Re: bft 6 – gypsy tail wind

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gypsy-tail-wind
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katharsisLeider muss ich mich zumindest für jetzt und für Teil 1 kurz halten. Irgendwie ist mein Zeitmanagement in der letzten Zeit nicht das beste.

Danke Dir für Deine anregenden Rückmeldungen! Kurz sind sie ja gar nicht!

katharsis#1 Hier muss ich sofort an Mexiko denken, was den Fanfaren-artigen Charakter des Stückes angeht. Auch mir drängt sich fast ein bißchen Kenny Dorham auf, der ja immer wieder mexikanisch-anmutende Themen in seine Soli einflocht. Das Walzerthema ist recht interessant, insgesamt tönt das Stück aber recht lieblich und aufgrund der Kürze ist wenig Spannungsaufbau für mich dabei. Das Klaviersolo ist recht locker und hört sich sehr nach Westküste an.

#1.1 Interessante Assoziation mit der Westküste! Es kommt – wie viele Tracks – von weiter östlich als angenommen :-)

katharsis#2 „All the things you are“. Hört sich von Beginn nach Mitte 50er Jahre an und mir kommen die Manierismen des Pianisten irgendwie bekannt vor. Die Lockerheit des vorhergehenden Stückes wird hier schön aufgefangen und ein bißchen weiter vorangetragen. Hier steht offenbar der Pianist im Vordergrund, der eine sehr leichtfüßige Spielweise hat, sehr perlend. Klingt ein wenig nach Carl Perkins und ein wenig nach ’showmanship‘. Den Bass empfinde ich im Hintergrund als den eigentlichen Star des Stücks und trotz der höheren Tonlage hat er einen satten Klang.

#1.2 Das Stück ist ein Jahrzehnt später… ja, die Showmanship wurde schon ein wenig bemängelt, aber es ist was es ist… Ich höre hier eher Brubeck und Shearing (die ja beide schon genannt wurden, ersterer mehrfach und der passt ja zumindest in den frühen 50ern noch an die Westküste).

katharsis#3 Auch hier hört es sich wieder sehr nach Westküste an, der Tenorist ist irgendwo bei Tristano oder Richie Kamuca. Schön ist diese Verstrickung mit dem Baritonsax, die sich dann im Klaviersolo auflöst. Hier sind die Rhythmen ein bißchen komplexer und verschobener, der Pianist spielt auch wesentlich verschrobener, aber auf eine elegante, leichte Art. Bari mag ich sehr, aber da habe ich zu wenig gefestigtes Wissen, als dass ich mich festlegen könnte. Pepper Adams liegt natürlich immer nahe. Gefällt mir, ist fluffig, hat schöne Improvisationen und gute Ensemblearbeit.

#1.3 redbeans hat’s soeben identifiziert (:bier:) – Tristano passt für mich besser als Westküste, Adams klingt sehr viel scheidender, voller, agressiver, drängender. Den Barisaxer hier find ich eher langweilig.

katharsis#4 Das ist ein sehr typisches Thema, wenn ich nur wüsste für was. Auch hier führt der Weg sofort weg von New Yorker Jazz und allem, was in Mittelamerika so fabriziert wurde. Möglich wäre britischer Jazz, in der Form von Dizzy Reece, Tubby Hayes, Joe Harriott und Vic Feldman, auch wenn das hier wahrscheinlich später eingespielt wurde. Auf jeden Fall erreichen die Musiker eine gewisse Schräglage in der Mitte des Stücks, bei der ich mir noch nicht ganz sicher bin, ob ich mich gebissen fühlen soll. Insgesamt ein sehr schnelles Stück, dass trotz des Themas schnell wieder aus den Ohren draußen ist.

