Re: Blind Fold Test #9: Friedrich

#8284573  | PERMALINK

friedrich

Registriert seit: 28.06.2008

Beiträge: 5,160

vorgartentoller bft & ein schönes selbstporträt! ;-)

Naja, vielleicht ein paar Mosaiksteinchen meines multipel gespaltenen Persönlichkeitsbildes … ;-)

vorgarten
#1 a)-e)
mhhh… ich mag den rahmen, anfang & ende, mit diesem bassklarinetten- und cello-läufen, den gestopften und versetzten bläserspitzen und dem perkussiven schlagzeug. das ist musik mit frack und pomade, auch cartoon-begleitungs-tauglich, wenngleich natürlich auf anhieb als post 1990er einordbar. … ich tippe natürlich auf NY downtown, joey baron könnte der drummer sein, …

Eine Art kleiner Vorspann für diesen BFT. Mit „cartoon-begleitungs-tauglich“ und einigen anderen Vermutungen liegst Du gar nicht mal so daneben. Joey Baron als Drummer liegt auch nahe, ist er aber nicht.

vorgarten
#2
der bft, der mich interessiert, fängt hier an. schrubbelwalzer, in der luft hängende vibes, die sich langsam senken, eine großartige trompete, eine geheimnisvolle flöte. das thema wird ja mehr oder weniger nur umspielt, was durchaus reicht. ob das der von mir so häufig geschmähte dave douglas ist? mich hat diese abwärtsbewegung jedenfalls erfasst, ich lasse mich treiben.

Nein, nicht Dave Douglas, aber nicht sehr weit davon entfernt. Der Trompeter ist auch auf einigen anderen Aufnahmen hier zu finden, wenn auch manchmal mehr im Hintergrund.

vorgarten
#3
ups, full stop. meine idee zu #1 kommt hier als verspätetes echo. toll, wie ernst der ellington hier genommen wird. der posaunist mit dem muskulösen ton war ein spezieller crush von mir in den 90ern. das album hier mag ich sehr, den leader auch – gegen alle unkenrufe, auch hier im forum. viel schöner als #1 und hier reichen auch 3 minuten.

Korrekt erkannt! Ich wollte dieses Stück ursprünglich als zweites Stück direkt nach dem Vorspann bringen, habe dann aber noch was dazwischengefummelt. Hat auch was Cartoon-haftes, finde ich, jedenfalls aus heutiger Perspektive betrachtet. Wobei man auch bedenken sollte, dass diese Musik ursprünglich im Cabaret gespielt wurde. Wundert mich, dass Dir das gefällt. Aber es wundert mich ja sogar, dass das mir gefällt … ;-)

vorgarten
#4
das hier könnte ellington in echt sein. auch hier hat der spaß tiefe. klingt fantastisch – eine sehr gute aufnahme aus den 50ern? hier kann ich mich eigentlich nur blamieren, weil ihr die musiker wohl auf anhieb erkennen dürftet und behrend darüber bestimmt 50 seiten geschrieben hat, aber ich sag nur, dass mir das tenorsolo super gefällt. und der sound. und der spaß mit tiefe.

Hier blamiert sich keiner, und wenn Du die Musiker nicht erkennst, haben sie ihr Ziel schon erreicht. Denn das hier ist unter allem Gepansche, Fake und der Vorspiegelung falscher Tatsachen in diesem BFT das Unverschämteste! Die Musiker machen sich schuldig a) der Hochstapelei und Anmaßung b) der Störung der Totenruhe und c) der Blasphemie. Mindestens. Aber das Wesen des Betrügers ist ja eben, dass er nicht als solcher zu erkennen ist.

vorgarten
#5
es bleibt spaßig. und auch das liegt außerhalb meines akustischen horizonts. trotzdem gefällt mir das sehr gut, an allen ecken und enden. es funkelt und strahlt. jeder musiker hat meine volle sympathie, sogar der gitarrist (vor allem der). schön.

Das hier ist echt! Den Saxofonisten kennst Du. Hör noch mal genau hin. Der Pianist ist noch nicht erkannt. Der Gitarrist ist mehr als 25 Jahre jünger als Saxofonist und Pianist, die sich zum Zeitpunkt der Aufnahme bereits dem Rentenalter näherten, aber klingen wie der junge, frische Morgen.

vorgarten
#6
und wer ist das jetzt tatsächlich an der trompete? TT und nicht DC, oder?

Weder noch. DC spielt hier gar nicht mit, und das Solo ist, wenn ich dem Booklet glauben darf, auf dem Flügelhorn.

vorgarten
#7
ja!!! wir haben die umlaufbahn verlassen, erst mit coltrane, dann mit tortoise im geist oder gepäck. ist das das orchester des explodierenden sterns? … sehr schön auch die idee, #6 und#7 hintereinander zu setzen.

Wieder richtig. Musste ich einfach an des vorherige Stück ranhängen, so wie ich das wiederum an das davor ranhängen musste usw. usf. Aus dem Mittleren Westen zu den Sternen in zwei-drei Schritten. Ich glaube, die zwei sehr unterschiedlichen Teile dieses Stückes sind im Studio einfach zusammengeklebt worden. Jazzwise ist das zwar ein No Go, aber das Ergebnis heiligt die Mittel.

vorgarten
#8
das finde ich auch toll. erst denkt man: pseudo-afrika, dann kommt dieses etwas platte prä-m-base-funk-schlagzeug, … von john lurie, oder? also könnten das die von mir bisher völlig ignorierten lounge lizards sein… jedenfalls gefallen mir diese minimal-cluster mit der dezent extrovertierten ausbruchsgestik. auch wenn man jetzt nicht mehr durch’s weltall schwebt, sondern eher über einsame amerikanische landstraßen fährt.

So gut wie erkannt. Ich mochte den Übergang zwischen diesem Minimal Music Teil von #7 und dem kleinen Muster am Anfang von diesem Stück. Kam mir nie afrikanisch vor, aber jetzt wo Du es sagst … Und ja, wir landen wieder auf der Erde. Aber bloß für kurze Zeit.

vorgarten
#9
… weltraumliebe ist das jetzt? … ach – jetzt habe ich’s! die hier ist das. wollte ich mir immer mal besorgen, weil die ganzen musiker darauf toll zusammengestellt sind und der herr selbst ein riesentalent war, das dann wieder in der versenkung verschwand (glaube ich). großartig! eine wirklich liebevolle, fast chamäleoneke hommage!

Schon wieder ein Treffer! Das Stück ist natürlich ein Gassenhauer und ich finde es wird auch entsprechend interpretiert, eigentlich schon liebevoll persifliert. Hommage ist das richtige Wort. Das ganze Album ist eigentlich so. In diesem Mix ist dieses Stück ein Echo von #06 und #07. Wer erkennt den Trompeter? Jimi Tenor hat das auch aufgenommen? Muss ich mal hören! Ich weiß auch nicht, was aus diesem Talent wurde. Ich glaube, er hat noch mindestens ein weiteres Album als Leader gemacht.

vorgarten#10
… würde mich wohl normalerweise total nerven, hier finde ich’s toll. es gibt ein stück von maria bethania, das auch in knapp 2 minuten alles gibt, vom handklatschen bis zum ausgewachsenen bläsersatz plus riesenorchester. hier kommt das alles wohl aus einem elektronischen kasten, macht aber nichts. wie das aber wohl #9 und #11 verbindet? vielleicht lief ja #9 im innern eines planetariums in kaliornien ab, und nach dem ende der vorstellung bringt einen die gelangweilte mitarbeiterin mit lasziven schritten zur tür (#10), die sich öffnet und gleißend helles sonnenlicht hineinlässt. orangenplantagen, soweit das auge reicht…

Ein sehr schönes Szenario, was es eigentlich sehr gut trifft: #10 übertrifft die Persiflage/Hommage von #09 noch. Ich glaube das ist alles old school und analog eingespielt. Die Erstaufnahme dieses noch unerkannten Stückes ist mehr als 13 min. lang. Hier wird das alles in 2:00 min gepresst. Aber dann ist auch echt die Luft raus. Bloß: was dann? Szenenwechsel, jump cut, etwas völlig anders, zurück auf Los.

vorgarten
#11
na klar ist er’s. und dann sehe ich auch die orangenplantagen, die aufgeschlitzte killekätzchen-nase. sie ist meine tochter – meine schwester – meine tochter – meine schwester. und der großartig elegant-verkommene soundtrack von jerry goldsmith. das machen sie schön hier, weil sie wirklich wissen, wie ein film funktioniert. kennt wahrscheinlich jeder hier, ist aber eine tolle wahl.

Ja, den Sound erkennt man natürlich sofort, auch wenn der Mann mit dem Gitarrensynthesizer hier nicht der Leader ist. Apropos jump cut: Natürlich landen wir hiermit nicht nur in der irdischen Wirklichkeit, sondern auch im Filmischen.

vorgarten
#12
ob menschen, die in den 50ern in eine bar gegangen sind und livejazz gehört, geraucht und getrunken haben und es angenehm fanden, dass das licht im raum nicht allzu hell war, bewusst war, dass diese szenerie noch jahrzehnte später als klischees daurch die ohren von menschen geistert, die jazz nicht wirklich ernst nehmen? also barjazz hier – und vom film clair zum film noir. … ist das echt oder zitat? hodges oder tim berne?

Das ist vermutlich echter als Du denkst bzw. Zitat in einer anderen Weise als Du wohl vermutest, aber weder Hodges noch Berne.

vorgarten
#13
ein flirren aus klaviertrillern und wasauchimmer und los geht die jagd. straight, no chaser. klingt verdammt nach miles, … aber toll sind die bläserwolken, die da reinschweben, und dieses versponnene klavier, das sich nicht so richtig traut. ziemlich schräges arrangement… bin gespannt.

Wären wir hier beim Topfschlagen würde ich sagen: heiß, ganz heiß!

vorgarten
#14
„angel eyes“ – auch schön. komplexes streicherarrangement, claus ogermann in memoriam. harfe und alles drum und dran. und dann der erste tenorsaxophonton und ich weiß sofort, wer das ist. ich stehe dazu und finde den großartig, egal, wie geschmäcklerisch oder kokett seine konzeptalben sind. ein ton reicht, und man weiß wo der hammer hängt. was sie hier aus diesem geistergesang machen, den ich immer mit ella fitzgerald verbinde, ist etwas verrückt und sehr liebenswürdig. toll, wie das ganze wieder ins intime trio-format rutscht,um sich dann wieder durchgeknallt aufzutürmen. excuse me while i’m growing bigger and bigger.

Ich dachte, ich trau mich mal, das hier reinzumischen. Ich war eine Weile lang ganz vernarrt in dieses Stück. Geschmäcklerisch, kokett, Medienhype hin oder her: das ist einfach ganz großes Kino!

vorgarten
#15
jetzt könnte ich mich blamieren, weil ich jemand nicht sofort erkenne. tu ich nämlich nicht. wir bleiben im bigger-than-life-format, was ich sowieso ganz toll an diesem bft finde, die ganzen völlig spannend in die breite gehenden besetzungen. hier stehen irgendwie 40 musiker im studio herum, scheint mir. und spielen eine schöne, leichte, schnelle swingnummer (obwohl nach der logik der dramaturgie hier jetzt wirklich mal ein obskures gruselstück erwartet hätte, was mich wirklich in die zwischenwelt entführt). aber die sonne darf aufgehen und siegen. ich glaube, ich kenne die alle, die hier spielen, ohne dass ich mich schon mal in sie verliebt hätte. ich setze mich zu den streichern auf die rosa kitschwolke und fühl mich da ganz gut, egal, was die jungs da unten abfeuern. und jetzt, aus der ferne, höre ich: das ist henderson, oder? den würde man aus der kitschwolke heraus natürlich besonders scharf hören… und verliebt habe ich mich in den auch schon mal. blamage abgewendet?

Henderson ist richtig. Toll erkannt und damit die Blamage, die Du eigentlich nicht zu fürchten brauchst, gerade noch mal abgewendet! Aber er ist natürlich nicht der Leader. Eigenartigerweise stammt das Original dieses Stückes gar nicht aus einem schönen und leichten Zusammenhang, in dem die Sonne aufgehen und siegen darf. Ich frage mich, ob unser Sinatra Freak das Stück erkennt …

@ gypsy: Deinen Kommentaren widme ich mich morgen. Freue mich auch auf weitere Meinungen.

--

„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)