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Ich habe mir gedacht, hier noch ein paar kurze Kommentare einzustreuen, warum ich gerade diese Stücke gewählt habe.
#1 Earl Washington – Reflections
Das Stück fasziniert mich nachhaltig, nicht nur weil hier ein Pianist zu hören ist, der eine breite Skala gekonnt und authentisch beackert. Viel mehr, weil von Anfang eine tolle Spannung erzeugt wird, die mit Beginn der Improvisation einfach übersprudelt. Der Groove, das perlende Klavier, die Schlagzeug-Stops, gleichzeitig klingt alles locker, wie aus dem Ärmel, swingt nebenbei aber einfach unglaublich hart. Zugleich ist es für mich aber auch Ausdruck dessen, wie voll Trio-Jazz klingen kann, ohne dass es dabei so kognitiv zugehen muss,wie bspw. bei Bill Evans. Im Endeffekt funktioniert dieses Stück wie nur wenige andere als Beat, den ich mir endlos laufend anhören könnte.
#2 Clifford Scott – Samba de Bamba
Ich habe mich zur Zeit des bft’s sehr mit Pacific Jazz beschäftigt und mich durch die Diskographie gegraben. Dabei bin ich auch auf ein paar Obskuritäten gestoßen, die sich zumindest auf dem Blatt spannend anhörten. Clifford Scott ar mir bis dato unbekannt und ich war kein großer Fan von McCann, aber die Energie von Scott hat mich sofort gepackt. Leider hat er nur wenig bis gar keine Chancen gehabt, in einem straighteren Jazz-Kontext zu spielen, umsomehr finde ich, dass er seine Sache hier sehr gut macht. Der Samba ist da, das rauchige Texas-Sax ist zu hören, aber trotzdem bewegt er sich weit in den Modern Jazz hinein. Gerade das vorwärts treibende hat mir sehr gut gefallen und auch die Mischung aus Ernsthaftigkeit und lockerem Groove. Gitarre und Klavier sind hier nur Beiwerk, aber mir gefällt,wie die Idee des Stücks jeweils aufgegriffen wird. Trotzdem ist Scott hier das Heavyweight und er lässt sich nicht von McCann unterbuttern.
#3 Paul Gonsalves – Boom Jackie Boom Chick
Ich bin irgendwann mal über diese Vocalion-Session gestolpert und war sofort begeistert. Unverbrauchte Talente treffen auf einen Giganten, der in solch einem Setting richtig aufblühen konnte. Gerade der rasante Einstieg im zweiten Teil macht mir unheimlich Spaß. Der Bass kickt ungemein und die Musik ist insgesamt sehr edgy. Auch ein Wink (für mich selbst), dass die englische Jazz-Szene großartig war. Nicht zuletzt wollte ich auch ein bißchen Gonsalves ins Spiel bringen, da er einige Alben im Ausland eingespielt hat, die meist mehr oder weniger unbekannt geblieben sind. Nicht zuletzt auch als Hommage an unzählige Ellingtonians, die auch jenseits dieser Band tolle Musik machten.
#4 The Jazz Brothers – Something Different
Das Stück sollte unterschiedliche Dinge erreichen: Zum Einen wollte ich eine Lanze für Sal Nistico brechen, der wirklich ein großartiger Saxophonist war, aber doch wieder irgendwie in der Obskurität verschwand. Zugegeben, hier hört man ihn nicht von seiner besten Seite. Zum Anderen wollte ich aber die Band an sich vorstellen, die zumindest zwei tolle Alben für Riverside eingespielt haben, heute aber wiederum unbekannt sind. Als Band haben sie eine tolle Kohärenz erreicht und einfach spannenden Hardbop gemacht. Und genau dafür steht dieses Stück wie kein anderes des bft. Einfacher, aber Spaß machender Hardbop. Und – Chuck Mangione war nicht immer sch…
#5 Bill Barron – Hot Line
In erster Linie wollte ich Booker Ervin drin haben, einen Tenoristen den ich mir wirklich schwer erarbeiten musste, mittlerweile aber außerordentlich schätze. Was passt da besser in einen bft als ein Stück eines untergegangenen Albums. Bill Barron war bis dato noch kein großer Begriff für mich, auch wenn ich einige seiner Auftritte gerne höre. Dass Kenny Barron dabei ist, so wie bei einigen anderen Stücken auch, war hier erstmal gar nicht beabsichtigt. Letztlich ist das Stück vielleicht ein Gimmick, da es nicht ganz ausgereift ist, aber mir gefällt immer noch dieser eigenartig holzige Charakter des Stücks, dass damit Humor hat.
#6 JFK Quintet – Golden Earrings
Zu Beginn stand die Idee, etwas vom JFK Quintet zu präsentieren, einfach weil es eine tolle Gruppe und zudem ursprüngliche Band zweier großer Talente war. Dass es von „New Ideas“ sein musste, war auch schnell klar – die gibt es nicht auf CD. Wäre ein lohnendes Projekt für Freshsound möglicherweise.
„Golden Earrings“ stand dann auch schnell fest – all eyes on Andy White. Außerdem fand ich es gut, relativ mittig ein Stück zu setzen, dass mit dem was davor war bricht und man es entweder liebt, oder hasst.
#7 Nathan Davis – Frog’In
Einerseits wollte ich Nathan Davis drin haben, da ich schon wusste, dass er hier als etwas behäbig betrachtet wurde und eher wenig von Interesse ist. Na warte, hab‘ ich mir gedacht und ich konnte dann auch damit überzeugen. Ich finde es einfach wahnsinnig spannend, wie er diese rohe Energie von Anfang bis Ende beibehält und fast immer noch drängender wird. Die anderen Musiker sind da fast Nebensache, aber immerhin konnte ich so Mal Waldron verpacken. Und ein tolles Basssolo, denn ich mag Bass!
#8 Dave Burns – Tali
Mit #8 habe ich versucht, ein Ausrufezeichen zu setzen. Dass ein Trompeter so spät kommt, war gar nicht geplant, denn die Trompete ist mein Lieblingsinstrument. Hier hat es aber ganz gut gepasst und ich wollte unbedingt auf Dave Burns aufmerksam machen. In der Diskographie taucht er ja immer wieder einmal auf, bei Moody, oder Griffin, aber seine beiden wirklich tollen Leaderalben wurden einfach sträflichst vernachlässigt. Sein Ton gefällt mir wirklich gut und ich entdecke immer mehr Hubbard in ihm – bzw. umgekehrt – der eh immer mein Trompetenheld bleiben wird, aber auch die Band ist großartig. Jazz ist eine so vielschichtige Musik, aber in diesem Stück steckt genau das, was ich meine, wenn ich jemandem erzähle, dass ich Jazz mag. Tolles Arrangement, konzentrierte, aber doch lockere Stimmung und frische Talente.
#9 Victor Feldman – Polyushko Polye
Hier ging es mir einzig und alleine um das Duo Jones/Land, zwei Musiker, die ich sehr schnell sehr zu schätzen gelernt habe. Egal wo sie aufeinandertreffen, gemeinsam haben sie eine tolle Chemie und harmonieren wunderbar. Das Stück hier ist schnell, vielleicht etwas harmlos, aber beide zeigen genau das, weshalb ich sie so mag. Aus dem Nichts direkt auf den Punkt. Eindruck machen, der auch nach Ende noch bestehen bleibt.
Außerdem wollte ich zeigen, dass es ganz tolle Platten gibt, die ihr gar nicht kennt! Ätsch! :lol:
#10 Walter Benton – Iris
Da war mir von Anfang an klar, dass es das schwächste Stück sein wird. In erster Linie musste ich an gypsy denken, da ich wusste, dass dies das einzige Stück ist, welches auf der CD fehlt. Das konnte ich hierdurch nachreichen. Zum Anderen natürlich wieder einmal auf einen Musiker aufmerksam machen, der mehr oder weniger vergessen wurde. UND – ich konnte zumindest Hubbard verstecken! Das Stück gefällt mir natürlich, aber es ist viel Luft nach oben. Als Kontrapunkt zu den übrigen Stücken ist hier natürlich wenig los, man kann sich ganz auf ein Instrument konzentrieren. Das fand ich ganz wohltuend.
#11 Joe Haider – Straight out
Was deutsche Jazz angeht, bin ich ein Spätzünder. Deswegen wollte ich das aber auch gerne nach außen tragen und zeigen, dass es da ganz tolle Musik gibt. Ich kann mich auch jetzt noch nicht von den Vergleichen mit „Destination out“ lösen und finde, dass dieses Stück so wunderbar zu allen anderen passt und damit beweist, dass am Ende doch alles Jazz ist, egal wo gemacht.
#12 King Fleming – Misty Night
Hier sollte einfach eine Lanze für Chicago-Jazz gebrochen werden. Auf Argo sind so viele, auch kulturhistorische Schätze zu finden, die es lohnt zu entdecken. Fleming selbst kannte ich bis dahin nur wenig, aber auch er zeigt, dass er eine eigene Stimme hat und läutet mit seinem verhangenen Stück wunderbar den letzten Teil des bft’s ein.
#13 Gene Shaw -Karachi
Hier wollte ich in Chicago bleiben und gleichzeitig laut in die Welt rufen, dass man doch bitte, bitte Gene Shaw nicht vergessen darf. „Breakthrough“ und „Debut in Blues“ sind einfach wahnsinnig tolle Alben mit unterschiedlichen, aber je exzellenten Musikern und Shaw selbst hat einen der individuellsten Trompetentöne, die ich kenne. Auch wenn redbeans ihn schon gebracht hat, wollte ich gerne noch einmal auf ihn aufmerksam machen, denn hier ist wirklich ein großes Talent verloren gegangen. Das Stück steht dann auch symbolisch für die Musik. Alles sehr durchdacht und ausgetüfelt, dabei aber aus der Hüfte kommend und jedes Solo, egal wie kurz es ist, hat etwas zu sagen. Die Chemie, die in diesem Stück herrscht, lässt ich jedesmal auf’s Neue hineinsinken und ich würde gerne nicht mehr daraus erwachen.
#14 Perry Robinson – Wahayla
Das Instrument steht hier im Mittelpunkt. Ich höre sehr gerne Flöte, oder Klarinette im Jazz, daher kam mir Robinson sehr zu pass. Die Musik entstand bereits zu einer Zeit, als Savoy sich nach anderen Genres umsah, daher viel das Album etwas hinten über. Auch hier ist wieder Kenny Barron zu hören, der während des bft als unheimlich vielseitiger Pianist zu hören ist. Toll finde ich, wie er das Thema einfängt und in einen schleppenden Blues verwandelt, bevor diese melancholische Auflockerung mit dem Pedal folgt. Auch hier steht wieder die Chemie der Band im Vordergrund, die diese wirklich gewichtige Musik so leicht, schwebend klingen lassen. Dieses Stück fordert jedesmal meine volle kognitive Aufmerksamkeit und auch darum sollte es in einem bft ja gehen!
#15 Hideo Shiraki – Alone
Dieses Stück war ein bißchen eine Mogelpackung. Einerseits wollte ich auf das tolle Album von Shiraki aufmerksam machen, das aber weder typisch für seine Musik insgesamt ist, noch dieses Stück typisch für das Album. Mir ging es vor allem darum, eine Diskussion anzustoßen, ob der Ton, die Musik authentisch und emotional echt ist, oder ob das eher ein sehr, sehr guter Kopist ist. Andererseits sollte aber die Trompete zu ihrem Recht kommen und wenigstens gegen Ende noch einmal im Rampenlicht stehen.
#16 Betty Blake – Lilac Wine
Hier freue ich mich nachhaltig über die tolle Resonanz. Das Stück wollte ich deshalb haben, weil es mir nicht eingeht, dass eine so tolle Sängerin mit einer solch starken Band von der Bildfläche verschwinden konnte. Hier wird nicht einfach nur ein Stück gesungen, sondern es wird gelebt. Mit all der Grazie, den reduzierten Tönen, dem selbstbewussten Gesang fasziniert mich diese Lesart immer wieder. Und – das ist böse, ich weiß – außerdem höre ich häufig im Jazzgesang Fehler, ungenaue Töne, oder einfach zu wenig Kraft. Hier ist alles vereint.
Und natürlich wollte ich den bft gerne so aufhören lassen, dass man in eine derart traurige Stimmung versetzt worden ist, dass man sich den ganzen Kram noch einmal anhören möchte. Oder nur das letzte Stück.
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"There is a wealth of musical richness in the air if we will only pay attention." Grachan Moncur III