Startseite › Foren › Über Bands, Solokünstler und Genres › Eine Frage des Stils › Blue Note – das Jazzforum › blindfoldtest #7 › Re: blindfoldtest
Vielen Dank Alex für die spannende Zusammenstellung! Da ist einiges drin, was ich nicht hören würde, was ich nicht kenne… fand es recht schwierig, das ganze anzuhören, ohne dass es einfach an mir vorbeizieht. Die meisten Songs hab ich daher gleich mehrmals am Stück gehört, dann eine Pause gemacht, überlegt, was geschrieben, bevor ich zum nächsten ging.
#1 – „The Music Stopped“… hübsches Liedchen, schöner Einstieg – aber das Arrangement ist mir etwas zu geschliffen, eindeutig eine jüngere Produktion – 90er würd ich schätzen? Und die Sängerin hat zwar eine gute Stimme, aber manchmal dehnt und schleift sie die Noten auf eine Art, die mir nicht so gefällt. Die Band-Passage ist öde… Freddie Green-Gitarre, stampfende Drums, gähn. Sehr professionell gemacht und mit Punch gespielt, aber einfach nicht so ganz meins.
Nehme mal stark an, dass das von einer Sinatra-Homage stammt… von hier wohl? Kenne sie noch fast gar nicht, bloss von einer CD mit Louis Prima („The Wildest!“, Capitol 1956).
#2 – Jetzt also ein Crooner… sanfter Latin-Beat, hübsches Arrangement mit Holzbläsern, Streichern, Gitarre. Schöne Stimme, aber insgesamt für mich einmal mehr etwas zu glatt. Die Posaune soll wohl Teagarden suggerieren, und ich mal mir grad aus, was er mit seinem Gebiss und seiner abgrundtiefen Traurigkeit mit diesem Song hätte anstellen können… der Song heisst anscheinend „The Trouble with Hello Is Goodbye“ – kannte ich noch nicht.
Ach ja, ich würd auch hier auf eine Aufnahme tippen, die nicht mehr als 15 Jahre alt ist… Posaune spielt dann wohl irgendein Crack, der eher selten als Jazzer in Erscheinung tritt… und der Sänger klingt sehr vertraut, aber ich bin da überhaupt nicht gut mit raten und versuch’s daher auch gar nicht erst.
#3 – Endlich ein richtig guter Song – Gershwin eben! Dick Haymes scheint ihn oft gesungen zu haben, aber auch ihn kenne ich ja noch nicht… sehr schön!
#4 – „The Rules of the Road“, swingt, macht Spass, der Sänger klingt einmal mehr vertraut… hier ist all der Pep drin, der bei #1 so lahm rüberkommt, und es braucht nur eine Rhythmusgruppe dazu und einen Sänger mit viel Drive! Ist der Sänger auch der Pianist? Bobby Short vielleicht, der Cy Colemans Songs ja ein ganzes Album gewidmet hat? Das hier ist allerdings eine Live-Aufnahme… die „one more time“-Geschichte nutzt sich natürlich schnell ab, beim dritten Mal hören ist das schon nur noch öde, leider. Gefällt mir aber, da möchte ich gerne mehr davon hören!
(Und nein, auf die schnelle finde ich bei Scott nichts passendes…)
#5 – „Corcovado“ mit lahmen englischen Lyrics… (Gene Lees? Gebt mir Jon Hendricks!). Das Piano spielt in der kurzen Passage mit Jobims Stil, hat aber bei diesem viel mehr Charme, dieses verschleppte, anti-virtuose Geklimper. Gefällt mir am Ende aber doch ganz gut, die Version hier. Aber ich hab generell etwas Mühe mit Jobim auf Englisch.
#6 – Charmanter Anfang mit der Flöte, dem Bass und den wohl mit den Händen getrommelten Beat… leicht exotisch, dazu passt dann auch der Einstieg der Sängerin. Was ist das denn für eine Sprache? Jedenfalls gefällt mir das gut und ich wär durchaus auch an mehr interessiert!
#7 – Oh, schön! Ich mag die mir bisher bekannten Legrand-Bergman-Bergman Songs ganz gerne, und das hier ist keine Ausnahme! Den Sänger hier mag ich allerdings nicht so sehr – er wirkt mir arg bemüht, viel zu dramatisch und eben so, dass man stets merkt, wie er sich anstrengt… aber Klasse Song, den ich soweit ich weiss noch nie mit Gesang gehört habe! (Ach doch, er ist ja auf „Dusty in Memphis“, das ich gestern gehört hab!)
