Re: Tied & Tickled Trio – La Place Demon / April 2011

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lovely_creature

Registriert seit: 29.10.2010

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Am Wochenende habe ich eine besonders gute Rezension in unserer ansonsten fast unerträglichen Lokalzeitung gefunden. Ich wollte nochmal herausstellen, das an der Produktion der Jazz-Schlagzeuger Billy Hart maßgeblich beteiligt war, wenn nicht gar im Zentrum eben jener stand. Er ist ein sehr vielseitiger Künstler.

„Vater und Söhne
Gemeinsam mit Jazz-Schlagzeuger-Legende Billy Hart gelingt der Weilheimer Szene ein musikalischer Coup

Aktuell haben junge deutsche Jazzmusiker einen solchen Hang zum Breitwandformat, dass man fast so etwas wie einen Trend ausmachen möchte. Sie heißen Daniel Glatzel, Gerhard Gschlößl, Pablo Held, Johannes Lauer, Stefan Schultze, Rainer Tempel und haben wie manche mehr aus ihrer Generation ihre Bands in letzter Zeit ordentlich aufgestockt. In den nicht so bemerkenswerten Fällen ergibt das mehr oder weniger zeitgemäßen Bigband-Sound, mitunter aber entstehen Spielwiesen für etwas Größeres. Mit viel breiterer Palette wird dann gemalt, Stimmungen werden geschichtet, unorthodoxe Instrumentierungen greifen in die Tiefe des Raums.
Wenn an die Spitze einer solchen Bewegung nun aber eine Konstellation aus dem oberbayerischen Weilheim tritt, überrascht das doch. Zwar hatte man sich in den zurückliegenden Jahren daran gewöhnt, dass zuverlässig interessante Sounds aus dem 20000-Einwohner-Städtchen subversiv die Schnittstellen von Pop, elektronischer Musik und Jazz verwischen. Das taten Console, Lalipuna, Carl Oesterhelt, Fauna Flash, The Notwist und immer so fort bis hin zu Johannes Enders, der immer wieder in den Bands der anderen irrlichtert neben eigenen vielfältigen Projekten. Eins davon ist sein Trio mit dem amerikanischen Schlagzeuger Billy Hart. Der wiederum ist eine Legende des Jazz. Auf ungefähr 500 Alben kann man ihn hören, manche davon sind Klassiker: Miles Davis „On the Corner“, Herbie Hancock „Sextant“, Stan Getz „Another World“. Der inzwischen 70-Jährige stand auf der Bühne mit Jimi Hendrix, Pharoah Sanders, Charles Lloyd und vielen mehr.
Nun ging er mit einer großen Mannschaft ins Studio, in der fast alle spielen, die Rang und Namen haben in der Weil*heimer Szene. Entstanden ist ein Coup, der zum Besten zählt, was der aktuelle deutsche Jazz zu bieten hat, eben weil es kein puristisches Jazz*album werden sollte. Man hört Vibraphon und Mundharmonika, Streicher und Elektronics, Perkussion und satte Bläser. Vom Start weg wird das alles grundiert, gesteuert und zusammengehalten von den altersweisen Schlagzeug-Finessen des Gastes, der sich wie selbstverständlich in dieses Gefüge integriert und von den Ideen der Konzeptualisten tragen lässt.
Nichts läuft in dieser großflächigen Musik ins Breite oder Unkontrollierte, allem sind Spielfreude und Zuordnungen zu übergreifenden Ideen anzuhören, wenn die Söhne mit einem Vater zusammentreffen, dessen Ideen von einst sie vielfältig geprägt haben. Federführend waren die Brüder Markus und Micha Acher (The Notwist), die in der Vergangenheit auch beim Tied & Tickled Trio, das fast nie nur ein Trio war, die Geschicke entscheidend lenkten. Die nach vielen Seiten offene Band zelebriert einen ganz eigenen Jazz. Dies nun ist ihr Meisterstück.
Sich der Ehre bewusst, einen wie Billy Hart in ihren Reihen zu haben, ließen sie sich von dessen Entwicklung vom Jazzrock, über Spirituelles bis hin zu freierer und auch elektronischer Musik zu neun vieles in sich aufnehmenden und zum Eigenen transformierenden Kompositionen inspirieren. Nie aber fällt das zurück in eine nostalgische Verehrungsstarre, vielmehr entwirft es von dort kühne Visionen nach vorn. Ohne dass man ihn definieren könnte, schimmert durch alles dieser markante Weilheim-Sound, der noch nie so schlüssig im Breitwandformat aufgegangen ist. Tatsächlich hat diese kurzweilige Musik etwas Cineastisches. Sie überzeugt bei jedem Hören mehr, weil ihre Souveränität die Spielfreude nicht erschlägt, weil frische und gänzlich unverbrauchte Ideen von heute unverkopft und plausibel in traditionelle Formen kanalisiert werden.“ Ulrich Steinmetzger


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Great people talk about ideas. Average people talk about things. Small people talk about other people. Author: Unknown