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#5 Bill Barron – Bill’s Boogie
Bill Baron – Hot Line
Bill Barron, Booker Ervin (ts), Kenny Barron (p), Larry Ridley (b), Andrew Cyrille (d)
Savoy
New York City, 31. März 1962
„Hot Line“ wurde 1962 aufgenommen, erschien aber erst 1965, zu einer Zeit, in der Savoy sich bereits umorientiert hatte, um hauptsächlich Gospelmusik zu veröffentlichen. Trotzdem verirrten sich noch ein paar Jazz-Alben in den Katalog, u.a. dieses von Bill Barron, der vorher bereits einige Alben als Leader einspielen konnte. Interessanterweise sind all diese Sessions in einem fließenden Übergang zwischen Hardbop, Avantgarde-Jazz und freieren Formen zu verorten – eine weitere (bereits enthüllte) Aufnahme wird in diesem bft noch folgen.
Zur Zeit der Erstveröffentlichung schien die Werbung für dieses Album so schlecht gewesen zu sein, dass kaum jemand davon Notiz nahm. Zudem war die Zeit vorangeschritten und die Musik von vor drei Jahren nicht mehr auf dem neuesten Stand. Barron, damals 35 Jahre alt, als prototypischer Vertreter des Hardbop verstanden, saß mit seiner Musik irgendwie zwischen den Stühlen und wandte sich in den nächsten Jahren vermehrt dem Studieren und Unterrichten zu, nahm aber weiterhin vereinzelt auf. Ähnliches galt für Booker Ervin, der 1965 zwar gerade auf seinem Zenit angekommen war, seine besten Alben aber schon eingespielt hatte.
Ich konnt leider nicht herausfinden, wie beide Musiker für diese Aufnahme zusammenfanden, da sie unterschiedliche Wege gingen und auch nie außerhalb dieser Session zusammen aufnahmen, beide passen jedoch gut zueinander. „Hot Line“ entstand zum Einen, da sich die Plattenfirma etwas hartes, rohes, aber instinktiv mitreißendes wünschte, etwas zum ‚Händeklatschen‘, Barron andererseits mit unfertigen Songsketches arbeiten wollte um diese einigen Standards gegenüberzustellen. Herausgekommen ist oft eine Auseinandersetzung mit treibenden Grooves, häufig getragen durch den Bass als Fundament und akzentuiert durch die Beckenarbeit Andrew Cyrilles. Ich verstehe es so, dass erst hinterher klar wurde, dass es sich um ein Blowing Date par excellence handelte, ohne dass das so beabsichtigt wurde. Barron eröffnet das Stück nach dem rumpelnden, verschleppten Thema und versucht es etwas aufzulockern. Dabei ist sein Ton trotz Coltrane’scher Diktion irgendwo bei Coleman Hawkins zu finden. Teilweise höre ich aber auch eine gewisse Schärfe, die ich sonst eher bei Joe Henderson verorten würde, gerade was das ansteigende Blasen und repetitive Verharren in höheren Tonlagen betrifft. Ervin übernimmt nahezu unbemerkt ab 3:44, da Barron die Ideen ausgegangen sind und er es sich ein bißchen gemütlich gemacht hat und um sich selbst kreist. Ervin erdet das Stück, bedingt durch seinen tieferen Ton und auch wenn er nicht auf der Höhe spielt, ist es doch typischer Ervin, gerade wenn man die kurzen Stöße im zweiten Teil hört.
Ganz toll finde ich den stetigen Groove, der das Stück zusammenhält und trotz der Wiederholung vorantreibt. Kenny Barron, der Bruder von Bill, war gerade einmal 18 Jahre alt und hatte noch einiges vor sich.
