Re: bft 5 – katharsis

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gypsy-tail-wind
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Erste Eindrücke also…

#1 – das Stück kenne ich… könnte von Dizzy sein, der gelassene aber doch treibende Latin-Beat, dazu die melancholische Linie. Sehr schön! Versetzt mich sofort in eine nachdenkliche Stimmung und nimmt mich mit auf eine Reise in eine vergangene Zeit… Ray Bryant kam mir spontan in den Sinn beim ersten Hören, und ich bleibe dabei, soweit ich seine Musik kenne, würde das gut passen. Auf jeden Fall ein Pianist, der sich zu gleichen Teilen beim alten wie im modernen Piano bedient, sich mit Blues auskennt aber auch Bop kann. Sehr toller Opener!

#2 – Auch das klingt nach einem vertrauten Stück… der Tenorsaxer ist ein Pres-Mann mit etwas mehr Kanten im Ton, erinnert manchmal an Getz (ca. 1956/57), manchmal aber auch ein wenig an Rollins oder Stitt, wenn er am Tenor (auch ca. 1956/57 oder etwas später) richtig Druck macht. Kein grosses Solo, eher eine Ansammlung kleiner Ideen und einiger Klischees, aber es macht verdammt Spass und klingt toll! Der Gitarrist hat einen schönen Sound (leidet aber viel stärker unter den Defiziten des Sounds). Piano ist mir etwas zu harmlos, bleibt auch in der Begleitung viel zu stark in diesem einen Lick, dem einen Groove. Ich hab das Gefühl, ich müsste diese Aufnahme erkennen! Sie stammt nicht zufällig aus Frankreich und der junge, bleiche Saxer trägt eine grosse schwarzumrandete Brille?

#3 – Und noch ein Latin-Groove… und mehr samtverhangenes Tenor, sehr schön, wie er in die tiefe Lage geht, dann kurz ausbricht, bevor das Piano übernimmt. Der Pianist macht mehr als im vorangegangenen Track, sein Anschlag ist knackiger, klarer. Und dann geht der Saxer ab in straightem 4/4 – sehr toll! Und das klingt alles enorm vertraut! Zweite Runde des Pianisten, dann zurück zum Latin-Groove für ein kurzes Bass-Solo, Thema, Fade und weg – sehr schön!

#4 – Ein Amen-Groove mit walkender Bridge… Jazz Messengers, Adderley, Timmons-Territorium. Schön, wie der Tenorsaxer mit diesen Schreien ins Solo steigt, dann diese Linien, Treppen. Basic aber irgendwie auch raffiniert. Dann wieder nach oben mit Schreien, ein bisschen altmodisches Gestotter, derweil der Drummer die Snare scheppern lässt… toll! Hab auch hier das Gefühl, ich müsste die Leute kennen. Könnte ein Chicago-Tenor sein? Der Trompeter ist toll, sehr schön seine erste Bridge, in der er beinah den Faden verliert, sein Ton lyrisch, seine Linien etwas wacklig und verspielt – so muss es sein, nicht dieses Geprotze! Und dann diese rhythmischen Figuren in den letzten acht Takten, bevor der Tenor wieder übernimmt.
Das ist nur ein Tenor, ja? Und er ist wohl mit den zwei Soli auch der Leader? Sehr toll! Hier dachte ich übrigens mal ganz kurz an Lee Morgan, glaub ich aber mittlerweile nicht mehr, dass er’s ist… hab die Turrentine-Aufna

#5 – Der Groove klingt ein wenig nach Mingus (ein Stück von „Ah Um“ glaub ich?). Das Stück fängt viel zu schnell an, wird nach dem hektischen Intro der Rhythmusgruppe aber rasch langsamer und als der Tenorsaxer sein Solo beginnt hat sich der Beat einigermassen gefestigt. Bei diesem Stück dachte ich mal an Booker Ervin, halte das noch nicht für ausgeschlossen, aber für eine etwas uninspirierte Performance, falls er’s ist. Der Ton hat allerdings nicht die Intensität, die Ervins meistens hatte – aber eine Phrase wie bei 4:10 erinnert schon stark an ihn! Auch dünkt mich, der Groove der Rhythmusgruppe geht mit der Zeit etwas auseinander, ist nicht so richtig sauber. Da wäre wohl ein weiterer Take vonnöten gewesen. Ach ja, ein beinah „Summertime“-Zitat gibt’s im Tenorsolo auch noch
Nicht falsch verstehen: es ist gut, aber es ist weit davon entfernt perfekt zu sein, und ich hab das Gefühl, die hätten das besser gekonnt!

#6 – Das hier ist irr! Gefilte Fisch für mich bitte! Und dann noch eine Überdosis Rahsaan obenrein! Umwerfend, und das kenn ich nun fast sicher nicht. Das Sopran ist irr, ich hab’s oben „umgestülpten Bechet“ genannt, besser kann ich’s auch jetzt nicht sagen. Irr das „Fascinatin‘ Rhythm“-Zitat (bei 1:34), irr der Schepper-Beat des Drummers – die Snare wirkt immer leicht daneben, aber mit Hi-Hat und Ride ist er voll da, mit der Bass-Drum lässt er bombs fallen wie ein… Irrer, genau! Und der Bass gibt Vollgas, mit riesigem Sound. Sehr schön auch das Ensemble-Spiel mit der Trompete und den arrangierten Drum-Parts… Da bin ich am Ende selbst beim Hören völlig ausser Atem!

#7 – Hier find’s ichs mit dem übersteuerten Sax schwer, was zu sagen. Klingt als wäre ein Kompressor drangehängt. Irgendwie ging hier wohl beim Transfer einiges schief, auch mit dem ganzen Rauschen ums Piano und die Becken des Schlagzeugs. Aber das Tenorsolo ist fraglos grosse Klasse! Erinnert mich passagenweise auch wieder etwas an Booker Ervin, aber es fehlen auch hier diese grossen Bögen, die er immer wieder aufbaute und mit denen er über lange Zeiträume Spannung aufbauen konnte. Das Bass-Solo gefällt mir ebenfalls sehr gut, wie er mit dem Beat spielt, scheinbar das Tempo verlangsamt, ein paar Doppelgriffe einstreut, den Bass schnarren lässt… das hier ist eine der Aufnahmen, die ich eher Mitte der 60er einordnen würde (die vorangegangenen etwas früher, aber ich kann mich irren und will mich da keinesfalls festlegen!)
Ach, das ist eine Live-Aufnahme? Dann ist Dein Transfer vielleicht gar nicht an so vielem Schuld?

#8 – Gestrichener Bass, einsame aber sehr warme Trompete, Gegenmelodie eines verhangenen Tenorsaxophons… wunderbar! Ein Moment der Entspannung, der sich aber als spannender entpuppt als manche der treibenden Performances davor. Die Trompete klingt wunderbar, auch als das Tempo anzieht und die Rhythmusgruppe einkickt. Ein paar der Läufe (etwa um 2:23) klingen recht abenteuerlich, Dizzy und Thad Jones lassen grüssen. Aber das sind sie nicht. Das Tenor ist entspannt und auf den Punkt – sehr toll wie die Rhythmusgruppe am Ende in eine Art Pedal Point fällt und dann einen kurzen Break lässt. Das Piano ist eher unspektakulär aber sehr elegant und mit schönem Ton gespielt.

#9 – Der spanish tinge… eigenartiges Stück – mit dem hübschen Arrangement und der Gitarre fällt das ein wenig aus dem Rahmen. Schade, dass die Lautstärke irgendwie kreist… interessant auf jeden Fall! Klingt leicht spanisch – die Tonleiter, die Gitarre, und ganz besonders diverse Läufe im Trompetensolo. Sehr toll die Passage ab 1:38 mit den Verschiebungen! Das Tenor übernimmt die Stimmung, oder eher: das Stück drückt sie den Solisten einfach auf. Würde ich gerne mehr hören, kann ich aufgrund dieses einen Tracks irgendwie nicht recht einordnen.

#10 – Und hier kommt die ersehnte Ballade… ein kurzes Trompeten-Intro und dann ein kerniges aber gepflegtes Tenor. Das Piano-Solo ist allerdings ganz gut, perlend, aber nie der Versuchung erliegend, in allzu schnelle Läufe auszubrechen. Die Balladenstimmung wird vom Piano aber leider doch etwas zu arg gestört und ist beim Wiedereinstieg des Tenorsaxers völlig vergessen, bis das Tempo etwas plötzlich wieder halbiert wird. Kein grosser Balladenkünstler (oder aber kein grosser Moment von ihm), aber ein sehr stimmungsvolles Stück. Schade, dass der Schluss abgeschnitten ist.

#11 – Das hier kenn ich! Und es macht mich irr, dass ich’s nich zuordnen kann! Die Besetzung mit den Vibes ist interessant und das Arrangement nutzt sie auch aus – sehr gut gemacht! Der Tenor klingt wunderbar, aber das Highlight ist das Trompetensolo! Sehr lyrisch, stimmhaft, auch in den Ausbrüchen in die hohe Lage nie übermässig virtuos. Ist das Richard Davis am Bass? Sehr toll die Stelle bei 3:32 unter den Vibes!
Vibes mit Posaune – das müsste eigentlich rauszukriegen sein, aber ich steh auf dem Schlauch… hat Bobby Hutcherson mal sowas gemacht? Die Band mit Al Grey und Billy Mitchell? Dave Burns? Ich komm einfach nicht drauf, verdammt!

#12 – Hm… gepflegt, stimmungsvoll, ja. Tief? Eher nicht. Klingt mir alles etwas zu kalkuliert, zu süss. Die Akkorde und alles scheint irgendwie vorgeplant, fast wie die Adaption eines klassischen Stückes, auch der gestrichene Bass. Find ich wohl das schwächste Stück.

#13 – Doch wehe, weiter gehts mit einem donnernden Latin-Beat! Sehr schön! Die Gegenmelodie der Posaune(n?), das Gerumpel der Trommeln, das kernige Tenor, die brillante Trompete zwischendurch, die sich am Ende des Themas buchstäblich freispielt, um das erste Solo zu blasen und grad mit tollen rhythmischen Passagen einsteigt. Gefällt mir sehr gut! Auch hier wieder ein leichter spanish tinge in der Trompete. Dann das Tenor… grossartig! Und sehr toll, wie der Pianist plötzlich da ist, eingreift, derweil die Drums weiter bedrohlich rollen. Die Posaune ist auch toll – von beiden hätte ich gerne mehr gehört, aber das ist schon wieder die Trompete, und die Band folgt nach und das Stück klingt aus. Wow! Davon will ich mehr!

#14 – Die Klarinette klingt undendlich fein, warm und nuanciert nach dem Donner davor. Sehr toll! Die Rhythmusgruppe fällt in eine Art „All Blues“-Groove… gefällt mir enorm, auch wenn der Groove etwas gar zu catchy ist – die Klarinette ist wunderbar, absolut un-flashy, ehrlich, schnörkellos, mit luftigem, feinen Ton. Auch das Bass-Solo gefällt mir, einfach, unspektakulär, mit schönem Ton, aber zwischendurch (nach den hohen Tönen) scheint es etwas verloren, fängt sich aber rasch wieder.
Keine Ahnung, wer das sein könnte – das hier könnte sehr gut jüngeren Datums sein? Aber das Piano und das Arrangement erinnern mich an George Lewis (das Bass-Lick, das bei 2:54 zum zweiten Mal kommt, das stammt doch aus seinem Arrangement von „Django“?)
Giuffre ist wohl die offensichtlichste Assoziation, aber der ist das nicht, oder? Wäre irgendwie alles eine Spur zu plump für ihn…

#15 – Das Stück kenne ich soweit ich weiss nicht, aber der Trompeter klingt sehr vertraut. Schön die flächige Präsentation des Themas, mit dem Vibrato, den eingeworfenen Läufen dazwichen – fast, wie ein Saxophonist eine Ballade spielen würde. Grossartig dann der Moment in der Bridge mit dem verhuschten Ton und der langen Pause! So macht man das! Ein kurzes Piano-Solo zur Auflockerung, sonst ist das alles Trompete (oder eher: Flügelhorn?) und wunderbar! Das Thema gefällt mir auch sehr gut, aber der Trompeter hier könnte wohl das Telefonbuch so spielen, dass ich dahinschmelzen würde!

#16 – „Lilac Wine“ – grossartig! Wow! Davon will ich mehr, sofort! Wer ist das denn? Das Vibrato ist mir streckenweise etwas zu ausgeprägt, aber das ist grossartig! Ist das eine Pop-Sängerin oder eine richtige Jazzerin?

Eine sehr tolle Zusammenstellung – vielen herzlichen Dank! Irgendwie hab ich nicht mal richtig Lust, jetzt mit dem Rätseln zu beginnen… lieber einfach die Musik nochmal anhören!

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba