Startseite › Foren › An die Redaktion: Kritik, Fragen, Korrekturen › Das aktuelle Heft: Lob und Tadel › ROLLING STONE August 2011 › Re: ROLLING STONE August 2011
wernerEben nicht. Einfach deshalb, weil Ochs zu „propagandistisch“ ist, Dylan hingegen sublim, abstrakt. Er läßt den Hörer denken, Ochs serviert die Realität. Die Kunst des Dylan ist eben die, Bilder zu finden, die auf etwas verweisen, Ochs benennt Dinge. Ich denke, dass das Dylans Stärke (auch als Poet) ausmacht, zumindest ist diese Art, Kunst, Musik, zu machen, diejenige, die zeitlos ist, nicht gebunden an konkrete Ereignisse.
Diese Argumentation kann ich durchaus nachvollziehen, teile sie aber nicht. Das Wesen eines Protestsongs ist Propaganda, ist Information, ist ein starker Bezug zu Vorgefallenem. Nicht ohne Grund nannte Phil Ochs seine Songs “topicals”. Er reagierte mit ihnen auf reale aktuelle Ereignisse. Abstraktionen machen hier keinen Sinn, denn der direkte Zusammenhang ginge verloren, sublimes würde in Beliebigkeit enden. Freie Interpretationen passen nicht zu Protestsongs, die im Grunde ja mit ihren Texten Sachverhalte zu erklären und nicht zu abstrahieren versuchen.
Bei der erwähnten Zeitlosigkeit sehe ich ein Problem. Werden Zusammenhänge (und auch Namen) nicht klar benannt, gehen sie langsam verloren. Je größer der Abstand zum Ereignis der zur Entstehung eines solchen Protestsongs führte wird, desto schneller geht die eigentlich nicht trennbare Verbindung von Text und realem Hintergrund verloren; sie wird vergessen. Übrig bleibt allenfalls eine Abstraktion, die man dann möglicherweise zeitlos nennen kann.
Ohne Dylans poetische Meisterschaft schmälern zu wollen, halte ich also seine eher variabel interpretierbare, sich nicht festlegen wollende Bilderwelt – zumindest im Zusammenhang mit Protestsongs – für weniger gelungen. Dies macht Phil Ochs in seinen sehr direkten, die Dinge klar benennenden Songs besser. Was ich damit meine, kann man zum Beispiel an Phil Ochs’ Songs WHITE BOOTS MARCHING IN A YELLOW LAND oder VIETNAM festmachen, denen ebenfalls als Beispiele die Songs CLEAN-CUT KID oder MASTERS OF WAR von Bob Dylan gegenüberstehen. Alle vier großartig. Alle vier befassen sich direkt mit dem Vietnam-Krieg. Allerdings bleibt bei Ochs immer klar, dass man sich als Zuhörer in Vietnam befindet und auch heute nicht woanders, wobei bei Dylan der direkte Zusammenhang mit der Zeit langsam verwischt. Seine genannten Songs werden nicht gerade unverbindlich, aber inzwischen nicht mehr so explizit mit dem Vietnamkrieg in Verbindung gebracht, sondern eher mit dem Krieg allgemein (was selbstverständlich nicht als qualitative Bewertung verstanden werden soll).
--