Re: Sonny Stitt

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The Saxophones of Sonny Stitt (LP 2230) ist das erste von fünf aufeinanderfolgenden Alben mit Jimmy Jones am Piano. Charlie Persip spielt auf den ersten beiden, Roy Haynes auf den folgenden dreien Schlagzeug. Der Bassist ist unbekannt, abgesehen vom zweiten und fünften Album, wo es möglicherweise Aaron Bell ist.
Die Stücke sind durchweg kurz gehalten, möglicherweise war Reig darauf aus, die Chance für airplay etwas zu erhöhen? Das Album war in derselben Reihenfolge programmiert, in der die Session ablief, der Opener war also „Happy Face“, einem Blues mit mehr als einem Touch Swing-Ära im Thema, den Stitt auf dem Tenor spielt. Im ersten Solo-Chrous hören wir, wie Stitt nach einem „start-stop“ mit abfallenden Triolen weiterfährt – das gab’s immer wieder bei ihm. Später klingt er streckenweise ganz stark nach Lester Young, hängt sich an gewissen Tönen fest. Aber vor allem swingt er! Jones beginnt sparsam, anfänglich wie so oft mit deutlichen Ellington-Anklängen, später mit einfachen repetitiven Motiven, die an Horace Parlan gemahnen.
Auch „Am I Blue“ spielt Stitt am Tenor, schreitet durch zwei Chorusse voller Ideen, sehr gelassen und mit aufmerksamer Begleitung von Jones und Persip, der die Band vor sich hin kickt (auch er hatte einige Big Band Erfahrung gesammelt und war gerade dran, sich mit knapp 30 Jahren den Status eines Veteranen zu erspielen).
Für die Ballade „I’ll Be Seeing You“ wechselt Stitt aufs Altsax, die Performance ist kurz aber kraftvoll und läuft unter dem Genre walking ballad. Stitt wechselt zurück zum Tenor für „When You’re Smiling“, das Stitt kraftvoll und immer vorn am Beat interpretiert und die Band regelrecht antreibt. Es folgt „In a Little Spanish Town“, eine charmante kleine Nummer, die Stitt am Alt über den üblichen Latin-Beat vorstellt. Fürs Solo wechselt die Band in einen swingenden 4/4 über und das mittelschnelle Tempo ist perfekt für Stitt und seine unendlichen Ideen – er mischt Melodiefragmente, Bebop-Licks und rasante Linien. Jones kriegt ein längeres Solo und spielt im zweiten Chorus ein paar tolle akkordische Passagen.
Es folgt „Them There Eyes“ mit Stitt am Tenor. Jones ist energetisch in der Begleitung, im Solo spielt er vor allem kleine Figuren – und Persip kickt die Band an. Stitt spielt „Back in Your Own Back Yard“ in relaxtem mittelschnellem Tempo mit dem Bass streckenweise in 2/2. Fürs Solo wechselt das Stück in einen rollenden 4/4, Jones spielt fast durchgängig auf jeden Beat einen Akkord, während Stitt zwischen entspannt und zupackend wechselt, sich mal zurücklehnt, mal mit vibrierenden Linien und brüllendem Ton drauflosstürmt. Jones markiges Solo bietet einen tollen Kontrast.
In seinem Bop-Blues „Foot Tapper“ zitiert Stitt (am Altsax) Artie Shaws „Moonray“, wechselt gehaltenen Töne und kleine Motive mit den typischen rasanten Läufen ab. Persip ist deutlich präsenter in der Begleitung als Shadow Wilson und das kommt Stitt durchaus gelegen. Für die kurze Version von „Sometimes I Feel Like a Motherless Child“ (Jones spielt das berührende Solo) und den „Shadow Waltz“ – das erste Stück im ganzen Roost-Set, und überhaupt eins der wenigen in Stitts Werk, das nicht in 4/4 gespielt wird – wechselt Stitt wieder zum Tenor. Den Abschluss macht das passend betitelte „Wind-Up“, ein weiterer themenloser Blues, in dem Stitt in alle Richtungen losprescht, von einem lebendigen Persip angetrieben.

Das zweite Album mit Jimmy Jones hiess A Little Bit of Stitt (LP 2235) und wurde etwas über ein Jahr später, am 10. April 1959 eingespielt. Persip war erneut dabei, und der unbekannte Bassist könnte wie gesagt Aaron Bell sein. Das Mosaic-Set enthält zuvor unveröffentlichte alternate takes von „Laura“ und „I’m Confessin (That I Love You)“, die beide jeweils vor den veröffentlichten Versionen eingespielt wurden. Die Stücke waren erneut eher kurz gehalten und Stitt spielte dieses Mal wieder mehr Altsax.
Mit „Star Eyes“ beginnt das Album mit einem Stück, das klar mit Parker assoziiert ist – und perfekt geeignet für Stitts Erfindergeist, seine Auschmückungen, rasanten Läufe, und ein Solo, das stets die Melodie im Hinterkopf behält.
Die Ballade „Laura“ folgt. Im master take spielt Stitt etwas sanfter, im alternate take zitiert Stitt wieder mal ausführlich („Man with the Horn“, „The Kerry Dancers“, „Easter Parade“) und in beiden spielt er tolle Solo-Kadenzen am Ende. Für den swingenden „J.B. Blues“ wechselt Stitt erstmals zum Tenor. Stitt greift diverse liebe Ideen, Einfälle und Tricks auf, hält und shakt auch mal eine Note wie dies Gene Ammons gerne tat. Jones zeigt erneut, dass er mit dem Blues umgehen konnte. Auch „Slow Boat to China“ wurde von Parker erstmals als Jazz-Vehikel verwendet. Stitt bleibt auf dem Tenor und spielt sehr entspannt. Sein Spiel hier hat eine zarte aber auch eine gehärtete Seite. Jones folgt mit einem verspielten Solo, in das er ein paar an Ellington gemahnende Akkorde einstreut. Stitt kehrt mit einem zweiten kurzen Solo zurück und beendet das Stück.
Das nächste Stück, „Cocktails for Two“, haben wir zuvor schon als Zitat gehört, hier folgt die volle Version – Stitt ist wieder am Alt. Jones untermalt Stitts gehobene Cocktail-Stunde mit etwas kühlen Akkorden und spielt dann selbst ein tolles akkordisches Solo – eine grossartige Performance!
Zum dritten und letzten Mal hören wir Stitt in den beiden Versionen von „I’m Confessin'“ am Tenor. Der alternate take ist brennend, schnell, während der veröffentlichte Take langsamer, sanfter, aber auch voller Anklänge an den Blues ist… und es schleichen sich auch einige double time Läufe ein.
„When the Red, Red Robin (Comes Bob, Bob Bobbin‘ Along)“ mag nicht als typisches Jazz-Vehikel erscheinen, aber Stitt macht das beste daraus – und das ist durchaus hörenswert und ziemlich rührend.
Es folgt eine nachdenkliche Version des schönen „Don’t Take Your Love from Me“ von Henry Nemo – ein Stück, das viel zu selten zu hören ist! Stitt liebkost die Töne, schmückt das Stück mit seinen Linien aus, bleibt aber sanfter im Ton, etwas luftiger als üblich. Im Solo bleibt er stets dem Thema verbunden und streut ein paar grossartige double time Läufe ein. Sublim!
Und weiter geht’s mit „After the Late, Late Show“, einem Blues von Stitt – und schnell wird klar, dass er jetzt absolut on ist. Jones begleitet warm und sparsam, Stitt ist inspiriert, sein Solo wieder über weite Strecken sehr weich phrasiert (aber deswegen nicht weniger präszise), voller grossartiger Läufe und Ideen, intensiver Figuren, die ganz ans obere Ende des Instruments gehen, leidenschaftliche Schreie.
Die Session endet dann mit „For All We Know“, und damit ist aber auch wirklich alles gesagt. Stitt spielt in einigen Stücken absolut spektakulär, die Band begleitet ihn sehr einfühlsam, weiss, wann zu treiben und wann zurückhaltend zu agieren. Im Closer ist das Tempo mittelschnell, die Band bounct, Stitts Ton ist warm und satt und das Stück bildet einen perfekten Abschluss.

Zwischen „The Saxophones of Sonny Stitt“ und „A Little Bit of Stitt“ war Stitt übrigens nicht tatenlos gewesen. Im Juli 1958 trat er mit Sal Salvador in Newport auf (Ausschnitte daraus sind im – mir immer noch unbekannten – Film „Jazz on Summer’s Day“ zu sehen), er nahm zwei Quartett-Alben für Argo auf („Sonny Stitt“ und „Burnin'“, s.o.) und war zudem auch für Verve ein paar Mal im Studio („The Hard Swing“, „Sonny Stitt Plays Jimmy Giuffre Arrangements“).
Bevor er sein nächstes Roost-Album einspielen sollte, war er zudem im Mai 1959 in Paris, wo für Verve das schöne Album „Sonny Stitt Sits in with the Oscar Peterson Trio“ eingespielt wurde (s.o.).

Am 21. September 1959 enstand das dritte Roost-Album mit Jimmy Jones, A Sunny Side of Stitt (LP 2240). Roy Haynes sass jetzt am Schlagzeug, der Bassist ist wieder unbekannt. Jones und Haynes hatten von 1954-58 gemeinsam in der Begleitband von Sarah Vaughan gespielt und waren mmiteinander vertraut (zu hören mit Vaughan sind sie etwa auf „Lullaby of Birdland“ und „At Mr. Kelly’s“ auf EmArcy bzw. Mercury). Haynes hatte schon mit Lester Young (1947-49), Bud Powell (1949), Charlie Parker (1949-53), Stan Getz (zwischen 1950 und 1961, auch für Roost), Vaughan (1953-58) und auch mit Monk (1958) gespielt. Unter seinen Chefs fanden sich also einige von Stitts wichtigsten Vorbildern und auch der Mix von Swing und Bop (bei Stitt konkret: Lester Young und Benny Carter auf der einen und Charlie Parker auf der anderen Seite) ist gegeben.
Mit „Day by Day“ öffnet die Session entspannt, Stitt spielt wieder vornehmlich Altsax. Es folgt „Don’t Worry ‚Bout Me“, das Stewart eine „symphonette in two minutes fifty seconds“ nennt. Stitt beginnt im Rubato, nur von Jones begleitet, soliert dann in time über der Band, bis diese stoppt. Es folgt eine grossartige Kadenz mit Piano und aus.
Für den alten Blues-Klassiker „Red Top“ wechselt Stitt dann erstmals aufs Tenor. Haynes lässt die Snare rattern und treibt die Band locker an. Stitts Ton ist fett, er bringt wieder diesen Ammons-Trick mit der gehaltenen und geshakten Note, stürzt sich in Läufe, das volle Programm. Jones folgt mit ein paar zerstreuten Phrasen, dann mit seinen typischen locked hands Akkorden. Für „I Never Knew“ bleibt Stitt am Tenor, das Stück swingt schön vor sich hin, Stitt honkt kurz, Haynes gibt diesen kleinen Extra-Kick, der ihn so besonders macht, seinen snap crackle. Auch wenn Stitt hier nicht richtig Feuer fängt: eine mittelmässige Stitt-Performance ist meistens immer noch gut.
Am Altsax präsentiert Stitt den anderen grossen Hoagy Carmichael-Klassiker „Skylark“. Hier ist wieder Stitt der Geschichtenerzähler, der so ehrlich ist, dass man ihm auf den Sechzehntel genau glaubt, was er uns hier auftischt. Kurz, präzis, meisterhaft. Im folgenden „I’ll Remember April“ verweist er kurz auf „In a Little Spanish Town“ und glänzt mit schellen Linien, präzisen Phrasen und Fragmenten aus dem Thema.
Es folgt Artie Shaws bezauberndes „Moonray“, das Stitt zurückhaltend als eine Art walking ballad interpretiert. Dann folgt der „Old Fashioned Blues“, von Jones entsprechend eingeleitet. Stitt spielt mit sattem, singendem Ton, viel näher an Benny Carter denn an Parker. Aber da sind auch wieder die rasenden Läufe vor allem im ersten Solo-Chorus. Danach wird Stitt ruhiger, klagender, derweil Haynes schnattert, Jones tremoliert und der Bass erdig schreitet. Den Ausklang des Albums bildet dann die dritte Nummer mit Stitt am Tenor, „Hitsburg“, ein gefälliger Blues, der mit einem kleinen Latin-Intro von Bass und Piano öffnet. Stitt steigt verhalten ein und klingt nicht besonders involviert.
Das ist überhaupt öfter so in dieser Session. Manches („Don’t Worry ‚Bout Me“, „Red Top“, „Skylark“) ist sehr schön, manches (etwa der „Old Fashioned Blues“) macht einfach Spass, aber insgesamt klingt Stitt hier selten so zwingend wie in den vorangegangenen Roost-Alben, er klingt hie und da so, als lasse er sich einfach noch etwas ausrollen. Das ist wie gesagt immer noch gut, wenn Stitt das macht, aber es fehlt dann eben das, was ihn sonst so faszinierend macht, der Hunger, dieser scheinbar nie endende Ideen-Strom, die sofortige Umsetzung aufs Instrument.

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