#1.4 Nein, as Thema kennst Du bestimmt nicht (und falls doch wär’s nichts Typisches)… ich kenne ein Dutzend Stücke dieser Band und es fiel mir schwer, auszuwählen, obgleich ich sie unbedingt drinhaben musste. Das sagt wohl was über die eigenartige Qualität der Stücke, die nicht reizlos ist und auch nicht schwach, aber eben besonders. Der Titel dieses Stückes spielt wohl auch darauf an. Das Album war übrigens quasi geteilt… seltsame Sache, aber tolle Band, finde ich!

katharsis#5 Die aufgenommene Fahrt wird beibehalten, aber es wird äußerst obskur. Klarinette in Kombination mit Orgel haben m.E. noch nicht einmal Prestige zustande gebracht. Mit Orgeljazz hab‘ ich eh riesige Bildungslücken, so dass ich da rein gar nichts weiß. Der Saxophonist passt aber wunderbar zum recht dunklen Orgelklang, nur schade, dass er dadurch der Klarinette einigen Spielraum abnimmt. So eine Kombination hab‘ ich noch nie gehört und sie funktioniert ausgesprochen gut. Bassist und Organist sind auch immer so komische Partner, aber die beiden machen das ganz gut, vor allem, weil der Bassist sich ganz dem Rhythmus verschreibt.

#1.5 Auch das hat redbeans erraten/erkannt… wie ich oben schrieb ist das Album ganz gut, aber leider sind alle Stücke kurz – ich hätte mich ein paar längere gewünscht, in denen mehr Raum gewesen wäre für die Bläser und die Orgel. Dieser Organist war halb Pianist und halb Organist, er hatte immer einen Bass dabei, auch auf seinen eigenen Alben (zumindest den beiden mir bekannten).

katharsis#6 Das muss in jedem Fall Deutsch sein. Ich denke sofort an Peter Thomas, der zumindest diese Art zu schreiben hatte und in manchen Soundtracks durchaus etwas Dolphy-eskes an sich hatte. Mit der Posaune und der Jazz-Metrik kann es dann aber auf keinen Fall Thomas sein, aber ich bleib‘ dabei, dass das was deutsches ist. Der Posaunist macht seine Sache musikalisch sehr gut, den Ton finde ich aber etwas schwachbrüstig. Etwas auf den Keks geht mir der Oompah-Oompah-Walzer-Rhythmus. Insgesamt aber spaßige Miniatur.

#1.6 Warum sagst Du es müsse deutsch sein? Hast Du oben gelesen(die Bemerkung zu #1 wegen KD legt das nahe) oder hörst Du das in der Tat heraus? Meinst Du diesen Peter Thomas? Sagt mir gar nichts… (aber ich hätte nicht übel Lust gehabt, noch Alfons Wonneberg reinzuquetschen!)

katharsis#7 Hmm, der Pianist zeigt durch sein Oktavspiel, dass er gerne ein paar dunklere Molltöne setzen mag, während das Stück wohlgelaunt vor sich hin rumpelt. Im Mittelteil gibt es dann auch etwas dunklere Schattierungen, die sich durchaus orientalisch ausnehmen. Das gefällt mir sehr gut, auch die knackige Interaktion mit dem Drummer. Das Thema und das Trio-spiel ist mir aber zu spaßig und oberflächlich.

#1.7 Mir gefällt der fröhliche Groove, aber ich versteh die Reaktion. Der Herr war auf jeden Fall gut, und das kommt wohl bei allen Kritikpunkten (ich meine jetzt nicht nur Deine) doch durch.

katharsis#8 Auch hier würde ich auf etwas deutsches tippen, da die Musik irgendwie in keine Schublade zu passen vermag und ich meine, eine besondere Art der Aufnahmetechnik zu hören, die ich fast ausschließlich von deutschen/europäischen Produktionen der 60er her kenne. Ich hab‘ so meine Probleme mit dem Stück, da es technisch perfekt ist und die Improvisationen sehr schön gespielt werden. Trotzdem erscheint mir das etwas glatt und routiniert. Besonders der Trompeter hört sich so an, als würde er das tun, wofür er bezahlt wird. Die Gitarre gefällt mir insgesamt am besten, da ein paar Griffe wohl an Grant Green und Joe Pass angelehnt sind, er aber doch eine gewisse Eigenständigkeit bewahrt. Ich wollte schon Elek Bacsik in den Ring werfen, aber dessen Akustik ist eine ganz andere.

