Re: Jazz: Fragen und Empfehlungen

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gypsy-tail-wind
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Hm … vielleicht schon – zum Beispiel, dass das Label (die Label genauer, Granz fing mit den Labeln Clef und Norgran an, nachdem er zuerst Aufnahmen bei anderen Plattenfirmen untergebracht hatte, aus den beiden wurde dann Verve) nicht ein so klares Profil hatte wie Blue Note (und nicht das Underdog/Outsider-Profil wie Riverside oder andere aus der Zeit). Die stilistische Vielfalt, das Feshalten am Mainstream (von Tatum – die Solo und Group Masterpieces erschienen bei Verve, Granz nahm sie später mit, 1962 verkaufte er das Label ja bereits – über Ben Webster und Coleman Hawkins zu Roy Eldridge, Benny Carter oder Teddy Wilson) … alles Dinge, die wohl beim breiten Publikum gut ankamen (und nein, Oscar Peterson kam nicht bloss beim breiten Publikum gut an sondern auch bei vielen anderen Jazzmusikern), aber nicht unbedingt bei der Kritik.

Ich mag das Label jedenfalls sehr gerne, auch nach Granz‘ Weggang gab es manche feinen Aufnahmen, aber ein klares Profil gab es wohl wirklich nie. Da steht feinster West Coast Jazz neben unheimlich gutem Mainstream-Swing, aber dann wurde eben auch mal Roy Eldridge zu einem Dixieland-Album verdonnert oder Red Allen unter Preis verkauft … die vielen Jam-Settings fanden Puristen auch nie eine gute Idee (their loss!), selbst wenn sie denjenigen, die Bob Weinstock für Prestige zusammenstellte zujubelten … aber klar, Prestige hatte ein Profil, Verve eben irgendwie nicht – oder es lag vielleicht gerade darin, in der Breite und in der Fähigkeit zur Synthese (wer sonst gestellte Willie Smith, Charlie Parker und Lester Young zusammen und liess Gene Krupa für den passenden Beat sorgen? Abgesehen davon war Granz in Sachen Bürgerrechte sehr engagiert und hatte politisch das Herz am richtigen Ort – Synthese war wohl durchaus sein Ding, eben auch in der Musik. Manchmal ging das daneben, aber oft hat es sich ausgezahlt.

Verve ist jedenfalls kein Kultlabel – ausser bei Sammlern von David Stone Martin-Covern (die sind durchaus klasse!) – und das liegt wohl an dem, was ich grad zu skizzieren versuchte. Und dies wiederum mag der Grund sein, dass sich in den Frühzeiten des Forums keiner dazu entschloss, einen Verve-Thread zu starten. Allerdings muss ich sagen, dass ich einige Zeit investieren müsste, um einen einigermassen adäquaten Label-Thread zu eröffnen (und einer, in dem man bloss Alben nennt, die man halt kennt oder mag, fände ich nicht sehr reizvoll).

Ich trinke jedenfalls jetzt ein Glas wein auf Norman Granz :-)

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #162: 8.4., 22:00; # 163: 13.5., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba