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Im Juli und August nahm McLean seine letzten beiden Sessions als Leader für Prestige auf. Von 1958 bis 1968 sollte er dann fest zur Blue Note Familie gehören (mit der Ausnahme einiger Sideman-Gigs, genauer: je einmal für Atlantic, Bethlehem, Pacific Jazz, United Artists; zudem nahm er 1967 zwei Stücke fürs RCA-Album „Tribute to Charlie Parker“ auf und der 1966er Mitschnitt von der Left Bank Jazz Society wurde später von Steeplechase als „Dr. Jackle“ und „Tune Up“ veröffentlicht).
Aber zurück ins Jahr 1957…
Das Trio von McLean, Ray Daper und Webster Young war im Juli erneut in Rudy Van Gelders Studio, um den Rest des Albums Strange Blues (PR 7500) einzuspielen. Jeder der drei brachte ein Original mit, als Rhythmusgruppe fungierten Freunde, die sonst unbekannt waren: John Meyers (p – aka Jon Mayer), Bill Salter (b) und Larry Ritchie (d – er spielte später mit McLean in Freddie Redds „The Connection“ und war auch auf dem Blue Note Album mit Misk daraus zu hören).
Webster Youngs Blues „Millie’s Pad“ ist das erste und längste Stück der Session und zeugleich auch das Herzstück des Albums „Strange Blues“. Young und McLean repetieren eine Phrase, Draper gibt Antwort, während Mayer seltsame gospel-artige Akkorde legt. Young spielt das erste Solo, durch Larry Ritchies sehr zurückhaltendes Spiel (Taylors Rückhalt fehlt ein wenig) hat Young sehr viel Raum, trotz des geschäftigen compings von Mayer klingt alles sehr sparsam, luftig und lyrisch. McLean folgt mit einem intensiv brennenden Solo, dann folgt Draper, Salter zieht seine walking bass Linien sofort in die Höhe, um der Tuba etwas aus dem Weg zu gehen. Draper soliert gemächlich, lässt sich Zeit, reiht kurze Phrasen, hält sein Solo rhythmisch einfach – definitiv eine schlaue Strategie, um einigermassen gut rüberzukommen, was ihm hier gelingt. Gegen Ende versucht er sich dann auch leidlich erfolgreich an einigen schnellen Linien, sein „Bye Bye Blackbird“ Zitat ist gar keins, und er endet mit einem tollen letzten Chorus. Das hier dürfte eins seiner besten Solo aus den frühen Jazz-Jahren sein! Mayer folgt, beginnt mit kurzen Riffs und unzusammenhängenden Phrasen, aus denen er langsam in ein fliessenderes Solo steuert. Am Ende ist Mayer wieder in seiner gospeligen Laune und die Bläser repetieren das call & response-Thema.
Das zweite Thema, „Disciples Love Affair“, kommt von Ray Draper und präsentiert die Solisten fast im Unisono – Drapers Linie weicht manchmal etwas ab, gibt tolle Voicings und macht ihm das Leben rhythmisch etwas einfacher (auch das geschickt gemacht… er hat wohl von den Pannen der frühesten Aufnahmen gelernt!). Mit der Tuba beginnen dann auch die Soli, Draper schlägt sich im mittelschnellen Tempo ganz gut. McLean folgt, wieder mit sattem Sound und seiner jetzt schon typischen Phrasierung und Intonation. Ritchie dreht hier etwas auf, Mayers comping ist ziemlich schräg aber passt gut, und Salter walkt solide. Young folgt als dritter Solist, wieder sehr lyrisch, mit einem Solo voller wunderbarer Ideen. Mayer ist auch im Solo leicht verschroben, seine linke Hand ist vergleichsweise stark, schaltet sich immer mal wieder mit dichten Akkorden ein, während die rechte rollende Linien spielt. Das Themaa wird wiederholt und damit endet für Draper und Young die Session auch schon.
McLeans „Not So Strange Blues“ ist themenlos und McLean all the way, bis auf ein paar Takte walking bass zum Einstieg. Leider bricht die tolle Improvisation von McLean nach nicht ganz fünf Minuten unvermittelt ab.
Im August standen McLean und Webster Young wieder im Studio, dieses Mal mit Curtis Fuller an der Posaune sowie Gil Coggins am Piano, Paul Chambers am Bass und Louis Hayes am Schlagzeug. Die vier eingespielten Stücke wurden auf Makin‘ the Changes (New Jazz 8231) und A Long Drink of the Blues (New Jazz 8253), die beide zur anderen Hälfte mit Stücken der Quartett-Session vom Februar gefüllt waren.
„What’s New“ wurde in der Februar-Session auch schon eingespielt (diese Version ist auf „Strange Blues“ zu finden), hier öffnet Coggins mit einem kurzen Intro, dann präsentiert Webster Young zuerst alleine das Thema, McLean übernimmt die Bridge, und Curtis Fuller spielt die letzten acht Takte. McLean übernimmt das erste Solo, sein Ton klingt luftig und gross, er spielt zwei Chorusse und man hört zwischendurch seine Schreie. Stargast Chambers (mehr dazu hier, aus Benjamin Franklin: Jazz & Blues Musicians of South Carolina, Interviews with Jabbo, Dizzy, Drink, and Others. Columbia 2008, S. 65) spielt das nächste Solo, pizzicato, sicher, von Coggins und Hayes zurückhaltend begleitet. Es folgen Fuller, Coggins (perkussiv, eigenartig, toll!) und zum Ende Young, nahe am Thema.
Gemäss dem Interview mit Young ist „Jackie’s Ghost“, das Ray Draper zugeschrieben wird, in Wirklichkeit sein Thema (gleiche Angaben wie oben – Dank an redbeans für den Link!). Das Stück ist dicht und geschickt arrangiert. Der erste Teil der 40-taktigen AABAC-Komposition wird unisono von McLean und Young präsentiert, während Fuller eine kontrapunktische Linie spielt. Die Bridge gehört McLean, dann wird A wie vorhin wiederholt, dann folgt ein 8-taktiges Interlude, das auch in den Solo-Chorussen repetiert wird und stark an Miles Davis‘ Arrangement von „Dear Old Stockholm“ (auf dem Columbia-Album „Round About Midnight“) erinnert. Young ist der erste Solist, etwas tastend und vorsichtig wirkt er, McLean folgt als zweiteszweiter, zuversichtlich und entspannt – als einziger kriegt er zwei Chorusse, das Interlude in der Mitte fällt dabei weg. Dann folgt Fuller, sein Ton singt beinahe, sein schönstes Solo des Tages! Dann folgt auch Coggins mit einem schönen Solo – das spezielle Thema scheint alle zu inspirieren! Chambers spielt sein Solo dieses Mal arco, und nach dem letzten Interlude folgt wieder das Thema, in dem Hayes die Bridge kriegt. Das Stück wurde übrigens in der Session als erstes eingespielt, vor „What’s New“.
Das dritte Stück war ein Klassiker von Charlie Parker, dessen kontrapunktisches „Chasin‘ the Bird“, das in rasantem Tempo präsentiert wird (McLean soliert in der Bridge). Das Arrangement wirkt etwas schludrig, man hatte wohl keine Zeit, das Ensemble-Spiel etwas auszutarieren. McLean soliert als erster, schlafwandlerisch, als hätte er nie was anderes gemacht als Parkers Musik zu üben. Young folgt, sicherer als davor, das Tempo ist für ihn jedenfalls nicht das geringste Problem, seine Konzeption und sein Ton bleiben sehr lyrisch. Fuller folgt, flüssig und schnell, gefolgt von Coggins. Dann spielen die drei Bläser ein paar Runden Fours. Auch im Thema am Ende gehört die Bridge McLean ganz allein. Und hier geschieht das Gegenteil dessen, was mit Art Taylor jeweils passiert: das Stück verliert an Tempo (aber nicht an Fahrt), wenn mich nicht alles täuscht bereits gegen Ende des eröffnenden Themas.
Nat Hentoff zitiert Jackie in seinen Liner Notes, er sei derzeit damit beschäftigt…
with the fight to be as modern as I can be, and even more so. Jazz has really taken a change in the past few years, especially because of Coltrane, and Coltrane comes through Monk. I go to Monk’s house quite often, and he’s helping me. He’ll play a chord, and then I’ll make a run through that chord. Monk will then show me the other possibilities I overlooked.
~ Jackie McLean, zit. nach: Nat Hentoff, Liner Notes zu „Jackie McLean – Makin‘ the Changes“, New Jazz 8231
Am Ende der Session wurde das über zwanzig Minuten Lange „A Long Drink of the Blues“ inklusive eines false starts und der folgenden Diskussion zwischen McLean und dem genervten Paul Chambers mit einem Generalbass der anderen Bandmitglieder (ich verweise wieder auf das Interview mit Webster Young oben). Was wir hier zu hören kriegen ist gleichsam eine Jam Session in extremis.
Coggins öffnet swingend, getragen von Chambers fettem walking bass. Hayes swingt schön, auf eine ganz andere Art als Taylor, satter im Sound, mit mehr Becken. Curtis Fuller bläst das erste Solo, lässt sich Zeit und baut langsam Spannung auf. McLean und Young riffen mal kurz während einem Chorus, aber schon beim Ende ist unklar, ob sie aufhören oder nicht (Young spielt das Lick noch einmal mehr als McLean). Das zweite Solo ist dann von Jackie, sein Einstieg klingt fast wie ein Tenor – und in der Tat: er spielt hier Tenor! Wie es dazu kam weiss ich nicht, Joe Goldberg schreibt in seinen Liner Notes nichts dazu. McLean hat keinen besonders tollen Ton, etwas Luft aber nicht sehr viel Volumen, seine Phrasierung ist aber deutlich zu erkennen und da sind auch die kleinen Schreie zwischen den Phrasen wieder. Webster Young folgt, und ausgerechnet er, der lyrischste Musiker der Gruppe, fällt rasch in double time, Hayes folgt ihm so halbwegs, aber bald fällt Young auch wieder ins ursprüngliche Tempo. Sein Ton bricht einige Male fast, ich mag das ganz enorm, diese Art, Trompete zu spielen! Leider gibt er rasch an Curtis Fuller ab, der ausgiebig irgendeinen Big Band Klassiker zitiert, an dessen Namen ich mich grad nicht erinnern kann. McLean folgt am Altsax, dieses mal fällt auch er in double time. Dann spielt Coggins ein zickiges, sehr perkussives Pianosolo. Schliesslich spielt Paul Chambers eine tolles Solo (pizzicato). Dann folgt nochmal McLean, während Hayes ein wenig aufdreht und Young mit Dämpfer unter ihm rifft. Am Ende fallen Chambers und Hayes in einen klassischen Miles Davis Quintett 2-Beat-Groove.
Mit der leider letzten Session von McLean, Draper und Young enden dann gewissermassen Macs Lehrjahre, die Wanderjahre begannen ab 1958 bei Blue Note (noch immer als Teil des rat race mit dem Affen im Nacken). Jackie McLean Plays Fat Jazz oder kurz Fat Jazz (Jubilee JLP 1093) war das letzte Album, das 1957 entstand, und mit dem ich meinen Bericht über McLeans frühe Aufnahmen beenden werde.
Hier wird erinmal mehr klar – gerade nach der Jam-Session mit Fuller an Drapers Stelle – dass McLean langsam aber sicher Ambitionen hatte, seine eigene Musik zu machen, eine Band zu leiten, die einen ganz bestimmten Sound anstrebte. Und dieser Sound beruhte ganz wesentlich auf Ray Draper an der Tuba, der dem Sound der Band etwas dunkles, ja düsteres verlieh. McLeans heiss brennendes Altsax und Youngs fast schmerzhaft lyrische Trompete boten zudem einen guten Kontrast und Gil Coggins sorgte für eine spannende Begleitung. An Bass und Schlagzeug waren George Tucker und Larry Ritchie zu hören, Tuckers grosser Ton erdet die Band sehr schön, das wir nach den Stücken mit Salter (und auch Chambers) deutlich.
„Filide“ haben Draper und McLean geschrieben, das Thema hat etwas leicht klagendes und im Thema eine Linie von Draper sowie Latin-Beats. Die Soli folgen dann in swingendem 4/4, McLean öffnet, gefolgt von Young und einem guten kurzen Solo von Draper. Dann spielt Coggins ein verspieltes Solo voller Dissonanzen. Das Stück ist auch auf Drapers New Jazz Album mit Coltrane zu hören (NJ 8228).
Webster Youngs „Millie’s Pad“ ist auch auf McLeans „Strange Blues“ (PR 7500) zu hören, Draper spielt im Thema eine tolle Gegenlinie, der an sich einfache Blues wird durch das tolle Arrangement (Tucker und Ritchie spielen half time, auch Coggins hat einen part) zu einer sehr speziellen Angelegenheit. McLean soliert wieder als erster, spielt ein lockeres Solo, gefolgt von Young, den Coggins und Tucker mit tollen Ideen begleiten. Drapers Solo gelingt auch hier ganz leidlich, wir bleiben dann im tiefen Register mit George Tucker, dann folgt Coggins mit einem spritzigen kurzen Solo, bevor das Thema wiederholt wird.
Die zweite Hälfte des Albums beginnt mit Drapers „Two Sons“, McLeans beiden Söhnen gewidmet. Draper soliert als erster, klingt aber eher verloren. McLean greift zum Auftakt seines Solos eine Idee von McLean auf. Es folgt Young, der ein sehr flüssiges Solo spielt, Tuckers Bass ist schon in der Begleitung sehr präsent und spielt dann ein Solo, bevor zuletzt auch noch Gil Coggins kurz zu hören ist.
Am Ende folgen zwei fremde Kompositionen, zuerst die selten gehörte Ballade „What Good Am I Without You“, die Coggins solo eröffnet. Young spielt die Melodie, während Draper und McLean ihn umgarnen. McLean glänzt dann mit einem traurigen Solo. Auch am Ende ist das Ensemble im Thema wunderbar, Draper als tiefer Kontrapunkt zu Young, McLean als der ringer, der frei zwischen den Polen herumschwebt.
Zum Abschluss hören wir eine schnelle Version von „Tune Up“, dem zweiten Thema von Eddie Vinson, das als Miles Davis Komposition bekannt geworden ist. McLean soliert zuerst, flüssig, bereit zum Aufbruch in neue musikalische Gefilde. Es folgt Draper, der minimalistisch einsteigt und bleibt und damit die schlimmsten Klippen umschiffen kann. Youngs Solo fliesst schön dahin, er arbeitet mit Wiederholung, sein Solo ist diskursiv, Tucker ist einmal mehr sehr präsent, auch in Coggins‘ folgendem Solo, dringt mal rasch in höhere Lagen vor und walkt mit tollem Feeling und schönem Ton. Es folgt Hayes im Wechsel mit der Band, bevor das Thema wiederholt und das Stück und damit das schöne Album zu Ende geht.
Leider hat die Band – entgegen damaligen Plänen – nie wieder zusammengefunden. Auch wenn das Album vielleicht nicht das gelungenste aus McLeans frühen Jahren ist, so ist diese Band mit Sicherheit das spannendste, was er als Leader bis dahin auf die Beine gestellt hat!
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Damit bedanke ich mich bei vorgarten für die Anregung, mich endlich mal ausgiebig mit den frühen Aufnahmen McLeans zu befassen. Auch wenn die Musik nicht sehr gut ist hat mir der Hör-Marathon grossen Spass bereitet! Nachzuvollziehen, wie sich McLean langsam entwickelt, zu seinem Ton findet, seine Intonation und Phrasierung entwickelt, Sicherheit gewinnt, mit der Zeit auch die Geduld findet, um richtig Balladen zu interpretieren… spannend!
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba