Re: john lenwood "jackie" mclean

#7975413  | PERMALINK

gypsy-tail-wind
Moderator
Biomasse

Registriert seit: 25.01.2010

Beiträge: 68,134

Im März 1957 nahm McLean wieder drei Alben auf, das erste hiess 2 Guitars (PR 7119)und entstand in einer neuen Prestige Jam-Formation mit den beiden Gitarristen Kenny Burrell und Jimmy Raney. Neben McLean und Donald Byrd war die übliche Rhythmusgruppe dabei: Mal Waldron, Doug Watkins und Art Taylor. Waldron hat die ersten drei Stücke beigetragen.
„Blue Duke“ ist eine sehr entspannte Angelegenheit, Watkins öffnet am Bass, es folgt das simple Riff-Thema, das aber eine schöne Atmosphäre heraufbeschwört und ganz interessant gesetzt ist. Raney spielt mit seinem schnörkellosen Stil das erste Solo, gefolgt von Byrd, Burrell, Waldron und McLean. Byrd ist enstpannt, Burrell etwas wärmer, verschnörkelter als Raney, Waldron äusserst karg und perkussiv und sehr toll, McLean steuert dann das emotionalste Solo bei.
Das Thema von „Dead Heat“ wird von den Gitarren getragen, die Soli sind von Burrell, McLean, Raney, Byrd und Waldron. McLeans Solo ist hier verhalten, fügt sich schön zwischen die beiden Gitarrensoli. Raney klingt weicher, weniger hart konturiert, als ich ihn im Kopf hatte (allerdings eher von den frühen Aufnahmen mit Getz).
Waldrons „Pivot“ ist sein letztes Original der Session, es wurde zehn Tage später auch auf dem Ray Draper-Album mit McLean eingespielt (das Draper-Album hatte die Katalog-Nummer 7096 und erschien zuerst). Die Soli sind von Burrell, Byrd, Raney und Waldron. Byrd ist sehr lyrisch, im mittleren Register, spielt lange Linien, die fast so elegant dahinfliessen wie jene der Gitarristen. McLean ist nur im Thema zu hören.
Die erste Seite endet mit „Close Your Eyes“, Burrells Feature. Die Bläser und Raney setzen aus, Waldron soliert zwischen Burrells beiden Statements.
Zum Auftakt der zweiten Seite gibt’s eine neue Version von McLeans „Little Melonae“ (das übrigens, das hatte ich noch nicht erwähnt, McLeans Tochter gewidmet ist), noch immer der besten Komposition aus seiner Feder bis dahin. Er soliert zuerst, sein Ton etwas dünn, seine Linien, seien Phrasierung etwas sperrig, gefolgt von Waldron, Raney und Burrell, dann folgen Fours (2 Durchgänge) und Twos (1 Chorus) zwischen Raney und Burrell, in der Bridge wechseln sie die Reihenfolge und in den letzten 8 Takten ist Burrell zuerst (Burrell ist der mit dem härteren, klarer konturierten Ton). Watkins kriegt dann im abschliessenden Thema die Bridge.
„This Way“ ist Watkins zugeschrieben, Ira Gitler sagt in seinen Liner Notes aber: „This Way is the group’s“. Es ist die längste Nummer des Albums (über elf Minuten, „Little Melonae“ dauert aber auch über neun, überhaupt: auch dieses Album ist mit fast 49 Minuten sehr lang geraten). Das Tempo ist schnell, Taylor trommelt ein kurzes Intro, dann geht’s sofort zur Sache – ein Thema hat das Stück gar nicht. Die Soli von Burrell, Byrd (wieder enorm flüssig), McLean (etwas eckiger, aber auch sehr relaxt), Raney und Waldron (der hier das sperrigste und tollste Solo beiträgt). Dann folgen Exchanges von 8 und 4 Takten zwischen den Gitarren für jeweils einen Chorus und diesmal kriegt Art Taylor die Bridge am Ende.
Mit „Out of Nowhere“ endet das Album dann, Jimmy Raneys Balladen-Feature. Waldron spielt ein Intro und später ein Monk-inspiriertes Solo, Burrell und die Bläser setzen aus.

Drei und vier Tage später, am 8. und 9. März, nahm McLean mit Hardman, Dockery und DeBrest das nächste Album mit Art Blakeys Jazz Messengers auf, das eine etwas verworrene Veröffentlichungsgeschichte hat. Eingespielt wurden die Sessions für Elektra und anscheinend als A Midnight Session with the Jazz Messengers veröffentlicht, jedoch rasch aufgegeben, von Savoy gekauft und dort unter diversen Titeln wiederaufgelegt: Mirage, Midnight Session oder vor einigen Jahren auch als Reflections of Buhaina (mit mir unbekannten Bonustracks von Bill Hardman ohne Blakey, aber wie so oft hat Keepnews da nur ein halbes Album angehängt, scheint mir).

Die Magie zwischen Hardman und McLean funktioniert jedenfalls immer noch, überraschenderweise stammen aber drei Titel von Ray Draper und zwei von Mal Waldron, die beide von McLean an Bord gebracht worden sein dürften. In Gryce‘ Opener „Casino“ spielt Dockery das erste Solo, gefolgt von McLean, dessen Ton brennt, sich fast überschlägt, während Blakey seine übliche komfortable Begleitung trommelt. Den Einstieg von Hardmans Solo pustet er fast weg, zum Glück bleibt Hardman dran, denn sein Spiel ist über die Monate sicherer geworden, routinierter, hat aber nichts von seinem lyrischen Charakter verloren. Auch sein Ton ist nach wie vor sehr schön, etwas bittersüss, perfekt für seine lyrischen Soli geeignet.
Drapers „The Biddie Griddies“ ist das zweite Stück, wird über einen kleinen Vamp eröffnet, bevor die Bläser unisono das Thema präsentieren. McLean klingt aufgestellt, und auch Hardman spricht offenbar auf die Changes an, das ganze klingt auch sehr süffig. Dockery folgt mit einem schönen Solo.
Waldrons „Potpourri“ ist rasant, Hardman/McLean präsentieren das Thema in kontrapunktischen Linien, die teils zusammenlaufen (aber interessant harmonisiert sind – Waldron hat die Kunst der Wegwerf- und Einweg-Originals jedenfalls verfeinert!) und ihre Zusammenspiel ist wunderbar. McLean rast sofort ins Solo, stürmt, treibt, zitiert Parker-Licks… Hardman ist kurz und auf den Punkt, Dockery erinnert ein wenig an Waldron, wirkt aber nicht ganz glücklich.
Drapers zweites Stück „Ugh!“ öffnet mit einem Trommelgewitter von Blakey, Hardman spielt nach dem witzig-verspielten Thema das erste Solo, gefolgt von McLean (wieder mit Parker-Phrasen). Blakey folgt dann mit einem Drum-Solo, die Nummer gehört auch in erster Linie ihm, selbst während der Soli der anderen ist er stets sehr präsent und kriegt auch noch eine Coda, die von der ganzen Band unterlegt wird.
„Mirage“ ist das zweite Waldron-Original. Dockery öffnet mit einem kurzen Intro, dann spielt McLean das lyrische Thema. Das Stück entpuppt sich als eine walking ballad, Hardman spielt eine leise Gegenmelodie und hat die Bridge und das erste Solo für sich, Blakey geht sofort in double time über. McLean bleibt näher an der Stimmung des Stückes.
Das letzte Stück auf meiner CD („Midnight Session“, Nippon/Columbia Savoy SV-0145) ist dann als „Reflections of Buhainia“ (sic) angegeben (diese Savoy-Reihe mit den violetten Trays und dem gelben Text ist berüchtigt für tolle Tipp- und andere Fehler in den Infos), als Stück von Draper. In der neusten, oben verlinkten CD-Ausgabe („Reflections of Buhaina“) finden sich allerdings zwei Tracks, die zusammen so lang sind wie der eine bei mir, nämlich „Reflections of Buhaina“ (6:46, von Draper) und „Study in Rhythm“ (4:14, von Blakey). Dazu findet sich im Review bei Allmusic der Kommentar: „One track, the all percussion, semi-Afro-Cuban tour de force ‚Study in Rhythm,‘ appeared only on the Elektra stereo issue, and ‚Reflections of Buhaina‘ only surfaced on the mono Elektra and Savoy LPs; both thankfully appear here.“ Was da genau stimmt ist mir ebensowenig klar, wie mir klar ist, welche LP wann erschienen ist. Jedenfalls wird das Stück auch als Perkussionsnummer beschrieben, da ist zuerst aber eine weitere sehr lyrische Nummer im mittelschnellen Tempo mit schönen Soli von McLean und Hardman – das ist dann wohl die Draper-Komposition. Nach ziemlich genau 6:45 setzt dann die Trommelnummer ein, wohl eben Blakeys „Study in Rhythm“ die das Trommel-Thema fortsetzt, das im grösseren Stil am 7. März bei Blue Note auf dem Programm stand, als Blakey in einer Session die beiden „Orgy in Rhythm“ Alben für Blue Note einspielte, mit Art Taylor, Jo Jones, Specs Wright, Sabu, Potato Valdez und anderen – auch für Blakey war der März 1957 ein sehr geschäftiger Monat! Hier unterstützen die anderen Musiker Blakey wieder an diversenen kleinen Instrumenten.

Am 15. März war McLean erneut im Studio, dieses Mal um seinen Schützling Ray Draper auf seinem Debut-Album Tuba Sounds (PR 7096) zu unterstützen. Er hatte auch seinen Trompeter Webster Young (der hier sein Aufnahme-Debut macht) und Mal Waldron am Piano dabei, dazu Blakeys Bassist Spanky DeBrest und Ben Dixon am Schlagzeug. Draper war zu dem Zeitpunkt noch immer nicht 17 Jahre alt (* 3. August 1940), Waldron war mit dreissig Jahren der Veteran der Gruppe – man muss sich hier im McLean-Thread wiedermal vor Augen halten, dass auch Jackie damals erst 25 Jahre alt war!
Mit Webster Youngs aufgestelltem Blues „Terry Anne“ (seiner Tochter gewidmet) beginnt das Album, Draper schlägt sich wacker im Solo, Van Gelder scheint allerdings noch einige Mühe zu bekunden, die Tuba auch nur ansatzweise angemessen aufzunehmen. Nach Exchanges mit Young spielt dieser das zweite Solo, sehr lyrisch, wie man’s von ihm gewohnt ist (an dieser Stelle sei sein Prestige-Album „For Lady“ empfohlen, ein paar weitere Sessions mit McLean folgen hier noch). Auch Young tritt kurz mit McLean in den Dialog, bevor dieser das nächste Solo spielt – eine sehr hübsche Idee, die Wechsel so zu gestalten! Und eine, die ich wirklich noch nie gehört habe! McLean übergibt an Waldron, dieser dann an Dixon, der aber nur zweimal vier Takte kriegt, dann spielen Draper, Young, McLean und Waldron nochmals je einen Chorus bevor das Thema repetiert wird. Durch diese abweschlsungsreiche Struktur bleibt das Stück spannend.
Es folgt der einzige Standard des Albums, „You’re My Thrill“, präsentiert von Webster Young (der das mit Billie Holiday assoziierte Stück auch vorgeschlagen hat) über eine minimale Begleitung – DeBrests Bass klingt fast, als spiele er Pedal Notes, man merkt aber mit der Zeit, dass er sich bewegt. Nach Youngs tollem Solo übernimmt Draper, die Stimmung in seinem Solo ist toll, ziemlich düster-verhangen, was dem Stück eine sehr spezielle Note gibt. Waldron schafft sich aus den Tiefen in die Untiefen vor, bereitet den Boden, indem er für McLean ein wenig aufhellt. Dieser schliesst das Stück dann ruhig und konzentriert ab.
Es folgt Waldrons „Pivot“. Der Komponist steht im Mittelpunkt, spielt als erster ein langes Solo. Es folgen kurze Soli von McLean, Young und Draper. Letzterer wirkt hier etwas hilflos.
Die zweite Hälfte des Albums beginnt mit „Jackie’s Dolly“, Drapers zweitem Original, das Jackie McLeans Frau gewidmet ist (die sich heute „Dollie“ schreibt und eigentlich Clarice“ heisst). Draper spielt das erste Solo, McLean folgt, relaxt und entspannt, während, DeBrest mit seiner Begleitung für Spannung sorgt. Young folgt mit einem tollen lyrischen Solo, dann Waldron, karg, repetitiv, mit diesem ihm eigenen rhythmischen Drive.
Es folgt „Mimi’s Interlude“, Drapers zweites Original, wieder in Moll. Young spielt das erste Solo nach dem hübschen call and response Thema. Sein Ton ist wirklich delikat und jede Aufnahme von ihm ist es Wert, gehört zu werden! Wie er sein Solo mit einer unglaublichen Nonchalance und einem fast schon verweigernden Gestus bläst, das erinnert in der Haltung ein wenig an Clarence Shaw (der auf einem nur 8 oder 16 Takte langen Solo bei Mingus auch noch Zeit findet, zwischendurch die Spucke aus seinem Instrument zu blasen). McLean folgt – er brennt zwar auf diesem Album nie lichterloh, aber im Vergleich mit Young ist sein kurzes Solo richtig heiss. Drapers Tubasolo ist ganz in Ordnung, er hat jedenfalls gute Ideen und die Umsetzung klappt hier meistens ganz leidlich. Waldron folgt, wieder mit einem dichten Solo. Ben Dixon folgt – er war damals auch noch ein Neuling, hatte davor etwa mit Buck Hill gespielt (einem sehr tollen Tenorsaxer aus Washington, der nie national den Durchbruch geschafft hat, aber einige schöne Alben bei Steeplechase, Muse und anderswo veröffentlicht hat und auch mit Shirley Horn aufgenommen hat). Er macht seine Sache gut, spielt wesentlich weniger aggressiv und druckvoll als etwa Art Taylor, das bekommt der Gruppe hier aber gut, denke ich.
Zum Abschluss hören wir Youngs Widmung an Miles, „House of Davis“. McLean soliert als erster und hat hier sehr viel Raum, bläst ein lyrisches aber auch suchendes, drängendes Solo. Young folgt, wieder mit wunderschönem Ton, der einen oder andere Unsicherheit was Rhythmus und Intonation betrifft, aber das macht ihn für mich fast noch sympathischer. Draper schlägt sich erneut wacker, für einmal bleibt die Stimmung hier eher aufgestellt, was wohl an Waldron und an Dixons unbeschwerten Fills liegt. Das Piano-Solo beginnt akkordisch, fast dissonant, dann schlängelt sich Waldron durch ein paar seiner typischen kleinen Figuren, dier er dreht und wendet. McLean beginnt die Runde von Exchanges mit Young und Draper. Mit der Wiederhoung des bittersüssen Themas endet das Album – ein ganz gelungener Einstand für Draper, würde ich sagen. Auf seinem zweiten Album hatte er dann bereits Coltrane als Sideman neben sich! (Siehe dazu die Links im vorangehenden Post.)

--

"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba