das Album enthält ausschließlich Lo-Budget Soundtracks, die teils sehr unterschiedlich instrumentiert sind, von dieser kleine Jazz-Suite für Septett über Kammermusikalisches mit Violine, Oboe, Cello, Fagott und Trompete bis zu einem Pianosolo und einiges anderes mehr.
#02: Steven Bernstein – Hollywood Diaspora
Album: Diaspora Hollywood (2004)
Steven Bernstein: tp, flh; Pablo Calogero: bs, b-cl, fl; D.J. Bonerbrake: vib; David Pitch: b; Danny Frankel: dr, perc.
Und hier ist auch gleich das zweite Stück mit Beteiligung von Steven Bernstein, wenn auch das einzige mit ihm als Leader. Diaspora Hollywood ist sein drittes in einer Serie von 4 Alben, auf denen er meist traditionelle jüdische Themen verarbeitet, indem er sie in andere Idiome übersetzt oder sie damit versetzt. Auf dem ersten Album Diaspora Soul sind das z.B. eine 5-köpfige Bläserbesetzung, die er sich aus New Orleans abgeguckt haben will, ein schleppender Funk und afro-cubanische Perkussion. „Who loves a cha-cha more than the Jews?“ fragt er dazu in den Liner Notes. Auf Diaspora Hollywood nähert er sich – der Titel verrät es – dem West Coast Jazz. Das schöne ist eigentlich, dass er dabei nicht einfach West Coast à la Chet Baker, Gerry Mulligan, Shelly Manne etc. nachspielt, sondern eher so klingt, als versuche eine Klezmerband West Coast zu spielen, daran aber scheitert und zu einem anderen aber umso originelleren Ergebnis kommt. Der Geist des West Coast zieht aber doch durch das Stück: die melancholische Trompete, die durch Vibrafon und Flöte erzeugten Pastelltöne …
#03: Don Byron – The Dicty Glide
Album: Bug Music (1996)
Don Byron: cl, bs; Steve Wilson: as; Robert DeBellis: ts; Charles Lewis: tp; Steven Bernstein: tp; James Zollar: tp; Craig Harris: tb; Pauk Meyers: bj; Kenny Davis: b; Pheeroan akLaff: dr.
Das dritte Stück, auf dem Steven Bernstein zu hören ist, wenngleich ich nicht beschwören könnte, an welcher Stelle genau. Das Solo am Anfang?
Und wieder haben wir es mit einer Adaptation eines historischen Jazzstiles zu tun. Don Byron widmet sich auf Bug Music dem Jazz der 20er und 30er, indem er Stücke der Bandleader John Kirby, Raymond Scott und in diesem Falle Duke Ellington interpretiert. Teilweise recht kabarettartiges Zeug mit Titeln wie Bounce Of The Sugar Plum Fairies, das sich so ähnlich anhört, wie sich der Titel liest. Im Falle Duke Ellington geht es aber um dessen Jungle Style der Cotton Club-Ära, der sich aus heutiger Perspektive doch sehr fremdartig anhört, so dass man sich erst mal darauf einlassen muss. Aber dann entfaltet sich doch ein ganz eigener Reiz. Über das Für und Wider eines solchen Retro-Ansatzes lässt sich trefflich streiten. Auch anhand des folgenden Stückes.
#04: Kansas City Band – Moten Swing
Album: Kansas City – Original Soundtrack (1996)
Nicholas Payton: tp; James Zollar: ct; Don Byron: cl; James Carter: ts; Jesse Davis: as; David Newman: as; Joshua Redman: ts; Mark Whitfield: g; Geri Allen: p; Christian McBride: b; Victor Lewis: dr.
Kansas City ist „a jazz-scored film that explores themes of love, crime, race, and politics in 1930’s Kansas City“ von Robert Altman. Der Film war kein großer Erfolg, der Soundtrack hingegen schon. Die Filmmusik ist dabei meines Wissens fast ausschließlich Musik, die von einer Band gespielt wird, die im Film auftritt und deren Mitglieder teilweise Musiker aus den 30er Jahren verkörpern: Joshua Redman spielt Lester Young, James Carter spielt Ben Webster, Geri Allen spielt Mary Lou Williams usw., wobei man es mit der Rollenverteilung aber nicht immer so eng sieht. Die Band imitiert dabei hemmungslos den Kansas City Jazz der 30er, soweit, dass die Musiker teils den Ton ihrer jeweiligen Vorbilder nachahmen. Auch wenn die Liner Notes das Solo von James Carter mit Don Bias in Verbindung bringen, meine ich hier eher Ben Webster zu hören. Aber vielleicht nahm man es auch damit nicht so genau. Das ist natürlich alles Theater, Fake und Schummel, aber auf höchstem Niveau. Eigentlich im Jazz ein no go, und in wie weit das gelungen ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Diese Platte habe ich mir extra für diesen BFT besorgt. Grund: Steven Bernstein spielt hier zwar nicht mit, ist aber als musical director (ich nehme an Arrangeur …) beteiligt. Bei einem gegenwärtigern Marktwert der Platte auf dem virtuellen Flohmarkt von weniger als € 2,00 war das Risiko tragbar. Ich habe von dieser Platte eigentlich nicht viel erwartet, war dann aber doch angenehm überrascht. Man kann mit dem Album, ein-zwei Bierchen oder hochprozentigeren Getränken durchaus Spaß haben.
Fortsetzung folgt.
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)