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gypsy tail windJa, im New Orleans Jazz waren die Rollen klar verteilt: Posaune bleibt unten, schleppt etwas rum, mach lustige Nilpferd-Effekte… tailgate… ob das hier stimmt weiss ich nicht:
Kid Ory war da wohl der grosse Meister – kein Virtuose, auch kein wirklich guter Posaunist, aber einer, der genau wusste, wie er zu spielen hatte, damit es gut klang und er perfekt rüberkam (auch das ist Hohe Kunst… ich erinnere an unsere Mucke-Diskussion!)
Die Trompete spielt darüber die Melodie, hat den Lead, während die Klarinette sie umgarnt. Mit dieser Rollenverteilung waren Konflikte mehr oder weniger auszuschliessen, vorausgesetzt die Musiker waren mit den Stücken vertraut und in der Lage, nicht ausserhalb der harmonischen Regeln zu spielen, wenn das sich nicht anbot… letzteres gilt be einer Kollektiv-Impro im modernen Jazz genauso – und sollte auch einigermassen sicherstellen, dass keine ungewollten Clashs entstehen. Ein gewisses Mass an Dissonanz ist ja stets spannend und im Hardbop konnten sich die Musiker diesbezüglich einiges mehr erlauben als im New Orleans Jazz..
Leider ist ja die Aufnahmequalität aus dieser Zeit ja eher schlecht.
@all: Aus diesem Bereich wäre ich an Empfehlungen interessiert, wegen der besseren Aufnahmequalität gerne auch aus späterer Zeit.
gypsy tail wind
Nun, den Mangelsdorff-Track hier würd ich nicht wirklich „Free Jazz“ nennen, aber ich hab auch kein wirklich passendes Etikett dafür. Was wir hier hören ist wohl eine Weiterentwicklung des Naura-Tracks und des Freund-Tracks (etwa in der Reihenfolge, dann folgt Albert… und etwas später gab’s dann auch noch den Brötzmann, mit dem Mangelsdorff natürlich auch gespielt hat). Es herrscht eine Aufbruchsstimmung, eine Atmosphäre, in der plötzlich vieles möglich ist, was zuvor undenkbar gewesen ist.
Mangelsdorff ist meines Ermessens gross ganz unabhängig von der Geographie. Natürlich gibt’s immer das „Problem“, dass Jazz eben herkunftsmässig nicht seine (ebensowenig unsere) Musik war und ist, aber um 1960 (siehe auch meinen Post zum Album Jazz Is Universal von der Kenny Clarke-Francy Boland Big Band) hatte sich das soweit geändert, dass es in Europa Dutzende Musiker gab, die auf Augenhöhe mit den Amerikanern Jazz spielten – um einige zu nennen: in Frankreich Barney Wilen und Martial Solal, René Urtreger und Pierre Michelot, in der Schweiz George Gruntz, Flavio und Sohn Franco Ambrosetti, Daniel Humair (letzterer ging allerdings mit 20 nach Paris und gehört bis heute zur französischen Szene), in Italien Giorgio Gaslini, Eraldo Volonte, Giorgio Azzolini, in Österreich Hans Koller, der zwar schon länger da war, aber geraume Zeit gebraucht hatte, um sich zu emanzipieren, siehe #1.3, wo er noch nicht so weit war, in Osteuropa gab’s ebenfalls diverse tolle Musiker wie Krzysztof Komeda, Jan „Ptaszyn“ Wróblewski oder Jerzy Milian, in Spanien Tete Montoliu, in Skandinavien Musiker wie Bernt Rosengren oder die etwas älteren Arne Domnerus und Lars Gullin, in England Leute wie Tubby Hayes, Ronnie Scott, Joe Harriott, Stan Tracey… und viele andere mehr. Diese Zahl grossartiger Musiker gab’s in Europa in den 40ern und 50ern noch nicht, da hatte sich in der Tat einiges geändert!.
Ich bin doch erstaunt, wieviele europäische Musiker Du hier nennst!
gypsy tail wind
Oh, doch, das ist bestimmt möglich! Coltranes „A Love Supreme“ gehörte bei mir früh schon zu den allerliebsten Alben (wenn man 13 ist, keine Ahnung hat und ca. 10 Jazz-Alben kennt, denke ich, darf man „A Love Supreme“ als Avantgarde durchgehen lassen, ja? Heute ist sie Pop, aber auch bloss wegen der Wirkungsgeschichte, die Musik bleibt grossartig, provokativ, anregend, berauschend… zumindest für mich)..
Wenn Du schon mit 13 einen Zugang zur Avantgarde hattest, dann sind das aber ganz andere Voraussetzungen. Aber eigentlich hatte ich ja auch eher den freieren Jazz gemeint. Wenn man da schon einen emotionalen Zugang hat, das finde ich eben erstaunlich!
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