#8 – Dicke Streicher… etwas zu üppig für meinen Geschmack. Da geht die etwas dünne Stimme fast unter – es wirkt, als müsse sie zwischendurch tief Luft holen, um anzukommen gegen den Wall aus Zucker. Das Stück heisst wohl „The Touch of Your Hand“ – ach so… das ist der Closer von hier, hab ich, ganz hübsches Album. Und Jerome Kern ist natürlich auch nicht falsch!
Beim dritten Hören gefällt mir das Stück ausserordentlich, die vermeintliche Schwäche der Stimme ist vielleicht grad ihre Stärke… und die Streicher sind nicht überzuckert. r.i.p. Russ Garcia.
#9 – „If I Were a Bell“, swingt ganz schön… und ist gut! Zuviel Vibrato – aber welche Sängerin hat schon den Mut, lange Noten ganz grad zu singen (ja, Helen Merrill natürlich!!)
Klingt nach Ella-Schule hier… aber sie selbst hätte das geschmackvoller hingekriegt.
#10 – Now we’re talkin‘! Macht Spass… wieder Freddie Green-Gitarre hier, und ein recht tolles Big Band Arrangement. Gefällt mir sehr gut, und für einmal ist da etwas mehr „Dreck“ in der Stimme – mehr davon für mich, bitte!
#11 – Hm, klingt neu und glatt (zu glatt, fast wie ein Babypopo), aber die Posaunen klingen nach reifen Musikern, Big Band Veteranen, Leute wie Jimmy Cleveland, Slide Hampton etc. Sehr schön, was die hier machen, auch die kurze Kollektiv-Passage am Ende! Dann Piano, Bass… zu kurz, um wirklich was aussagekräftiges hinzukriegen.
Aber wo bleibt die Sängerin, die sich für lasziv hält und fürs Cover so abgelichtet wird, in Wahrheit aber so all american klinisch sauber (und natürlich blond) ist, dass mir sogar das Gähnen vergeht? Schön, dass sie nicht kommt… ein Instrumental zum Verschnaufen auf halbem Weg also. Ist das die Basie Ghost-Band?
#12 – Das klingt nach 50ern… und klingt vor allem vertraut. Hm nein, glaub doch nicht, dass ich die Aufnahme hier kenne (aber das Stück schon – wenn ich bloss drauf käme, wie es heisst…).
Könnte sowas wie die Harry James Big Band sein – sehr gut gemacht, mit Gusto gespielt, aber da ist nichts drin, was wirklich besonders ist – keine Solisten, keine herausragenden Ensemble-Passagen, keine kleinen Eigenheiten im Arrangement… einfach ein ganz gerade heraus gespieltes Big Band Stück. (Und ja, natürlich auch hier kein Gesang!)
#13 – Das sticht irgendwie heraus… die Sängerin phrasiert fast wie ein Blasinstrument. „Man with a Horn“ heisst der Song… und es irritiert mich, dass ich nicht rauskriege, wer das hier ist! Anita O’Day hat eine gleich lange Version auf „Pick Yourself Up“ aber das hier ist sie nicht… und das hier scheint live oder zumindest vor Publikum eingespielt worden zu sein. Jedenfalls toll!
#14 – Klingt vertraut… ganz hübsch, die Klarinette, aber es fehlt etwas der Glanz für mich. Toll, wie der Bass in der Mitte plötzlich „explodiert“ und die Musik antreibt! Müsste wohl für die semi-professionellen Rater rauszukriegen sein, das was ist… für die Geige kommt mir spontan bloss Joe Venuti in den Sinn, von Stuff Smith kenne ich nichts, was in diese Richtung ginge. Und ja, Sax konnte damals ein schröckliches Instrument sein…
#15 – Yeah! Grossartig! Sind das die All Stars? Absolut wunderbar! :liebe:
#16 – Mehr Novelty-Sax… aber besser dieses Mal. Jungle-Trompeten… das klingt ganz stark nach Ellington, ca. 1927-29… Bubber Miley oder Cootie Williams, Wellman Braud am kickenden Bass? Yeah!
#17 – So you met someone… and now you know how it feels? Das hier ist natürlich wieder neuer, ich würde schätzen späte 50er, gilt ähnliches, wie das, was ich oben zu #12 schrieb. Hier ist allerdings ein ganz deutlicher Basie-Einfluss zu spüren, nicht nur mit der Rhythmusgitarre sondern auch dem kickenden Beat. Ach, da folgt noch ein zweites Stück… wie heisst das schon wieder? „Sweet Sue“? Schön, Tanzmusik, zum Hören aber etwas gar harmlos (man denke allerdings nicht, ich würde Tanzen…) – ach, und weiter geht’s mit einem „Swing Swing Swing“-Beat und dem „St. Louis Blues“… macht doch etwas mehr Spass am Ende, als ich Anfangs dachte. Der Drummer kickt die Band ganz schön. Und zum Ende gibt’s nochmal ein paar tolle Takte Posaune!
#18 – „Red Roses“… schön – und aus einer Ecke, die ich bisher gar nicht kenne (Vokal-Gruppen… ich kenne und liebe die Barry Sisters, aber das hier ist natürlich klassischer, älter). Schönes Tenor-Solo, alte Schule. Gute alte Pop-Musik, das… (ach ja, heute gibt’s in der Ecke ja die Puppini Sisters… hab ich auch ne CD von, gefällt mir sehr).
#19 – Simple Big Band Nummer… die Basslinien sind fast so langweilig wie wenn ein blutiger Anfänger am Piano etwas Boogie klimpert, schade. Die Sängerin ist ganz gut, finde ich – mal eine etwas verhangenere Stimme, und ein gutes Time-Feeling. Auch das Vibrato wird sehr schön eingesetzt. Keine Ahnung, wer das ist… kenn ich jedenfalls nicht. Aber dem Bassisten müsste man die Finger abhacken, so uninspirierten Walking Bass hab ich seit langem nicht mehr gehört. Der Song heisst „Massachusetts“. Anita O’Day?
#20 – „Street of Dreams“, ja? Oder doch sehr ähnlich… Tolles Arrangement – lässt mich an Claude Thornhill denken. Schön, gefällt mir.
#21 – Das hier gefällt mir weniger… mal hymnisch, dann gar virtuos, mit der Band dann auch mal etwas pompös… Sopran ist zwar schön gespielt, klingt streckenweise fast ein wenig nach Garbarek (weiss ich jetzt selbst nicht, ob das ein Kompliment oder das Gegenteil davon ist). Piano langweilt mich. Michel Camilo vielleicht? Mit David Sanchez? Nur so ein Schuss ins Blaue… Schlecht ist das nicht, aber meins ist’s auch nicht. Vielleicht bin ich auch bloss nicht in der richtigen Laune für sowas heute… ich hör’s mir später nochmal an.
#22 – Das beginnt toll, mit dem Bass und diesem raffinierten Rhythmus, dann die einprägsame Linie, interessant gesetzt, charmant und sehr entspannt gespielt. Schön, wie man die ganze Zeit in die Irre geführt wird und glaubt, es handle sich um einen ungraden Rhythmus. Altsax gefällt mir gut, fügt sich gut ins Ganze ein. Dann Tenor, auch schön… die Soli und die Band greifen ineinander, die Solisten tappen nicht in die Falle, dass sie alles zeigen müssen, was sie können (was ja leider bei neueren Big Bands oft der Fall ist, zu oft – dieses Wehe wenn sie losgelassen und jeder Saxer toppt in 32 Takten sieben Mal den ganzen Coltrane, oder bildet sich das zumindest ein… schön, dass das hier ganz anders ist).
#23 – Das hier ist wieder weniger meins… zu virtuos, zuviel drin, aber natürlich toll gespielt und auch nicht ohne Passagen, die mir gefallen. Ach nee… mit der Zeit beginnt mir das sogar richtig Spass zu machen, groovt schon ganz toll, auch wenn der Drummer etwas flapsig spielt und die Band leider nicht so recht kickt. Die ruhige Passage nach dem schönen Piano gefällt mir etwas weniger, irgendwie finde ich Flöte in so grossen Bands oft nicht so toll. Doch dann kommt der Beat wieder… toll das tiefe Blech! Ist da nur eine Bass-Posaune oder gibt’s noch eine Tuba?
Das Stück klingt irgendwie so, als könnte es aus einer Suite stammen, die man in ihrer Gesamtheit hören müsste.
#24 – Zurück zu den Croonern zum Abschluss… ach ne, nur für den verse, und dann ab in Novelty-Land… charmanter Nonsense und ein hübscher Abschluss! (Bei dem, so nehme ich mal an, keine Tiere zu Schaden gekommen sind :lol: )
Danke Dir für diese anregende Zusammenstellung! Und entschuldige, falls meine Kommentare hie und da etwas harsch scheinen mögen… richtig schlecht finde ich keins der Stücke, aber einige bewegen sich ziemlich klar jenseits meines musikalischen Gebiets
--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba