Re: Blind Fold Test #9: Friedrich

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friedrich

Registriert seit: 28.06.2008

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gypsy tail wind#1 –
Eine Suite zum Auftakt… europäisch oder Zorn’isch? … und immer wieder die Trompete, die durchaus etwas vom schränzenden Spiel Steven Bernsteins hat.

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Es ist keine Suite sondern ein kompletter Soundtrack für einen Kurzfilm, den ich allerdings nicht kenne. Ich würde mal vermuten, dass es sich um eine etwas cartoonische Komödie handeln dürfte. Vielleicht sogar Stummfilm? Nicht europäisch und auch nicht zornig, obwohl Du mit dieser Vermutung der Sache schon sehr nahe kommst. Mit Steven Bernstein hast Du jedenfalls einen der Musiker herausgehört. Hut ab!

gypsy tail wind#2 –
Der Übergang hier ist enorm raffiniert … und das könnte jetzt wirklich aus der Downtown-Szene aus NYC kommen? Klingt jedenfalls einigermassen nach Dave Douglas in einem guten Moment. Ein melancholischer Auftakt, der aber voller kleiner Überraschungen steckt und mir durchaus auch Freude macht!

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Tja, der Übergang fiel mir eigentlich in den Schoß… Das Stück hast Du inzwischen ja erkannt, und damit dürfte auch die Verbindung zu #01 zu erkennen sein. Der Mann tanzt auf unzähligen Hochzeiten, wenngleich er als Leader und unter seinem eigenen und wirklichen Namen nur eine handvoll Alben gemacht hat. Ich kenne ein paar seiner Sachen und die sind nicht nur von der Qualität sondern auch vom Niveau her sehr unterschiedlich. Vielleicht ist das aber auch eine Frage der Perspektive. Sein erstes Soloalbum ist aber großartig. Dieses Stück ist allerdings von Album Nr. 3 aus dieser „Serie“. Auch das ist gut.

gypsy tail wind#3 –
… das ist Retro-Zeugs, das ich irgendwie nicht hören mag, auch wenn die erste Trompete ganz enorm charmant ist und mein Herz sofort schmelzen lässt! … Finde es hier schwierig, das einzuschätzen, denn die Adepten machen den Job doch so gut, dass ich kaum mehr hören kann, woher die wirklich kommen – sie gehen in der Rolle auf … Hier im BFT funktioniert’s allerdings ganz gut.

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Ist auch erkannt worden. Ich denke, diese Musik kann man ganz unterschiedlich hören, Natürlich ist das Retro, Hommage, Fake oder was auch immer und dann steht es natürlich immer auch sofort im direkten Vergleich mit dem Original. Habe das Original aber erst später kennen und schätzen gelernt. Du musst jetzt aber noch erraten, wer einer der beiden Trompeter ist …

gypsy tail wind#4 –
Kansas City… mit einem guten Altsax zum Auftakt, aber danach stimmt der Rhythmus nicht, die Drums sind zu flüssig und zugleich zu zickig, der Bass zu hart… das fliesst nicht so schön, wie die echte KC-Musik, die von Basie, McShann etc. Das Altsax ist toll, der Einstieg des Tenors (haarscharf an „Exactly Like You“ vorbei)ebenfalls, aber danach wird es leider nicht besser, finde ich… !

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Nochmals Hut ab! Kansas City ist richtig und nicht New York oder Chicago, was ich vermutlich selbst nicht erkannt hätte, wenn ich es nicht wüsste. Auch das ist Retro-Zeugs und Du als Kenner des Originals hörst das hochsensibel und kommentierst entsprechend. Ich bin da unempfindlicher und gnädiger und vorgarten offenbar auch. Wenn ich verrate, dass das irgendwie mit einem Thema, dass sich locker durch diesen BFT zieht, zu tun hat und dass ein gewisser Trompeter hier die Finger mit im Spiel hat – jedoch nicht als Instrumentalist – fällt Euch die Lösung beinahe direkt vor die Füße….

gypsy tail wind#5 –
Das Stück kenne ich, komm aber nicht drauf (dasselbe natürlich bei #3 und #4)… gefällt mir gut, das ist jetzt auch tatsächlich älteren Datums, oder? Die Gitarre erstaunt mich ein wenig… und das am Altsax kann eigentlich fast nur Johnny Hodges sein, oder? Die Aufnahme kenne ich jedenfalls nicht, glaube ich… habe jetzt doch meine Zweifel, aber heute morgen dachte ich sofort: „Hodges!“ – und das könnte auch durchaus Ellington sein, der so unglaublich toll am Piano werkelt!

