Re: bft 5 – katharsis

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vorgarten

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ich weiß nicht, warum ich schon wieder der erste bin, aber ich hatte heute zufällig zeit, alles ein paar mal durchzuhören.

#1 ein ganz wunderbares stück. das intro gefällt mir am besten, das eigentliche thema am wenigsten. die ersten klavierarkkorde mit den sparsamen bassfills setzen eine schwebende stimmung, die etwas zu schnell auf festen boden absinkt, wenn das etwas zu voll gespielte thema einsetzt. dann aber der disonnante lauf ins solo mit dem stickwechsel des drummers und es wird sehr abwechslungsreich: fluss & pausen, verdichtung und öffnungen, viele melodische ideen, schöner anschlag. wie er schleppt und dann beschleunigt, ist schon große kunst. und alles bleibt ganz leicht und wenig angeberisch. wobei es aber auch kein wirkliches risiko in dieser spielweise gibt – alles bleibt im eigenen, wohlvertrauten horizont. das ist mir immer etwas zu wenig, aber mit dieser erwartungshaltung muss ich mich hier ja insgesamt etwas zurücknehmen (bis auf wenige, sehr besondere ausnahmen).

#2 weiter geht’s mit latin, diesmal ein schneller bossa. bei dem drummer finde ich irgendwie nicht, dass er das kann – bei allem können. was ich gar nicht mag: gitarre und klavier zusammen. aber der tenorspieler macht das großartig, wenn schon nicht atemberaubend. was für ein flow an ideen (eine kommt aus der nächsten) und wie locker. glaube nicht, ihn zu kennen. dann muss ich durch das gitarrensolo durch – da höre ich viele klischees, das ist nicht auf der höhe der saxperformance. klavier ist interessanter, liegt mir aber auch nicht. etwas hilflos mal hier und dort angesetzt, ohne wirklich was zu sagen. aber so ein durchfedern, eine gehaltene entspanntheit kriegen sie alle hin. schön.

#3 besser. tolle stopps in der basslinie. der pianist reduziert sehr bewusst und spielt ein tolles erstes solo. dann kommt der tempowechsel – der saxophonton kommt mir sehr bekannt vor – er spielt gut, kommt aber in diesem abstrakten latin-teil besser zur geltung, während der pianist auch im swingteil was zu sagen hat. ich wage hier keine vermutungen, obwohl beide solisten sehr individuelle stimmen haben. beim drummer kommt mir pete la roca in den sinn. ich möchte aber vor allem wissen, wer der pianist ist.

#4 hier bin ich etwas gleichgültiger. das ist so hardbop, den ich nicht mag – jazz messengers style, das, was alfred lion zu tänzchen verführt hat. gut wird es in den soli (dafür ist es ja auch gemacht) – tenor ist toll, hier dachte ich an booker ervin? trompete scheint mir skalenseliger, weniger inspiriert, davon kann sich das alt dann sehr gut absetzen, aber ihm gehen gegen ende auch die ideen aus. drummer müsste rauszufinden sein (wer singt denn beim solieren mit?).

#5 auch hier habe ich erst mal was gegen das simple thema, auch wenn ich die dunkleren tonlagen spannender finde. der tenorsound kommt mir sehr bekannt vor, ich komme aber nicht drauf. da wird es eben auch spannend, weil er chorus um chorus spielt, während die rhythm section so düster weiterrumpelt, ohne den spaß zu verlieren. das wird zu einer herausforderung, die beim saxophonisten wirklich etwas freisetzt. und man selbst wird beim hören leicht hypnotisiert. gut, am ende spielen alle wieder das thema, am man ist so derartig darin eingelullt, dass es ewig so weiter gehen könnte…

#6 das ist echt abgefahren. von allen seiten bissig; ich habe auch zuerst ein sopran gehört, aber das ist ein alt, was einfach am anschlag anfängt, oder? toll, der aggrofolkloristische einstieg, aber auch die sperrigen, rhythmisch völlig originellen und supervirtuosen implosionen. dann hält er wieder töne aus, kommt dramaturgisch sehr ausgefeilt ins überblasen und bleibt (das finde ich vor allem großartig) die ganze zeit auf dem gleich hohen energieniveau. habe keine ahnung, wer das sein könnte. spaulding kommt in punkto virtuosität und biss daran, klingt aber anders. glaube nicht, dass ich die leute kenne.

#7 na klar, mein favorit. auch kein wunder, dass ich mich in der tollen dramaturgie hier und am ende am wohlsten fühle. die aufnahme ist natürlich schwierig, aber was für ein beseeltes, über sich hinaus wachsendes tenor. der ton ist wunderschön, kraftvoll, viril, völlig präsent auch in den tiefen (in die er nicht abstürzt, sondern fast den fall noch mal muskulös beschleunigt). ansonsten riesiger ideenreichtum, gegen ein zurückhaltendes sparsames düsterakkordklavier, das ihm alles offen hält… und ab minute 3 geht es wirklich ab, da packt es ihn richtig – und nach kurzer erschöpfung ein harter schnitt und das basssolo, dass ich auch sehr gut finde. die arpeggien erinnern natürlich an garrison, aber der hat die ja nicht gepachtet. ansonsten hat das alles trotz der energie wenig mit coltrane zu tun…
von #6 zu #7 hält sich die spannung ganz großartig, beide solisten sind für mich eine entdeckung.

#8 entspannung. zunächst. und jetzt kann man auch mal von einem melodisch komplexen thema sprechen, wirklich schön. der tempowechsel macht auch sinn und die solopassagen funktionieren sehr schön, mit den komplexen akkorden darunter. da ist zeit und sorgfalt in die komposition und das arrangement geflossen. ich würde auf eine blue-note-aufnahme tippen. lee morgan als trompeter ist aber zu einfach, oder? tenor kenne ich auch irgendwoher. schöner leichter anschlag des pianisten (auch nicht gerade eine „männliche pranke“, oder?), der die ganze zeit sehr rhythmisch bleibt. nach dieser entwicklung ein erwartungsgemäß schön arrangiertes ende. ein sehr schönes stück, auch wenn mich die soli jetzt nicht vom hocker reißen.

#9 die dynamischen schwankungen machen es mir hier etwas schwer. klingt alles eher nach späten sechziger oder frühen siebzigern. diese soulige klavierspielweise, die aber schon was von tyner gelernt hat, mag ich sehr – vor allem bei leuten wie john hicks später. ansonsten finde ich das insgesamt nett, aber nicht wirklich zwingend. ist das etwa harold land? gitarrist gefällt mir wieder nicht, die green-schule mit den r&b-licks und dem flachen sound und der skalenseligkeit… bin gespannt zu hören, was du hieran magst.

#10 die erste veritable ballade hier. konventioneller als der a-teil aus #8. das könnte ein vorbild von branford marsalis sein, er spielt balladen genauso. mich überzeugt das nicht wirklich, ich finde es einfach zu brav und mutlos. im klavierspiel höre ich klischees, am anfang sogar melodische unsicherheiten. unspektakulär, wenn ich das so sagen darf. erinnert wirklich an den klassizismus der 80er, wo man sich auf einem allgemeinen standard ausruht, weil man diesen bereits als wertvoll genug einschätzt, um ihm einfach nur zu entsprechen.

#11 posaune. vibraphon. außerdem höre ich noch trompete (?), tenor- und altsax neben der rhythm section. die komposition ist klassisch 60er, wieder gibt es einen unspektakulären staffellauf durch die soli. sehr gut gefällt mir das flügelhorn (ist keine trompete, oder?), wogegen mir das vibraphon zu brav bleibt. hutcherson ist das nicht. der bassist wagt ein paar risiken nach ron-carter-art. lässt mich alles etwas kühl.

#12 hier bin ich sehr zwiegespalten. ich mag diese verschleppte düsternis der performance, vor allem im thema (das irgendwas bekanntes ist, ähnlichkeiten mit „you don’t know what love is“ hat), aber die piano-arpeggien gehen dagegen wirklich gar nicht. wobei das auch spannend ist – einerseits den raum zu öffnen, andererseits wieder zu füllen, gleichzeitig düster und niedlich zu sein. aber am ende klingt’s wie ein schlaflied, hmm…

#13 greift schön die stimmung auf, mit viel mehr wucht dahinter. toller akkordwechsel im thema, ist auch schön arrangiert zwischen den intrumenten. großartiger einstieg der trompete (flügelhorn?), das solo bleibt auch spannend, ein bisschen gegen das gespielt, was so im instrument liegt. danach kommen diese tänzerischen phrasen des tenors, auch sehr schön. die posaune hat einen schön aufgenommenen hall und führt fließend wieder ins thema zurück. sehr stimmig insgesamt.

#14 gut, wer jetzt nicht auf anhieb giuffre sagt, den verstehe ich nicht. aber mit klassichem klaviertrio? gab’s das mal? und also ist er es wahrscheinlich nicht. atmet aber viel von der minimalistischen konzeption des trios mit bley & swallow, der kompositionen von carla bley. obwohl’s ja schon ein klassischer jazz-walzer ist – allerdings mit impressionistischeren, komplexeren klavierakkorden. es gibt ja auch noch andere ‚coole’ klarinettisten, ich kenne sie nur nicht. das klaviersolo ist sehr schön, erinnert aber nicht an bley, eher jemand älteres, koventionelleres. sehr schönes stück jedenfalls.

#15 was soll man dazu sagen: ein perfekter trompetenton, sich jeden augenblick all seiner modulierungsmöglichkeiten bewusst. zu perfekt, zu handwerklich vielleicht – auch in der konstruktion eines feelings, einer balladen-dramaturgie. habe irgendwie das gefühl, dass das viel jünger ist als der rest, aus den 90ern vielleicht? wenn ja, würde ich auf nicholas payton tippen. ansonsten ist es jemand, den er gerne kopiert. ich mag das, aber glaub’s nicht so richtig.

#16 lilac wine, ein wunderschönes stück. ich bin komplett ratlos, wer das ist – es ist nicht die version von chris connor, natürlich nicht die von nina simone und noch nicht mal die tolle von pat bowie, die ich mal für einen bft verwenden wollte. aber – und tausend dank dafür – diese hier ist die beste, die ich je gehört habe! großartig, wie das schimmert und schwebt – man glaubt sofort, dass das doch ein selbstmordlied einer verlassen ist, die gift getrunken hat (obwohl ja flieder nicht giftig ist, oder?). genau so macht vibraphon sinn. die sängerin ist absolut perfekt, sie weiß genau, was sie singt. auch das vibrato geht hier, und bei jeder dramatischen geste hält sie sich mit macht zurück und deutet doch immer an, dass sie auch in die vollen gehen könnte… toll, wie sie das „love“ ausfaded, dahinter steckt eine gebremste hysterie („unsteady“), aber eigentlich ist es todtraurig ohne große gesten. großartiges ende. großartiges stück. großartiger abschluss dieses perfekt gebauten bfts.

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