Re: bft 6 – gypsy tail wind

#8186899  | PERMALINK

katharsis

Registriert seit: 05.11.2005

Beiträge: 1,737

Leider muss ich mich zumindest für jetzt und für Teil 1 kurz halten. Irgendwie ist mein Zeitmanagement in der letzten Zeit nicht das beste.

#1 Hier muss ich sofort an Mexiko denken, was den Fanfaren-artigen Charakter des Stückes angeht. Auch mir drängt sich fast ein bißchen Kenny Dorham auf, der ja immer wieder mexikanisch-anmutende Themen in seine Soli einflocht. Das Walzerthema ist recht interessant, insgesamt tönt das Stück aber recht lieblich und aufgrund der Kürze ist wenig Spannungsaufbau für mich dabei. Das Klaviersolo ist recht locker und hört sich sehr nach Westküste an.

#2 „All the things you are“. Hört sich von Beginn nach Mitte 50er Jahre an und mir kommen die Manierismen des Pianisten irgendwie bekannt vor. Die Lockerheit des vorhergehenden Stückes wird hier schön aufgefangen und ein bißchen weiter vorangetragen. Hier steht offenbar der Pianist im Vordergrund, der eine sehr leichtfüßige Spielweise hat, sehr perlend. Klingt ein wenig nach Carl Perkins und ein wenig nach ’showmanship‘. Den Bass empfinde ich im Hintergrund als den eigentlichen Star des Stücks und trotz der höheren Tonlage hat er einen satten Klang.

#3 Auch hier hört es sich wieder sehr nach Westküste an, der Tenorist ist irgendwo bei Tristano oder Richie Kamuca. Schön ist diese Verstrickung mit dem Baritonsax, die sich dann im Klaviersolo auflöst. Hier sind die Rhythmen ein bißchen komplexer und verschobener, der Pianist spielt auch wesentlich verschrobener, aber auf eine elegante, leichte Art. Bari mag ich sehr, aber da habe ich zu wenig gefestigtes Wissen, als dass ich mich festlegen könnte. Pepper Adams liegt natürlich immer nahe. Gefällt mir, ist fluffig, hat schöne Improvisationen und gute Ensemblearbeit.

#4 Das ist ein sehr typisches Thema, wenn ich nur wüsste für was. Auch hier führt der Weg sofort weg von New Yorker Jazz und allem, was in Mittelamerika so fabriziert wurde. Möglich wäre britischer Jazz, in der Form von Dizzy Reece, Tubby Hayes, Joe Harriott und Vic Feldman, auch wenn das hier wahrscheinlich später eingespielt wurde. Auf jeden Fall erreichen die Musiker eine gewisse Schräglage in der Mitte des Stücks, bei der ich mir noch nicht ganz sicher bin, ob ich mich gebissen fühlen soll. Insgesamt ein sehr schnelles Stück, dass trotz des Themas schnell wieder aus den Ohren draußen ist.

#5 Die aufgenommene Fahrt wird beibehalten, aber es wird äußerst obskur. Klarinette in Kombination mit Orgel haben m.E. noch nicht einmal Prestige zustande gebracht. Mit Orgeljazz hab‘ ich eh riesige Bildungslücken, so dass ich da rein gar nichts weiß. Der Saxophonist passt aber wunderbar zum recht dunklen Orgelklang, nur schade, dass er dadurch der Klarinette einigen Spielraum abnimmt. So eine Kombination hab‘ ich noch nie gehört und sie funktioniert ausgesprochen gut. Bassist und Organist sind auch immer so komische Partner, aber die beiden machen das ganz gut, vor allem, weil der Bassist sich ganz dem Rhythmus verschreibt.

#6 Das muss in jedem Fall Deutsch sein. Ich denke sofort an Peter Thomas, der zumindest diese Art zu schreiben hatte und in manchen Soundtracks durchaus etwas Dolphy-eskes an sich hatte. Mit der Posaune und der Jazz-Metrik kann es dann aber auf keinen Fall Thomas sein, aber ich bleib‘ dabei, dass das was deutsches ist. Der Posaunist macht seine Sache musikalisch sehr gut, den Ton finde ich aber etwas schwachbrüstig. Etwas auf den Keks geht mir der Oompah-Oompah-Walzer-Rhythmus. Insgesamt aber spaßige Miniatur.

#7 Hmm, der Pianist zeigt durch sein Oktavspiel, dass er gerne ein paar dunklere Molltöne setzen mag, während das Stück wohlgelaunt vor sich hin rumpelt. Im Mittelteil gibt es dann auch etwas dunklere Schattierungen, die sich durchaus orientalisch ausnehmen. Das gefällt mir sehr gut, auch die knackige Interaktion mit dem Drummer. Das Thema und das Trio-spiel ist mir aber zu spaßig und oberflächlich.

#8 Auch hier würde ich auf etwas deutsches tippen, da die Musik irgendwie in keine Schublade zu passen vermag und ich meine, eine besondere Art der Aufnahmetechnik zu hören, die ich fast ausschließlich von deutschen/europäischen Produktionen der 60er her kenne. Ich hab‘ so meine Probleme mit dem Stück, da es technisch perfekt ist und die Improvisationen sehr schön gespielt werden. Trotzdem erscheint mir das etwas glatt und routiniert. Besonders der Trompeter hört sich so an, als würde er das tun, wofür er bezahlt wird. Die Gitarre gefällt mir insgesamt am besten, da ein paar Griffe wohl an Grant Green und Joe Pass angelehnt sind, er aber doch eine gewisse Eigenständigkeit bewahrt. Ich wollte schon Elek Bacsik in den Ring werfen, aber dessen Akustik ist eine ganz andere.

#9 Da wird von Anfang an klar gemacht, dass hier geschuftet wird und Ernst bei der Sache ist. Das anfängliche Intermezzo zwischen Bass und Drums gefällt mir sehr, auf das sich dann die Trompete drauf legt und sich weiterhin mit dem Saxverschränkt. Die Rhythmusgruppe rumpelt während des ganzen Stückes wunderbar durch und der Bassist zieht alle Register. Der Saxophonist ist schon irgendwie von Wayne Shorter geprägt, kann das sein? Vor allem gefällt mir, dass die Musik irgendwie weiter draußen ist, als man beim Hören vermuten mag. Tolle Stück, hier liegt ganz schön viel Gewicht drin!

#10 Ein Stück mit einer Präambel, sehr schön. Es fasziniert mich, dass im Vergleich zu #9 sofort die Fahrt rausgenommen wird, aber beide funktionieren wunderbar hintereinander. Der Ton ist mir vollkommen unvertraut und die Musik hängt zwischen den Zeiten, da ist alles drin. Toll ist, wie der Baritonist sich in die Melodien hineindreht und klarstellt, dass keine andere harmonisch Lösung möglich gewesen wäre. Schlicht, aber doch volltönend, großartig melancholisch, aber auf der hoffnungsvollen Seite. Ich hoffe inständig, dass es da mehr davon gibt.

#11 Boom. Eine wuchtige, irgendwie europäisch anmutende Absporption von Soul Jazz. Das Thema und die Diktion des Stückes könnte Blue Note-typisch sein, aber die Ausführung ist es nicht. Der Pianist spielt locker, aber doch irgendwie schwer. Les McCann oder Gene Harris hätten da gnadenlos versagt. Den Bassisten finde ich super, genau an den richtigen Punkten fretless, ansonsten viel gehalten. Sein Solo ist sehr schön und wird gekonnt unterstrichen und kontrastiert. Leider kommt der Pianist in der Mitte ins Arpeggieren, was der Musik ein bißchen schadet, da sie dadurch seichter wird.

#12 Endlich Vibes, ich hatte mich schon gewundert. Die bisher vermeintliche Konzentration auf Westcoast- und/oder europäischen Jazz lässt zu Beginn Feldman vermuten, aber der Hall der Schlegel, das samtige Glitzern schmeisst sofort ein Veto in den Ring. Roy Ayers hat ja durchaus Jazz-Credentials, aber sein Anschlag war meist perkussiver, mit weniger Hall. Trotzdem werf‘ ich seinen Namen in den Ring. Ansonsten könnte das natürlich auch wieder Vic Feldman sein. Aber irgendwie auch wieder nicht. Die Musik ist jedenfalls nicht zu der Zeit entstanden, in der Vic in UK aufgenommen hat.
Irgendwie habe ich auch hier das Gefühl, dass die Konzeption des Stückes den Hörer erst einmal veräppelt und hinterrücks zu aufmerksamem Nachhören auffruft.

#13 Das würde ich jetzt als unaufgeregt und wenig spannenden Hardbop beschreiben. Der Tenorist ist am suchendsten unterwegs und zieht die Spannung auf sich, während mir der Rest etwas zu ‚eintönig‘ ist.

#14 Auch hier bin ich überfragt. Houston Person? Sonny Stitt? Vielleicht auch Turrentine? Harold Vick? Alles möglich, irgendwie ein bluesgetränkter Texas-Tenor-Ton. Tut mir nicht weh und ich sehe, dass da Ambitionen dahinter stehen, aber mich berührt das nicht.

#15 Mittlerweile kann ich die Stringenz der Stücke nicht mehr erkennen, da bin ich aber sehr gespannt drauf. Das Stück hier trifft am ehesten den New Yorker Jazz der ausgehenden 50er Jahre für mich. Klassische Rhythmusarbeit und ordentliche Soli. Würde ich so ohne Probleme abnicken, für gut befinden und auf einer Platte hören. Für einen bft ist es mir aber ein bißchen zu oberflächlich, also dahingehend, dass ich etwas suche, was darin versteckt sein könnte.

#16 Schön und wieder schwerer zu datieren. Mitte bis Ende der 60er, oder doch schon 70er? Spannend finde ich diese Verschiebungen, die etwas karibisches vermuten lassen. Dann diese Kreuzung mit avantgardistischem Gedankengut? Besonders die beiden Bassisten machen den Track aus und der Schlagzeuger, der quasi die Nahtstelle ist. Ich kenn‘ wenig mit zwei Bassisten, vor allem wenn keiner stattdessen zum Cello greift, aber warum nicht Richard Davis oder Cecil McBee. Ich weiß auch nicht, ob das zum späteren Graham Collier passen könnte?

#17 Von der Anlage her wieder etwas deutsches, erstaunlich allerdings, dass sich das sehr nach kollektiver, aber geordneter Modern Jazz-Improvisation anhört. Da hab‘ ich keine Ahnung, aber mir ist das ein bißchen zu eingepfercht und trotz allem Drängen zu eingekastelt.

Vielen Dank erstmal für den ersten Teil. Da ich bin ich schon gespannt auf die Auflösung und es war auch etliches dabei, was ich für mich entdecken werde!

--

"There is a wealth of musical richness in the air if we will only pay attention." Grachan Moncur III