#1.8 Das ist nicht Bacsik. Und ist die Aufnahmetechnik auch der Grund, warum Du oben schon etwas Deutsches zu hören glaubtest? Überrascht mich auch so noch, denn auf solche Dinge achte ich einfach nicht… mir gefällt der Trompeter hier gerade am besten, die Gitarre ist etwas unspektakulär – sie glänzte im Deutschen Jazz ja eigentlich durch Abwesenheit, zumindest mal von Coco Schumann und Volker Kriegel abgesehen (und die hätten hier beide etwas den Rahmen gesprengt, Schumann hatte ich anfangs noch mit drin).

katharsis#9 Da wird von Anfang an klar gemacht, dass hier geschuftet wird und Ernst bei der Sache ist. Das anfängliche Intermezzo zwischen Bass und Drums gefällt mir sehr, auf das sich dann die Trompete drauf legt und sich weiterhin mit dem Saxverschränkt. Die Rhythmusgruppe rumpelt während des ganzen Stückes wunderbar durch und der Bassist zieht alle Register. Der Saxophonist ist schon irgendwie von Wayne Shorter geprägt, kann das sein? Vor allem gefällt mir, dass die Musik irgendwie weiter draußen ist, als man beim Hören vermuten mag. Tolle Stück, hier liegt ganz schön viel Gewicht drin!

#1.9 Du kennst das Stück auch nicht?! Ich hatte auf redbeans und/oder Dich gehofft, er hat’s erkannt – immerhin! Der Saxer könnte zumindest ein paar frühe Shorter-Aufnahmen (Vee Jay und mit Blakey) gekannt haben – wie wahrscheinlich das ist, kann ich aber nicht beurteilen.

katharsis#10 Ein Stück mit einer Präambel, sehr schön. Es fasziniert mich, dass im Vergleich zu #9 sofort die Fahrt rausgenommen wird, aber beide funktionieren wunderbar hintereinander. Der Ton ist mir vollkommen unvertraut und die Musik hängt zwischen den Zeiten, da ist alles drin. Toll ist, wie der Baritonist sich in die Melodien hineindreht und klarstellt, dass keine andere harmonisch Lösung möglich gewesen wäre. Schlicht, aber doch volltönend, großartig melancholisch, aber auf der hoffnungsvollen Seite. Ich hoffe inständig, dass es da mehr davon gibt.

#1.10 Der Herr ist mir ansonsten auch ziemlich unbekannt… ich habe drei Tracks von dieser Band, aber nur dieser eine gehört ihm ganz allein. Sublim! Lass uns geniessen, was wir haben! :-)

katharsis#11 Boom. Eine wuchtige, irgendwie europäisch anmutende Absporption von Soul Jazz. Das Thema und die Diktion des Stückes könnte Blue Note-typisch sein, aber die Ausführung ist es nicht. Der Pianist spielt locker, aber doch irgendwie schwer. Les McCann oder Gene Harris hätten da gnadenlos versagt. Den Bassisten finde ich super, genau an den richtigen Punkten fretless, ansonsten viel gehalten. Sein Solo ist sehr schön und wird gekonnt unterstrichen und kontrastiert. Leider kommt der Pianist in der Mitte ins Arpeggieren, was der Musik ein bißchen schadet, da sie dadurch seichter wird.

#1.11 Schön, dass mal jemand das Stück nicht einfach zersägt!

katharsis#12 Endlich Vibes, ich hatte mich schon gewundert. Die bisher vermeintliche Konzentration auf Westcoast- und/oder europäischen Jazz lässt zu Beginn Feldman vermuten, aber der Hall der Schlegel, das samtige Glitzern schmeisst sofort ein Veto in den Ring. Roy Ayers hat ja durchaus Jazz-Credentials, aber sein Anschlag war meist perkussiver, mit weniger Hall. Trotzdem werf‘ ich seinen Namen in den Ring. Ansonsten könnte das natürlich auch wieder Vic Feldman sein. Aber irgendwie auch wieder nicht. Die Musik ist jedenfalls nicht zu der Zeit entstanden, in der Vic in UK aufgenommen hat.
Irgendwie habe ich auch hier das Gefühl, dass die Konzeption des Stückes den Hörer erst einmal veräppelt und hinterrücks zu aufmerksamem Nachhören auffruft.

#1.12 Das Stück wurde oben identifiziert… ich vermute, Du kennst es? Entweder in dieser oder der originalen Aufnahmen des Komponisten? Ayers kenn ich noch ziemlich schlecht, von Fedlman bisher erst die paar Klassiker nach der Ankunft in den USA (und natürlich diverse Sideman-Sachen). Kann da jedenfalls nicht so leicht Parallelen hören. Was hältst Du denn vom Altsaxer und vom Pianisten?

katharsis#13 Das würde ich jetzt als unaufgeregt und wenig spannenden Hardbop beschreiben. Der Tenorist ist am suchendsten unterwegs und zieht die Spannung auf sich, während mir der Rest etwas zu ‚eintönig‘ ist.

#1.13 Mir gefällt der Ton des Tenoristen. Von ihm abgesehen läuft hier in der Tat nicht sehr viel, ihn kenn ich aber überhaupt nicht und fand den Track hübsch genug, um ihn aufzunehmen.

katharsis#14 Auch hier bin ich überfragt. Houston Person? Sonny Stitt? Vielleicht auch Turrentine? Harold Vick? Alles möglich, irgendwie ein bluesgetränkter Texas-Tenor-Ton. Tut mir nicht weh und ich sehe, dass da Ambitionen dahinter stehen, aber mich berührt das nicht.

#1.14 Die sind’s alle nicht… viel Ambitionen hör ich hier nicht, bloss einen locker-groovenden Jam.

katharsis#15 Mittlerweile kann ich die Stringenz der Stücke nicht mehr erkennen, da bin ich aber sehr gespannt drauf. Das Stück hier trifft am ehesten den New Yorker Jazz der ausgehenden 50er Jahre für mich. Klassische Rhythmusarbeit und ordentliche Soli. Würde ich so ohne Probleme abnicken, für gut befinden und auf einer Platte hören. Für einen bft ist es mir aber ein bißchen zu oberflächlich, also dahingehend, dass ich etwas suche, was darin versteckt sein könnte.

#1.15 Es ging mir wie schon gesagt dieses Mal (und wohl auch bei kommenden BFTs) auch nicht darum, wahnsinnig beeindruckende Stücke zusammenzustellen (das hat vielleicht schon das Konzept verhindert), sondern einfach mal was bestimmtes zu präsentieren und zur Diskussion zu stellen. In diesem Sinne ist der BFT auch kein Dokument über mich und meine Hörgewohnheiten, sondern etwas ganz anderes als die ersten fünf BFTs. Du hast wohl inzwischen nachgelesen, worum’s geht… falls nicht fänd ich’s natürlich schön, wenn Du erst nach Deinen Reaktionen zu CD2 nachlesen würdest!

katharsis#16 Schön und wieder schwerer zu datieren. Mitte bis Ende der 60er, oder doch schon 70er? Spannend finde ich diese Verschiebungen, die etwas karibisches vermuten lassen. Dann diese Kreuzung mit avantgardistischem Gedankengut? Besonders die beiden Bassisten machen den Track aus und der Schlagzeuger, der quasi die Nahtstelle ist. Ich kenn‘ wenig mit zwei Bassisten, vor allem wenn keiner stattdessen zum Cello greift, aber warum nicht Richard Davis oder Cecil McBee. Ich weiß auch nicht, ob das zum späteren Graham Collier passen könnte?

#1.19 1963 – und wurde schon identifiziert. Collier macht für mich als Referenz durchaus Sinn, aber auch schon der frühe (den späten, also später als ca. Mitte 70er, kenn ich noch gar nicht). Diese Band wurde identifiziert, was mich auch nicht überrascht hat. Ich hab mich inzwischen zu fast jedem Track schon ausgiebig geäussert, entschuldige, wenn meine Antworten etwas leer sind! (Ach ja, einen karibischen Track gibt’s auf dem Album auch, hab ich mir aber für später aufgehoben ;-) )

katharsis#17 Von der Anlage her wieder etwas deutsches, erstaunlich allerdings, dass sich das sehr nach kollektiver, aber geordneter Modern Jazz-Improvisation anhört. Da hab‘ ich keine Ahnung, aber mir ist das ein bißchen zu eingepfercht und trotz allem Drängen zu eingekastelt.

#1.17 Aber nein! Der Leader war der erste Musiker, der erkannt wurde (von vorgarten, ganz zu Beginn). Er ist und bleibt für mich auch der grossartigste deutsche Jazzmusiker, und das hier seine tollste Gruppe. Das Stück ist allerdings nicht das beste, aber ich hab’s aus einem editionstechnischen Grund aufgenommen…

katharsisVielen Dank erstmal für den ersten Teil. Da ich bin ich schon gespannt auf die Auflösung und es war auch etliches dabei, was ich für mich entdecken werde!

Danke Dir nochmal!

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