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@ gypsy: Zu einigen Punkten hätte ich auch noch was anzumerken, deshalb habe ich noch mal einige Kommentare von Dir rausgesucht:
gypsy tail wind
Was #14 betrifft: den Herrn gibt’s auch sonstwo noch zu hören (was überdies kein Einzelfall ist – ich weiss, das ist nicht unbedingt Usus bei BFTs, aber es wird sich alles erklären). Und der Track stand auch bei mir länger auf der Kippe. Wohl genau, weil die Spannungsbögen irgendwie nicht sauber konstruiert werden, weil das ganze einfach ein wenig dahinplätschert. Gerade das machte für mich aber nach wiederholtem Hören den grossen Reiz aus. Vermutlich entstand das Stück im Rahmen einer spontanen Jam-Session, was einiges erklären mag. Der Drummer zählt zu den ganz, ganz grossen, den Saxophonisten hab ich eher zufällig vor ein paar Jahren entdeckt und mag ihn seither sehr!
Dahinplätschern würde ich hier nicht sagen, es wird ja schon Spannung erzeugt. Aber die Spannung läuft im Endeffekt auf nicht viel hinaus.
gypsy tail wind
#1.4 Ja, Hardbop passt schon! Ist sicher das wichtigste Element im Stilmix dieser Band. Aber mir gefällt die Kollektiv-Impro ausserordentlich (ferry hat sie ja auch erwähnt!). Das kollektive Improvisieren ging im modernen Jazz, erst recht Hardbop, ja leider fast gänzlich verloren, wurde erst in der Avantgarde wieder häufig angewendet. (Na ja, das ist auch nur die halbe Wahrheit, nebenher gab’s randständigere Dinge… zuerst Tristano, dann Mulligans Bopsieland, dann Dinge von Mingus, Teddy Charles, Giuffre, Rogers, was in Richtung Third Stream geht, aber im grossen ganzen gibt’s nach dem Chicago Jazz und vor der Avantgarde ja doch wenig Kollektiv-Impros… Mingus ist hie und da auch eine Ausnahme, aber der ist ja wiederum auch eine Ausnahme-Erscheinung in jeder Hinsicht!)
Wirklich eine sehr interessante Sache, diese Kollektivimprovisationen. Die Musiker müssen dann ja sehr genau auf die anderen achten, damit das ganze nicht ausartet. Im New Orleans- Jazz war das ja wahrscheinlich noch einfacher, weil jedes Instrument eine fest zugewiesene Rolle hatte (Posaune/ Kornett/ Klarinette) ?
gypsy tail wind
#1.17 Das hier ist natürlich die zweite Maximatur… Albert, Lenz und Hübner passt natürlich, andere Hinweise hab ich schon gegeben. Ich bin ein riesiger Fan dieser Band (ja, es ist DIE Band, damit ist wohl auch alles geklärt), die offenen Grooves, der erdige Bass, die tollen Drums, Mangelsdorffs unglaubliche Solo-Flüge, die immer etwas vokales haben, lange bevor er auch in die Posaune sang und das Vokabular erweiterte… dann die Saxer, der etwas saure (ich sagte ja bereits:nomen est omen) Tenorist, oft ein wenig verbissen, deutlich von Coltrane geprägt, manchmal auch am Sopran zu hören, und dann eben der unbekannte, verkannte, grossartige Altsaxer (manchmal am Bari), der für mich oft die tollsten solistischen Glanzlichter setzt… ein Band aus einem Guss, die gemeinsam atmet, gemeinsam in jegliche Richtungen ausscheren kann, die ungeheuer lyrischen Jazz machte, und nicht zuletzt eine der ersten Bands, die modernen Jazz machte, der genuin europäisch war… und sich zudem an der Grenze vom Hardbop/Modal-Jazz zur Avantgarde befand, genau dort, wo auch in den USA – man denke an Andrew Hill, Jackie McLean, Grachan Moncur III, Bobby Hutcherson, Larry Young, Eric Dolphy… – so viele grossartige Musik entstand!
Das Stück hier ist sicher nicht das beste der Band, aber es zeigt sie in einem ausgedehnten Groove und es passt alles. Und es gibt natürlich einen Grund, warum ich’s gewählt habe…
#1.17 Das ist ein Quintett, denn es gibt ja kein Piano in der Rhythmusgruppe. Zudem hören wir einen Coltrane-geprägten Tenoristen und einen grossartigen Altsaxer, neben dem Leader Albert Mangelsdorff. Ihn hier zu erkennen war wohl der leichteste erkennungsdienstliche Teil von CD1, aber das Stück dürfte schwer zu identifizieren sein… hier lösen sich Gewissheiten auf, Metrum, Harmonie, manchmal auch die Tonalität – das ist für mich genau der Punkt, an dem Jazz mich am meisten fasziniert, wenn Tabus gebrochen, Fundamenten zu wackeln beginnen, die man zuvor für unvergänglich gehalten haben mag… dass das manchen zu weit gehen mag, kann ich gut nachvollziehen (insofern warne ich Dich auch bereits mal vor einigen Stücken auf CD2, denn die letzten beiden Tracks von CD1 geben da quasi mal die Richtung vor, in der’s dort weitergehen wird).
Das ist ja schon beeindruckend, wenn Mangelsdorff damals so auf Augenhöhe mit den US- Jazzern war. Aber das war dann doch im bereich Free Jazz/Avantgarde?
