Re: Sonny Stitt

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Ab Dezember 1955 setzt eine lange Reihe von Quartett-Alben von Stitt ein (nur auf der ersten von zwei Sessions fürs erste ist zudem Freddie Greens Gitarre zu hören). Das erste Album hiess Sonny Stitt Sonny Stitt Sonny Stitt… oder aber Sonny Stitt Plays (LP 2208) und Stitt (der auf den nächsten drei Alben nur am Altsax zu hören ist) wurde von ein paar der besten Musiker begleitet, die man Mitte der 50er Jahre in New York für eine solche Session finden konnte: Hank Jones, Wendell Marshall und Shadow Wilson (sowie, wie erwähnt, am ersten der beiden Tage, Freddie Green).
„There Will Never Be Another You“ setzt einen swingenden Auftakt, Stitts Solo ist meisterhaft. Intensiv bläst Stitt in „Yesterdays“, wechselt Fragmente des Themas mit seinen eigenen Einwürfen ab und wird gefolgt von einem schönen Jones-Solo. „The Nearness of You“ gerät leichter, Jones ist ein perfekter Begleiter für solches Material. Am Ende der CD (CD2 des Mosaic-Sets) findet sich zudem ein ebenbürtiger alternate take. Die Session endet mit „Biscuit Mix“, einem groovenden mittelschnellen Stitt-Original, das abgesehen von einem kurzen Piano-Intermezzo ganz Stitt gehört und ihn in boppiger Spiellaune zeigt.
Die zweite Session beginnt mit „Afterwards“, einem schnellen Stitt-Original über rhythm changes. Wir kriegen ein eindrückliches Solo zu hören – sowohl technisch wie auch musikalisch, improvisatorisch. Der master take von „If I Should Lose You“ zeigt Stitt mit saftigem Ton in mittelschnellem Tempo, wieder wechselt er zwischen Phrasen aus dem Thema und seinen eigenen Kommentaren, zitiert im Solo dann länger aus „Softly as in a Morning Sunrise“ und „The Kerry Dancers“. Jones‘ Piano-Solo hat etwas tänzerisch Leichtes. Im später entstandenen alternate take ist Stitt in noch besserer Form, geht die Töne schärfer an, zitiert zuerst „The Mexican Hat Dance“ und dann „Softly as in a Morning Sunrise“.
Mit „Blues for Bobby“ folgt der langsame Blues, den wir schon bald auf fast jedem Stitt Album zu hören kriegen – und der für mich persönlich fast immer zu den besten Momenten gehört (siehe auch meine Kommentare zu den Verve-Aufnahmen aus den späten 50ern oben)! Dieses Genre des langsamen Bop-Blues hat Charlie Parker wohl mit seinem „Cool Blues“ erfunden. Das Intro erinnert stark an „All the Things You Are“, einen staple der Bopper, danach geht’s aber ganz anders zur Sache, Stitt biegt und dehnt seinen Ton, erzählt von Pein und Schmerz, aber auch von frohen Momenten. Jones folgt und beweist einmal mehr, wie gut er die Kunst beherrscht, genau den richtigen Ton im richtigen Moment zu spielen. Das tolle Album endet mit „My Melancholy Baby“ im mittelschnellen Tempo und mit tollen fills von Shadow Wilson (der in kleinen Formation oft sehr zurückhaltend klingt, der aber auch einer der ganz grossen Big Band Drummer war).
Im Down Beat erhielt das Album ****1/2 und dem schliesse ich mich gerne an!

Ende 1956 oder am 23. Januar 1957 entstand das nächste Stitt-Album für Roost – die exklusiven Jahre waren jetzt vorbei. Zum ersten Mal ist Stitt mit einer eigenen working band zu hören: Dolo Coker (p), Edgar Willis (b) und Kenny Dennis (d) passten perfekt zu ihm. Da Zan Stewart es schon so schön zusammenfasst zitiere ich ihn rasch:

Coker was a Bud Powell disciple who had played with Kenny Dorham before his two-year off-and-on relationship with Stitt. After moving to Los Angeles, he recorded with Dexter Gordon and Art Peper, and as a leader for Xanadu Records. Willis was a solid player later known for work with Ray Charles and Hank Crawford. Philadelphia native Dennis – who from 1960-69 was married to and performed with singer Nancy Wilson – had by this time played with Earl Bostic and Erroll Garner. he would record in 1957 with Sonny Rollins (three tracks for Period Records) and Johnny Griffin (THE CONGREGATION, on Blue Note) and in 1958, at Miles Davis‘ recommendation, with Michel Legrand (on the four tracks that feature Davis and John Coltrane on LEGRAND JAZZ, Columbia). He freelanced in New York – Monk and Charles Mingus both used him – before relocating to Los Angeles in the early ’60s where he remains active.

~ Zan Stewart (July 2001), Liner Notes zu „The Complete Roost Sonny Stitt Studio Sessions“, Mosaic MD9-208, 2001, S. 10.

Kenny Dennis erinnerte sich auch in einem Interview (Stewart nennt es „recent“, er schrieb seine Notes im Juli 2001) an die Zeit mit Stitt:

„Stitt really tester your mettle,“ said Dennis. „You either could play with him or you couldn’t. Those days, as we toured around the country – this band was together at least a year – he would invite people to sit in. He’d call something simple, like a blues, then run it through the 12 keys [Stitt was renowned for being able to play any tune in any key]. He’d test everybody. It was really a challenge to play with him on any instrument at any level, period.
„In the studio, he wanted perfection but he was very supportive, protective about having his band, his rhythm section. He wasn’t going to take any guff, but I think Teddy Reig probably wanted New York „killers“ and not players he didn’t know.“

~ Zan Stewart (July 2001), Liner Notes zu „The Complete Roost Sonny Stitt Studio Sessions“, Mosaic MD9-208, 2001, S. 10.

Stitt setzte sich durch und nahm mit dieser Band ein tolles Album auf, das den Titel 37 Minutes & 48 Seconds with Sonny Stitt (LP 2219) erhielt. Alle vier erhaltenen alternate takes von dieser Session formten zusammen mit der 1952er Roost-Session das oben erwähnte Savoy-Album Symphony Hall Swing.
Los geht’s mit „What Is This Thing Called Love“ und der Groove der Band wird rasch hörbar – sehr in the pocket, perfekt eingespielt, erdig. Ganz anders als die elegante Band um Hank Jones auf dem Vorgänger. Stitt greift in die Vollen, swingt hart und zeigt sich von der besten Seite. „Sweet Georgia Brown“ ist zweimal zu hören, im master take zitiert Stitt am Ende seines Solos erneut eine Phrase aus „Softly as in a Morning Sunrise“ (im alternate take taucht wieder die erste Phrase in den fours auf). Wie schon im ersten Stück hören wir erneut kurze Soli von Coker und Willis. Das Tempo ist sehr schnell, Stitts Soli klingen sehr gesanglich. Im alternate take ist das Tempo ein wenig lansgamer, Stitt und Dennis scheinen auf dem maste etwas mehr Drive zu haben, Coker ist beide Male exzellent und auch Willis gibt sich keine Blössen.
Mit Blues for Yard wird der Parker-Bezug (der schon in den Soli über „Sweet Georgia Brown“ deutlich wurde) noch klarer. Ein langsamer, themenloser Tribute an den Meister. Die Band klingt sehr zusammen und jeder der drei Takes klingt frisch und neu – bloss das Ende der ersten Version ist etwas ungeschickt geraten. Mit „Harlem Nocturne“ wechselt Stitt die Schattierung, bleibt aber beim langsamen Tempo. Cokers Intro ist effektiv und setzt die Stimmung, Stitt spielt die Noten hart an und streut seine rasenden Linien ein – wunderbar!
Es folgt gleich noch eine Ballade, die Stitt aber im mittlschnellen Tempo angeht: „Blue Moon“. Das unübliche Tempo gelingt gut und Dennis treibt Stitt im Solo kräftig an. Coker arbeitet – seinem Boss gar nicht unähnlich – mit rhythmischen Ideen, die er mittels Pausen von seinen schnelleren Linien abgrenzt.
Mit „Because of You“ grub Stitt einen alten Standard aus, der sich in seinen Händen sehr gut als Vehikel für eine Jazz-Version eignet. Stitt klingt exzellent und die Band swingt hart und sehr geerdet. Coker streut eine kurze Referenz an Bud Powell ein, indem er „Parisian Thoroughfare“ zitiert, und Willis steuert erneut ein kurzes Solo ohne Fehl bei.
Stitts „Windy Ride“ ist ein mittelschneller Blues, den Coker am Piano eröffnet. Stitt wärmt sich mit vier Chorussen (und mir scheint etwas Problemen mit seinem Blatt) auf, überlässt das Feld dann Coker und Willis, nur um mit sieben weiteren Chorussen erst richtig aufzutrumpfen. Am Ende folgen fours mit Dennis.
In Gershwins „But Not for Me“, das im bouncenden Medium-Tempo gespielt wird, zitiert Stitt schon im Thema zweimal „Man with the Horn“, soliert dann relaxed im double time Feeling und streut ein paar unglaubliche Läufe ein. Dennis treibt ihn mit den Besen an und Coker folgt mit einem flüssigen Solo.
Das tolle Album klingt mit Parkers „Scrapple from the Apple“ aus, das die Akkorde von „Honeysuckle Rose“ borgt, die Bridge aber von „I Got Rhythm“ übernimmt. Stitt ist inspiriert, sein Solo ist ganz klassischer Bop. Die Band unterstützt ihn empathisch und Coker trägt auch ein tolles Solo bei.
Damit endet wohl eins der allerschönsten Stitt-Alben. Kenny Dennis ist kein Lieblingsdrummer von mir, er scheppert manchmal etwas gar viel… aber er spielt immerhin auf einem meiner allerliebsten Hardbop-Alben, dem erwähnten „The Congregation“ von Johnny Griffin. Bei AAJ gibt’s ein paar zusätzliche Infos zu ihm: http://www.allaboutjazz.com/php/musician.php?id=11655

Am Ende der Abschnitte zu diesem Album unterläuft Zan Stewart im Mosaic-Booklet übrigens ein Fehler: nicht „Only the Blues“ sondern „Personal Appearance“ heisst das Verve-Album, das dieselbe Band mit Bobby Timmons am Piano ein paar Monate später für Verve aufnehmen sollte (s.o.).

Fürs nächste Album, Sonny Stitt with the New Yorkers (LP 2226) waren Hank Jones, Wendell Marshall und Shadow Wilson zurück. Stitt beschränkt sich erneut ganz aufs Altsax. Aufgenommmen wurde das Album (sowie drei erstmals in der Mosaic-Box veröffentlichte alternate takes am 30. August 1957 (gemäss dem Mosaic-Booklet, Lord gibt den 28. Juni an).
Den Auftakt macht das rasante „Cherokee“, das Charlie Parker als „Ko-Ko“ zu einer Hymne der Bopper machte. Stitt ist schlicht grossartig, schon im Them, das er mit rasenden Phrasen ausschmückt. Jones zeigt in seinem Solo mit kurzen Einwürfen, dass dieses Tempo ihm nicht die geringste Mühe bereitet. Nach Marshalls Solo zitiert Stitt bei seinem Wiedereinstieg in der bridge zwei Phrasen, die Parker genau an derselben Stelle in „Ko-Ko“ gespielt hatte. Stitt nutzt sie als Ausgangspunkt und wechselt von da an wieder in seine eigene Sprache.
Mit „Engos, the Bloos“ (auf der LP „Ergo, the Blues“ überschrieben) sind wir im mittelschnellen Blues-Territorium und Stitt blüht auf. Im alternate take wechselt er im dritten Chorus dazu über, die komplexeren changes zu spielen, die Parker seinem „Blues for Alice“ zugrunde gelegt hatte. Im master spielt Stitt von Anfang an über diese Akkorde, die zusätzliche melodische Möglichkeiten öffnen. Stitt ist verspielt, melodieselig, die Ideen fliessen nur so dahin, und auch Hank Jones spielt auf beiden Versionen grossartige Soli.
Wie auf den beiden vorangegangenen Roost-Alben spielt Stitt auch hier nur Altsax. Er spielt also auch seine Version des Tenor-Meilensteins „Body and Soul“ am kleineren Horn und seine Interpretation gehört wohl zu den besten. Sein Ton ist wunderbar, seine Intonation absolut perfekt und es ist eine Freude zu lauschen, wie er schon im Thema eine lupenreine Bop-Phrase einstreut und später noch Phrasen aus „Prisoner of Love“, „If You Could See Me Now“ und „Cocktails for Two“ einstreut – und das immer auf völlig musikalische und natürliche Weise tut, ohne den Fluss seines Spiels zu unterbrechen.
Jones‘ Begleitung auff „I Didn’t Know What Time It Was“ ist wohl so nahe an Perfektion wie das nur geht. Er leitet das mittelschnelle Stück ein, füttert Stitt mit anregenden Ideen und spielt gegen Ende selber ein kurzes aber tolles Solo – und das alles mit diesem ganz besonderen, weichen Anschlag und schönen Ton.
„The Best Things in Life Are Free“ ist etwas schneller, Stitt ist Bestform, taucht tief in die Melodie ein und auch sein Solo ist sehr melodiös und lyrisch – und schlichtweg grossartig. Ebenso Jones mit seinem Mix aus Tatum, Wilson und Powell. Man achte auch auf Teddy Wilson, der zwar stets im dezent Hintergrund bleibt – aber das heisst nicht, dass seine Begleitung nicht reich an Nuancen und Abwechslung ist!
Beide Takes von „People Will Say We’re in Love“ stecken voller wundersamer Ideen Stitts und auch Jones trägt beide Male viel bei. Shadow Wilson begleitet den alternate take mit Besen, den damals veröffentlichten, schnelleren und kürzeren master take mit Sticks.
Mit „Bloosey“ sind wir wieder im Blues-Territorium, dieses Mal allerdings in etwas schnellerem Tempo als in „Engos“. Kaum ist das vernachlässigbare Thema durch geht Stitt ab, bläst ein wunderbares Solo voller Einfälle und mit absolut perfekter Phrasierung. Jones greift Stitts letzte Phrase auf und beginnt sein tolles Solo von da. Am Ende rifft Stitt mit der Band ein wenig, und finis.
„Bird’s Eye“ borgt den head von Parkers „Steeplechase“ (Savoy, 1948). Stitt konstruiert ein klassisches Bebop-Solo, das ein paar Parker-Phrasen variiert. Jones wird von Wilsons ride angetrieben und dieser lässt gegen Ende endlich auch mal etwas los und spielt fours mit Stitt.
Den Abschluss der Session macht die wunderschöne Balladen-Interpretation von „It Might as Well Be Spring“, von Stitt förmlich gesungen und mit einigen schnellen Einwürfen ausgeschmückt. Das Solo gehört Jones, der von Marshall und Wilson sanft gebettet wird. Der alternate take ist etwas langsamer, dauert ein ganzes Stück länger und und das Ende wird nicht ausgeblendet.
Ein weiteres grossartiges Stitt-Album, das wieder von der eleganteren Art des ersten Albums mit Jones ist und in deutlichem Kontrast zu den erdigeren Alben mit der working band oder dem im Oktober eingespielten Verve-Album „Only the Blues“ steht.

Mit Roy Eldridge sowie Jo Jones gesellte sich Stitt am Abend des 7. Juli 1957 zum Trio von Oscar Peterson (mit Herb Ellis und Ray Brown), um an dessen Konzert am Newport Jazz Festival zu spielen. Das Album hiess The Oscar Peterson Trio with Roy Eldridge, Sonny Stitt & Jo Jones (Verve MGV-8239). Nach dem öffnenden Trio-Set werden Jones, Eldridge und Stitt auf die Bühne gebeten und die Band rompt frohen Mutes durch den „Monitor Blues“ (mit Stitt am Tenor). Es folgt Eldridges Balladen-Feature „Willow Weep for Me“, dann Stitt am Altsax mit „Autumn in New York“ und zum Ende noch ein Romp, „Roy’s Son“, wie „Monitor Blues“ Eldridge und Stitt gemeinsam zugeschrieben. Hinter Roy’s Son verbirgt sich ein wohlbekannter Bebop-Knaller, nämlich Denzil Bests „Wee“ („Allen’s Alley“), das Stitt schon im vorigen Oktober mit Dizzy Gillespie und Stan Getz für „For Musicians Only“ eingespielt (s.o.). Stitt spielt Altsax im Thema und im ersten Solo, später greift er zum Tenor und zum Abschluss folgt ein furioser Dialog mit Eldridge (der hier wesentlich bissiger scheint als Stitt).
Mit drei Virtuosen, einem tollen Drummer und den beiden eingespielten Begleitern Petersons fliegen schnell die Funken, die Subtilität bleibt dabei wenig überraschend etwas auf der Strecke. Es war wohl toller, das Konzert damals live zu erleben, als es heute zu nachzuhören.

Im Oktober 1957 war Stitt mit Jazz at the Philharmonic unterwegs – in diesem Zusammenhang entstand auch das erwähnte „Only the Blues“. Das Album „The JATP All Stars at the Opera House“ (Verve MGV-8267) ist mir leider (abgesehen vom Track „Stuffy“ ohne Stitt – er findet sich als Bonus auf der CD „Coleman Hawkins & Roy Eldridge at the Opera House“) nicht bekannt. Stitt ist auch auf den beiden Jams vertreten, die am Ende von „Ella Fitzgerald at the Opera House“ stehen (neben ihm und Eldridge, wirkten auch J.J. Johnson sowie eine halbe Legion Tenorsaxer mit: Lester Young, Illinois Jacquet, Coleman Hawkins, Stan Getz und Flip Phillips). Im Dezember folgten dann die Aufnahmen mit Dizzy (s.o.). 1958 war ein etwas ruhigeres Jahr. Die erste Aufnahme stammt vom 2. April (und nicht wie Lord sagt vom 29. Januar 1959!) und erschien auf dem nächsten Roost-Album, „The Saxophones of Sonny Stitt“. Davon demnächst mehr…

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