#6 The JFK Quintet – Golden Earrings
The JFK Quintet – New Ideas
Andrew White (as), Ray Codrington (tp), Harry Killgo (p), Walter Booker (b), Carl Newman (d)
Riverside
Washington, DC, 1962
„The sound of Andrew White’s alto saxophone is sometimes understood, often misunderstood. Of the varied reactions, the comment that crystallizes for me the feelings of the discerning listener is that it is ‚the cry above the sound of the crowd‘. When you understand his sound, the music speaks for itself. – Chips Bayen
Hier ist als Andy White, der im Rahmen eines anderen Stückes bereits auftauchte, mit seiner ersten Band und deren zweitem Album, welches nie wiederveröffentlicht wurde. Auch hier hatten die Adderley-Brüder ihre Finger im Spiel und entdeckten die junge Band 1961 in Washington, DC – einer Stadt die weniger mit Jazz in Verbindung steht, auch wenn Duke Ellington, Jelly Roll Morton und andere Musiker hier arbeiteten. White, geboren in Washington, musikalisches Wunderkind, studierter Musiker und Multiinstrumentalist, gilt hauptsächlich als Coltrane-Apologet (nicht Epigone) und veröffentlichte sogar ein Kompendium aller transkripierten Soli des Tenorsaxophonisten, womit er sich wohl den größten Namen machte. Seine ersten Aufnahmen machte der damals 19jährige anlässlich des Debütalbums „New Jazz Frontiers from Washington“ des JFK Quintet (auf CD gut greifbar), spielte ein Jahr später „New Ideas“ ein, nahm später zusammen mit McCoy Tyner und Weather Report auf und spielte eine Reihe an Leaderalben für sein eigenes Label „Andre’s Music“ ein. White schien ein Querkopf gewesen zu sein, der sich nie der Musikindustrie unterordnen wollte und daher sein eigenes Plattenlabel gründete. Ich finde, dass man das bereits auf dem hier vorgestellten Stück – übrigens die Bearbeitung eines Titelstücks zu einem Film von Victor Young – hört. Nach dem gemeinsam gespielten Intro und dem kurzen Break steigt White wie ein Phönix aus dem Grundgerüst aus und reißt in der Folge alles zu Boden. Sein Ton ist hier sehr nah an Ornette Coleman, aber irgendwie geht er die Sache humorvoller an, was die unterschiedliche Ausflüge und thematische Referenzen nahelegen. White nutzt die Länge des Stücks voll aus und wenn man einen Zugang gefunden hat, dann merkt man aus meiner Sicht schnell, dass da nichts suchendes, zielloses zu hören ist, sondern klar abgezirkelte kleine Ideen, die fast nahtlos ineinander übergehen. Im Endeffekt habe ich für mich festgehalten, dass ich wenige Stücke dieser Art kenne, in denen jemand so klar auf dem Punkt spielt.
Codrington, Kollege in der ersten Reihe und, was ich irgendwie für wichtig finde, Psychologe, verschwindet leider fast völlig im Ensemble, aber toll ist, wie die gesamte Band harmoniert und der fast völlig unbekannte Newman großartige Arbeit an den Drums verrichtet. Über Walter Booker, dessen volltönender Bass die Musik auch in den hohen Läufen unglaublich erdet, muss man wohl am wenigsten schreiben.
Leider war für die Band nach diese Session Schluss, White setzte seine Studien in Paris fort und kam dort mit den unterschiedlichsten Musikern in Berührung und konnte seinen Stil weiterentwickeln.
Trotzdem hört man hier eine großartige Unverbrauchtheit, die in Gegenüberstellung zu dem, was Coleman, Coltrane, usw. zur damaligen Zeit machten umso bedeutender ist.
#7 Nathan Davis – Frog’in
Nathan Davis – Jazz Concert from a Benedictine Monastery
Nathan Davis (ts), Mal Waldron (p), Jimmy Woode (b), Art Taylor (d)
Edici
Maria Einsiedeln, Sschweiz, 11. Juli 1969
Hier kreuzen sich in etwa die Wege von Davis und White, da beide einen Teil ihres Lebens in Paris verbracht haben. Hier war ich besonders erstaunt, dass niemand auch nur annähernd auf Nathan Davis getippt hat, einen Musiker, den ich sehr schätze. Er wurde 1937 in Kansas geboren, arbeitete in den USA hauptsächlich in der Band des Pianisten Jay McShann und machte sich frühzeitig auf den Weg nach Europa. Hier arbeitete er vor allem in den Bands von Kenny Clarke, Art Blakey und Ray Charles sowie zusammen mit Eric Dolphy, kurz vor dessen Tod und Dusko Goykovich. Möglicherweise ist es auf seinen längeren Aufenthalt in Europa zurückzuführen, dass Nathan Davis weniger bekannt ist, als viele seiner Kollegen, möglicherweise aber auch auf seine Lehrtätigkeit, die er ab 1969 in den USA verstärkt aufnahm. Erst mit der Paris Reunion Band an der Seite illustrer Kollegen, wurde sein Name wieder bekannter.
Nathan Davis, der außerdem Sopransaxophon, Flöte und Bassklarinette spielte, nahm in seinem europäischen Exil einige tolle Leaderalben auf, bspw. „The Hip Walk“ für Saba, zusammen mit seinem früheren Kollegen Carmell Jones. Über die Entstehung dieser Session kann ich nichts beitragen, außer dass sich hier Kollegen treffen, die sich bereits von anderen Aufnahmen kannte. Davis gelingt es, das Stück bereits von Anfang an zu tragen und auch er zeigt einen Coltrane-Einfluss in den schnellen Changes, aber gleichzeitig auch einen Bluesgetränkten, satten Ton, der möglicherweise auf Don Byas zurückzuführen ist. Sehr spannend finde ich die abrupten Wechsel von tiefen zu hohen Tönen, eingeschobene Stufen und dazwischen wieder lang gehaltene Noten. Art Taylor gefällt mir hier ausgesprochen gut, da er im Hintergrund einfach tolle Musik macht. Waldron begleitet mit abgehackten Akkorden und fügt sich der wiederum rohen Musik, ohne sich in den Vordergrund zu drängen, was ihn auch auszeichnet. Nach dem überraschenden Stop gelingt es Woode, die Kraft und Spannung beizubehalten, auch wieder wunderbar von Taylor unterstützt und angetrieben.
#8 Dave Burns – Tali
Dave Burns – Dave Burns
Dave Burns (tp), Herbie Morgan (ts), Kenny Barron (p), Steve Davis (b), Edgar Bateman (d)
Vanguard
New York City, Oktober 1962
allmusic.com schreibt über Dave Burns „unheralded but awesome“ und damit treffen sie ins Schwarze. Burns, den man hauptsächlich noch von Sessions mit James Moody und Al Grey, weniger von Aufnahmen mit Johnny Griffin, George Wallington oder Leo Parker kennt, wuchs in New Jersey auf und sammelte erste Erfahrungen bei Al Cooper und den Savoy Sultans. Später spielte er in den Bands von Dizzy Gillespie, Duke Ellington, Moody, Al Grey/Billy Mitchell und Eddie Jefferson. Bei Ellington lernte er außerdem Bateman und Steve Davis kennen. Burns selbst ist schwierig zu greifen und über die Verarbeitung des Einflusses von Diz hinaus, kann ich mich schwer festlegen. Auffalllend ist jedoch sein Hang zum Understatement, da ihm jegliches Virtuosentum fremd zu sein schien, auch was seine Kompositionen betrifft. Er und seine Band erreichen einen reduzierten Klang, der gleichzeitig sehr melodiös ist und vordergründig zugänglich und leicht klingt. Bei näherem Hinhören merkt man aber schon, dass einiges an Kopfarbeit in der Musik steckt und sie stark in der Tardition verwurzelt ist.
„Tali“, ein Stück von Tom McIntosh, der als Posaunist für Art Farmer und Benny Golson arbeitete, ähnelt einer fein gesponnenen Suite, die nach der Prelude in das Hauptstück einsteigt und sich gegen Ende auflöst, ohne dabei die lockere Stimmung des Mittelteils mitzunehmen. Besonders gefällt mir der gestrichene Bass zu Beginn und die perlende Leichtfüßigkeit des vorher noch so schwerfällig klingenden Kenny Barron. Auch Herbie Morgan präsentiert sich in der kurzen Zeit exzellent und man kann die Nähe zu Hank Mobley spüren.
Dave Burns hatte noch einmal die Gelegenheit, ein Leaderalbum aufzunehmen, mit anderer Band und Arrangements von Melba Liston, aber seine Entscheidung für Vanguard sollte ihm nicht zum Vorteil gereichen. Die Anknüpfungspunkte zu Blue Note waren durch Aufnahmen mit Art Taylor und Leo Parker bereits gegeben und was hätte aus ihm und dieser Band dort werden können?
Teil #3 folgt…
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"There is a wealth of musical richness in the air if we will only pay attention." Grachan Moncur III