Hier hast Du ja auch schon geschrieben, was Dich am Free Jazz fasziniert. Rein theoretisch kann ich dem ja schon folgen/ zustimmen, aber vom musikalischen Verständnis bisher nicht. Das Stück werde ich mir noch ein paar Mal anhören.
Wobei, die härteren Brocken sind ja eigentlich eher auf CD2 zu finden.
Die Schwierigkeiten habe ich auch eher damit, wie freie Musik sich anfühlt. Eben von der Rezeption erst mal evtl. schräg, unharmonisch oder unzusammenhängend.
Das mit der Faszination an Grenzbereichen/ Grenzüberschreitungen hängt ja wahrscheinlich auch mit dem eigenen musikalischen Verständnis zusammen, wenn man eben auch versteht (oder zumindest ansatzweise) was die Musiker da gerade machen. Nur unter ästhetischen Gesichtspunkten kann man sich jedenfalls bestimmt nicht dieser Musik annähern ?
gypsy tail wind
Was ist daran schlimm? Der frühe Doldinger war ein Klasse-Musiker. Was danach mit Passport folgte, brauch ich nicht zu hören (ein paar Minuten haben mir da gereicht). Aber das Doldinger Quartett (es ist übrigens auch vertreten hier, 1,5 mal sogar) war eine tolle Band! Ich hab mir Mühe gegeben, von ihm nicht die offensichtlichsten Tracks auszuwählen, hab aber anscheinend besonders mit einem (dem „ganzen“) Track nicht ganz den Nerv getroffen hier.
Von Doldinger kann auch letztens was aktuelles im Fernsehen, das hat mir auch gefallen (schön das ich mich jetzt traue das mal zu schreiben). Er hatte zwei Percussionisten dabei, das ist bei mir sowieso schon die halbe Miete. Und er hatte einen wirklich sehr guten Pianisten/ Keyboarder, dessen Name aber nicht genannt wurde. Er selbst hat eigentlich auch schön melodiös gespielt. Die Atmosphäre des Konzerts war allerdings etwas bieder (siehe auch vorgarten’s Kritik, damit habe ich auch so meine Probleme!).
gypsy tail wind
#2.7 Melancholisch ist das bestimmt, ja. Hierzu (auch zu #2.3) kann ich nur anfügen, dass die Vielseitigkeit der ausgedrückten Emotionen und die oft grosse Offenheit, Direktheit, mich am Jazz so fasziniert. Und dazu kann ich dann noch sagen, dass es viele Alben oder Musiker gibt, die ich keinesfalls jeden Tag hören möchte… das hier gehört wohl auch dazu. Aber die Trompete gefällt mir ausserordentlich gut!
#2.7 Okay, bestens! Das kann ich verstehen… ferry gefällt’s ja auch nicht so sehr. Der Trompeter ist übrigens – um doch mal eine Fährte zu legen – einer der (allerdings einverleibten) Fremdkörper hier im BFT (das sollten zumindest jene verstehen, die dem Thema des BFT schon auf die Spur gekommen sind, anderen könnte es auch helfen, dieses zu verstehen…)
Das Stück gefällt mir schon, aber es ist für mich doch etwas zu melancholisch. Nur mal allgemein zum Thema melancholische Musik: Die scheint ja auch hier im Forum unheimlich hoch im Kurs zu stehen. Ich kann das nicht ganz nachvollziehen, denn Melancholie ist nicht unbedingt ein Gefühl, das ich durch das Hören von entspr. Musik erzeugen bzw. verstärken möchte. Auf jeden Fall aber lege ich keinen besonderen Wert darauf.
gypsy tail wind
#2.4 ferry hatte damit (auch mit #2.3) ja auch seine Mühe… mir gefällt, wie die dichten Rhythmen im Thema anfangs aufgebrochen werden durch die langsameren Teile. Dann wie die Bläser im Piano-Solo begleitend eingreifen, während der Pianist (übrigens der einzige mir völlig unbekannte der Gruppe) zeigt, dass er wohl auch schon Cecil Taylor gehört hat. Der Altsaxer ruft die Truppe dann zusammen, soliert mit sattem, schönen Ton – sein Solo ist für mich hier der grosse Höhepunkt! Wie er die Linien aneinanderfügt, sich unterbricht, schreit… dann wird das Tempo verdoppelt, Trompetensolo (von einem Herrn übrigens, der anderswo ein – wie ich finde, vorgarten übrigens auch – Glanzlicht setzt… auch die anderen beiden Bläser hört man anderswo noch, ebenso Bassist und Drummer) ist hier wirklich nicht sooo toll, aber gefällt mir doch ganz ordentlich.
Das werde ich mir auch noch mal anhören. So ganz überzeugt von dem Stück bist Du aber wohl auch nicht, anscheinend aber doch von einigen Teilen. Dann hört man sich im Endeffekt wohl doch besser was richtiges an (die Vorbilder ;-)).
gypsy tail wind
#2.5 Ich versteh die Abneigung gegen Bass- und Drum-Soli nicht… insofern kann ich hier eigentlich gar nichts sagen. Wem das nicht passt, dem wird der Track auch nicht besonders passen, logisch. Und schade.
Auf Bass- und Drum- Soli bin ich auch nicht besonders scharf. Aber es kommt natürlich auch darauf an- kurze und knackige Soli sind meistens sehr schön. Wenn das ganze aber länger wird und ausartet, dann meistens nicht.
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