Re: bft 6 – gypsy tail wind

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gypsy-tail-wind
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FriedrichVerstehe meine zugespitzte Ausdrucksweise bitte nicht falsch: mit „Kammermusiksaal“ wollte ich sagen, dass mir diese Musik so ein Bild von einem andächtig lauschenden Publikum suggeriert – im Gegensatz zu „Jazz-Frühschoppen“, wo ich auch klirrende Biergläser höre. Hat beides was für sich, aber ist eben auch was sehr unterschiedliches.

Ok, alles klar! Mir ist ein Klub oder irgendeine abgefuckte Lokalität lieber als ein Kammermusiksaal, aber ich weiss, was Du meinst!

FriedrichIch habe noch kaum andere Kommentare zu Deinem BFT gelesen, insofern habe ich das alles völlig blauäugig – bzw. blauohrig ;-) – gehört und kommentiert.

Kein Problem, aber lies mal noch nach, denn ich hab meinerseits zu den verschiedenen Reaktionen unterschiedliches gepostet und hab eh schon das Gefühl, mich zu wiederholen, daher findest Du in den anderen Antworten von mir vielleicht auch noch was von Interesse… (sorry, das klingt jetzt superblöd, aber ich hab einfach nicht Lust, dauernd zu jedem Track dasselbe zu schreiben und damit den Thread in die völlige Redundanz absinken zu lassen… und diese Klammer klingt jetzt noch blöder).

FriedrichJa, vielleicht ist das schade. Ich hege jedoch eine latente Abneigung gegen Bass- und Drum-Soli, da mich oft das Gefühl beschleicht, das diese beiden Instrumente nicht immer so gut als Solo-Stimmen geeignet sind, die jeweiligen Soli dramaturgisch nicht so viel zum Stück beitragen, aber vielleicht einfach eine Art Quote erfüllt werden muss: Jeder bekommt ein paar Takte ab. Eine Unterstellung, ich weiß, aber man hat das schon so oft auf gehört, vor allem auf Jazz-Aufnahmen von Mitte der 50er, als es die Spielzeit der LP dies überhaupt erst zuließ. Da habe ich mir so manches mal die knackigen 3:00 min 78er-Aufnahmen der 40er gelobt.

Das hängt aber auch damit zusammen, dass es in der Zeit der 3-Minuten-Aufnahmen kaum Bassisten gab, die’s Wert gewesen wären… das änderte sich mit Jimmy Blanton, dem Bassisten von Ellington, der viel zu jung verstarb. Er kriegte manchmal Platz für Soli, es gibt auch ein paar Duette von Ellington und ihm, vor allem aber ist sein Bass-Spiel in jeder Big Band-Aufnahme da, hat eine Präsenz, wie das vor und nach ihm nur wenige hatten. Aber da ist eben nicht nur diese Präsenz sondern auch eine noch nie zuvor gehörte Virtuosität.

Für mich persönlich spielte Charles Mingus schon sehr früh eine wesentliche Rolle. Seine Alben „Mingus Ah Um“ (Columbia) und „Charles Mingus Presents Charles Mingus“ (Candid) sowie wenig später auch „The Black Saint and the Sinner Lady“ (Impulse) und diverse weitere, gehörten sehr früh zu meiner Sammlung. Mingus ist nun nicht der Bassist, der uns mit seiner Virtuosität dauernd beglücken möchte, er hat auch diese unglaubliche Projektionskraft – diesbezüglich halte ich ihn für unübertroffen. Wie er vom Bass aus seine Musik prägte und die Bands steuerte, ist immer wieder eindrücklich!
Zusammen mit Ray Brown und Oscar Pettiford (einem von Blantons Nachfolgern bei Duke Ellington übrigens) formte Mingus im Bebop die Trias der grossen Bassisten, der ersten, die das Instrument zu emanzipieren begannen. Aber noch weit in die fünfziger Jahre hinein sind die Bassisten von wenigen Ausnahmen abgesehen nicht auf der Höhe der Innovationen ihrer Kollegen (es gibt zum Beispiel im West Coast Jazz kaum jemanden, der wirklich herausragt – gut, Mingus kam aus Kalifornien, aber ich meine jetzt den „klassischen“ West Coast Jazz). Ende der 50er hatte sich das geändert, mit Leuten wie Percy Heath, Paul Chambers, Doug Watkins und einigen anderen war eine neue Generation am Start, daneben gab’s auch jene Musiker wie Wilbur Ware oder Al McKibbon, die ohne viel Aufsehens einen ganz eigenen Drive in die Musik brachten, der grade im Falle von Ware sehr stark prägend war für den Klang der ganzen Gruppen, in denen er jeweils spielte. Dass solchen Leuten auch Solo-Raum gewährt wird, scheint mir jenseits von jeglichem Quotendenken absolut selbstverständlich.
Wenig später taucht dann schon die nächste Generation auf: Scott LaFaro, Ron Carter, Richard Davis, Jimmy Garrison, Gary Peacock, Charlie Haden etc. – das waren dann die Musiker, die halfen, den Weg zum Free Jazz zu ebnen, die (oft gemeinsam mit bestimmten Drummern, LaFaro und Paul Motian, Ron Carter und Tony Williams, Jimmy Garrison und Elvin Jones, Gary Peacock und Sunny Murray, Charlie Haden und Ed Blackwell etwa) einen flexiblen Beat umsetzten, eine harmonisch offenere Sprache entwickelten, die dennoch nicht die Funktion der Begleitung und des Time-Keeping vernachlässigte (na ja, bei LaFaro manchmal wohl schon… Haden wäre der Gegenpol, der zugleich singt und in sich ruhend die souligste, tiefste Begleitung spielt, die man sich nur wünschen kann).

Wenn nun allerdings mittelprächtige Bassisten in jedem Stück ein Solo kriegen (so geschehen in Thelonious Monks Quartett in den Columbia-Jahren, Butch Warren und Larry Gales sind gute Bassisten aber bestimmt nicht die grössten Solisten, mit Verlaub), dann langweilt mich das auch ziemlich schell.

Disclaimer: die obigen Auflistungen (jene nach Mingus-Brown-Pettiford) sind völlig unvollständig und fahrlässig schnell dahingetippt… aber im grossen ganzen stimmt das schon und ich entschuldige mich hiermit mal für die gröbsten Vergesser.

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