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Das hast Du ja inzwischen rausgefunden. Ja, ein älteres Stück, jedoch in einem Stil, der zum Aufnahmezeitpunkt schon in die Jahre gekommen war, wie auch die Musiker. Ich bin aber beeindruckt, wie frisch das klingt, obwohl damals schon Bebop, Cool, Hard Bop und Free etc. ff. an den alten Haudegen vorbeigezogen waren, die das offenbar aber überhaupt nicht beeindruckt. Noch vor einigen Jahren hätte ich das vermutlich altmodisch gefunden, aber heute weiß ich das manche Dinge einfach nicht altern. Ich glaube ich kann hier verraten, dass der Saxofonist tatsächlich Johnny Hodges ist, ohne den Ratespaß zu verderben. Der Pianist ist aber nicht Ellington und ich finde der lässt die Töne nur so sprühen. Es ist dieses Album und es ist mir ein Rätsel, wieso man es heute offenbar nur noch irgendwo versteckt als „Bonus-Album“ bekommt.

gypsy tail wind
#6 – „Days of Wine and Roses“ in einem irgendwie etwas Zirkus-mässigen Arrangement (ja, das ist negativ gemeint, Zirkus macht mich eigentlich nur traurig). … Fazit: Das gibt mir nicht sehr viel hier – es tut nicht weh, aber er berührt mich auch nicht, zieht einfach an mir vorbei, zu brav. Pardon.

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Das „Zirkusmäßige“ wird dem Leader/Pianisten häufig attestiert. Ist auch nicht von der Hand zu weisen. Für seine Verhältnisse ist das tatsächlich etwas brav, denn oft bewegt er sich in ganz anderen Sphären. Ich finde das trotzdem reizvoll, weil er hier zwar einerseits so traditionell spielt, andererseits das Stück aber fast aus den Fugen zu geraten scheint. Es sind übrigens wirklich zwei Drummer.

gypsy tail wind#7 –
Das hier ist ja irgendwie auch schon fast wieder Retro, oder? Es weckt jedenfalls viele Erinnerung. Aber er gefällt mir gut, dieser dichte Teppich aus Klängen, Flöten und Piccolos, Röhrenglocken, Becken, Bässe, obenaus der Singsang der Trompete, mittendrin die anderen Bläser, ein Saxophon, …
Sehr schön dann der Übergang in diesen Minimal-Groove… Klarinette, Vibes, ist da noch ein Rhodes oder eine Farfisa oder sowas drin? Klingt jedenfalls plötzlich mehr nach Rzewski als nach Sun Ra, Don Cherry oder Pharoah…

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Rzewski kenne ich nicht. Diese Band bezieht sich unter anderem auf Sun Ra, aber auch auf vieles anderes, insofern kann man es auch als Retro bezeichnen, besser aber als postmodern. Deswegen können die auch diese zwei Teile so unbefangen miteinander verbinden. Ich finde der Reiz des Stückes kommt vor allem daher. Es ist ein „Pianette“ und ein Arp Synthesizer mit drin. Ich glaube es ist das neueste Stück in diesem Mix, 2007 und kommt aus Chicago.

gypsy tail wind#8 –
Das hier ist wieder ein sehr gelungener Übergang! Der Groove klingt afrikanisch, einer dieser Grooves, der endlos weiterlaufen könnte… die Bläser verschieben sich darüber, scheinen ein eigenes Tempo zu spielen, das ergibt eine tolle Wirkung. Leider fällt das dann nach zwei Minuten in einen eher simplen Groove. Das Sax hier erinnert mich – wie oben angedeutet – streckenweise sehr an Eddie Harris, diese leicht träge Phrasierung und diese Rhythmik, die genau den endlosen loopenden Groove in sich trägt, wie ihn hier zum Auftakt die Rhythmusgruppe spielt… schönes Stück, das zwischendurch irgenwie etwas Filmisches hat. Definitv aus den USA, aber keine Ahnung, wer das ist (ca. frühe 90er, würd ich schätzen).

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Den Übergang musste ich einfach bringen! Ein zweiter Grund für die Wahl dieses Stückes ist, das hier wieder ein gewisser Trompeter zu hören ist. Die Band ist eine, von der mancher vermutlich gar keine ernstzunehmende Jazzmusik erwarten würde, jedenfalls nichts was in irgendeiner Weise authentisch ist. Und sie neigen auch tatsächlich zur Pose. Machen aber trotzdem tolle Musik. USA ist richtig, späte 90er und der Leader mischt auch manchmal im Film mit.

gypsy tail wind#9 –
Eine Sun Ra-Hommage, nehme ich an? Sind das Kesselpauken? Irgendwie gefällt mir das ganz gut, aber es ist eben auch wieder Retro… und diesmal haben wir defnitiv eine Farfisa, ja? Die Beats sind toll, die Melodie wunderbar (klingt bekannt… aber ich komm wie üblich nicht drauf – schätze schon Sun Ra, ja?) – Posaune und Trompete sind toll!
Aua, harter Schnitt in den neuen Track, der heute morgen noch fehlte…

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Ja, eine Sun Ra Hommage, eigentlich sein bekanntestes Stück. Auch hier würde ich das Wort „postmodern“ bevorzugen. Aber auch wieder ziemlich zirkusmäßig, oder? Der Trompeter hat hier so was wie einen Gastauftritt, eigentlich ein deutlich älteres Semester als der Posaune spielende Leader. In den credits sind nur „Keyboards“ aufgeführt. Könnte eine Farfisa sein.

gypsy tail wind#10 –
.. und was ist das denn? Pastiche, aber irgendwie grandios! Wow! Darauf bin ich echt gespannt! Ellington-Nummer, oder? Und wieder krieg ich den Titel nicht auf die Reihe… ach ne, Mingus! Verdammt! YEAH! :sonne:

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Der harte Schnitt kommt daher, dass #09 auf dem Album in das nächste Stück übergeht und ich das einfach abgeschnitten habe. Kein Ellington, auch kein Mingus, wenngleich gerade letzterer recht nahe liegt und auch ungefähr aus der gleichen Ecke kommt wie der Urheber dieser Komposition, deren Titel schon fast länger als diese Aufnahme und auch fast schon eine Selbstpersiflage ist. Die Komposition müsstet Ihr herauskriegen, wer das hier spielt, erkennt man nur, wenn man die Aufnahme kennt. Vielleicht, kann man es über ein paar Umwege recherchieren, aber das wäre schon fast detektivisch ..

gypsy tail wind#11 –
Oder doch Frisell? Das lässt mich so kühl zurück, wie es klingt. Den Saxophonisten könnte ich vielleicht in einem anderen, weniger elegischen Kontext durchaus mögen, wer weiss. … vielleicht müsste ich hier die ganze Scheibe hören, um das wirklich beurteilen zu können. Ich mag ihn an sich ganz gerne, bisher…

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Der Gitarrist ist Frisell, aber er ist nicht der Leader. Der Originalkontext dieses Stückes ist filmischer Natur, aber das hier ist eine Zurückübersetzung in jazzige.

gypsy tail wind#12 –
Das hier ist toll! Klingt irgendwie nach Mischung aus Gil Evans und Mingus. Grossartig das Barisax am Boden, dazu die Posaunen mit ihrem Endlos-Riff… crime jazz, irgendwie… tolles Alt, hübsche Trompete, starkes Piano. Kommt mir nicht bekannt vor, aber auch hier würde ich sehr gerne mehr hören!

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Ich glaube das kann man nicht rausfinden. Ich selbst weiß weder, wer der Posaunist, noch wer der Trompeter ist. In den Credtis wird nur der Komponist and his Orchestra erwähnt. Den Vergleich mit Gil Evans und Mingus dürfte der Komponist als dickes Lob empfunden haben. Höre ich ähnlich. Und damit weißt Du auch, warum auf diesen Track der nächste folgt.

gypsy tail wind#13 –
Wie gesagt: Whisky und Gin trinkt man eben straight! Wunderbares Trompetensolo, all die knapp doch nicht versauten Töne… der warme, weiche Ton… genau so, wie redbeans die Trompete liebt. Und dann kommt der unnachahmliche Herr am graden Horn… sehr, sehr toll! Auch das Piano, gespielt vom Arrangeur/Leader. Toll auch der Drummer, irgendwie verschleppt-lässig, aber doch auch treibend. … Warum dauert die Version auf der CD fast eine halbe Minute länger?

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Jetzt verstehe ich Dein Wortspiel! Klar, das ist Monk’s Straight No Chaser, arrangiert von einem, der sonst auch viel mit einem sehr bekannten Trompeter gearbeitet hat. Ich habe diese Aufnahme von einer uralten CD-Ausgabe des Original-Albums. Da war das Stück wohl etwas editiert.

gypsy tail wind#14 – Warum der Herr so gern gedisst wird, kann ich zwar irgendwie verstehen, aber ich gebe mir grosse Mühe, nicht mit einzufallen, denn wenn immer ich mir seine Alben anhöre, gefallen sie mir sehr. Ich habe ihn hier sogar ziemlich klar erkannt, diese kleinen, hohen „cries“ gegen Ende des Solos, der leicht verhangene Ton. Für die neugierigen, das kommt von dieser grossartigen und auch den Dissern absolut empfohlenen Scheibe.

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Jawohl!

gypsy tail wind#15 – Das Intro erinnert mich etwas an Moodys „Last Train from Overbrook“ – wie das Thema aufgeschichtet wird, mit grossem Vorwärtsdrang phrasiert. Kenne ich einmal mehr nicht… die Trompete hier ist sehr viel prahlender als jene in #13, aber macht die Sache gut, bleibt irgendwie linear, lyrisch, bei allem demonstrativen Chops-Gezeige. Tenor klingt nicht unvertraut, aber ich kenne das hier nicht… ein schöner Closer, auf jeden Fall!

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Hast du inzwischen auch rausgefunden, oder? Ich finde, das passt sehr gut an #14 hinten dran und fährt noch mal alles auf um zu einem großen Finale zu kommen. Der Zusammenhang erklärt sich auch hier wieder aus einem der kleinen thematischen Fäden, die ich durch diesen Mix gesponnen habe. Noch ein kleiner Tipp für die, die es noch nicht rausgefunden haben: Das Stück hat etwas mit dem meines Wissens einzigen (und erfolglosem) Auftritt Frank Sinatras als Schlagzeuger zu tun.

Vielen Dank für die sehr kenntnis- und geistreichen Kommentare!

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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)