Re: john lenwood "jackie" mclean

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gypsy-tail-wind
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Was hat McLean eigentlich in den Jahren 1952-55 getrieben? Weiss dazu jemand mehr?
Die nächste Session fand jedenfalls am 5. August 1955 in Hackensack im Studio von Rudy Van Gelder statt, wieder mit Miles Davis.

Davis hatte sich seit 1952 massiv entwickelt, hatte seinen eigenen Weg als Musiker gefunden, war drauf und dran, den Hardbop in seine endgültige Form zu giessen mit der ersten Working Band seit vielen Jahren, die er später 1955 mit Coltrane gründen sollte, dem nicht mehr ganz jungen Tenoristen, der seinen Weg noch nicht gefunden hatte, unter Miles‘ Fittichen aber in rasanten Schritten gehen sollte (und später auch zu einem Einfluss auf McLeans Musik werden sollte).

Aber zurück ins Jahr 1955. Mit Miles waren im Studio: Milt Jackson (vib), Ray Bryant (p), Percy Heath (b) und Art Taylor (d). McLean wurde für zwei Stücke beigzoen, die er gleich auch komponiert hatte.
Der Opener des Albums, der Blues „Dr. Jackle“, erinnert im Thema an ein Parker-Stück, ist aber das erste McLean-Original, das sich auch als bei anderen Musikern durchsetzen sollte (Miles spielte es 1958 für „Milestones“ erneut ein, Chick Corea, Bernt Rosengren, Stanley Cowell oder John Scofield haben es ebenfalls eingespielt). Jackson soliert zweimal, wie immer kommt ihm der Blues sehr gelegen. Miles spielt seine ganze neue Meisterschaft aus, in einem grossartigen und langen sehr lyrischen Solo mit viel Raum und Pausen. McLean folgt mit einem flüssigen Solo, sein Ton ist satter geworden, auch er weiss mit Pausen umzugehen. Es folgt Ray Bryant mit einem schönen kurzen Solo.
Das zweite Stück, „Itty Bitty“, ist ein schönes Original von Thad Jones, McLean setzt hier aus, Miles soliert zweimal, dazwischen Bryant und Jackson.
Die zweite Seite des Albums beginnt mit de zweiten McLean-Original, „Minor March“ – wenig überraschend ein Stück in Moll über einer Art Marsch-Rhythmus. McLean soliert als erster, wird aber von Bags und dieser sogleich von Miles übertroffen. Bryant ist dem tollen Solo-Reigen mühelos gewachsen und mit seinem tollen Piano-Solo endet das einzige Uptempo-Stück des Albums.
Mit Bryants relaxtem Stück „Changes“ endet das schöne Album dann. Bryant spielt ein kleines Piano-Intro, das Stück bewegt sich in der 12-taktigen Bluesform, aber mit einigen übermässigen Akkorden eingestreut. Die Soli sind von Jackson, Miles (mit Mute) und Bryant, dann nochmal rasch Miles. McLean spielt hier nicht mit.

Anhand der beiden nicht besonders langen McLean-Soli hier grosses über seine Quantensprünge zu schreiben wäre masslos übertrieben. Das Album ist rundum gelungen, die Gruppe funktioniert bestens und „Dr. Jackle“ ist ein spezielles Stück. McLean sollte in der folgenden Zeit viele Originals schreiben, ob’s dabei jeweils eher um die Musik oder um die Tantiemen ging, weiss ich nicht, ich vermute um beides zugleich. Allerdings folgte schon in der übernächsten Session (der ersten, die McLean als Leader machte) ein weiteres tolles Stück, „Little Melonae“.

Die nächste Session von McLean fand im Quintett von George Wallington statt, mit Donald Byrd als Partner, der dann auch auf McLeans ersten drei eigenen Alben zu hören war. Die Aufnahme entstand übrigens nicht live und auch nicht im Cafe Bohemia, sondern in Rudy Van Gelders Studio in Hackensack, New Jersey.
Weil’s von der ursprünglich auf Progressive erschienen Scheibe mit Wallington mindestens vier verschiedene Cover gibt, hänge ich zwei davon schon mal hier an, oben die Prestige LP-Version, unten das Cover von der CD-Ausgabe, die ich besitze (es gibt die Aufnahmen mittlerweile auch bei Lonehill und wohl noch anderswo).
EDIT: anscheinend ist die Aufnahme doch live im Bohemia entstanden – die Angabe mit dem RVG-Studio findet sich auf OJCCD-11813-2.

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