Re: 13.03.2011

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wolfgang-doebeling
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@ Bgigli

Für eine nähere Erläuterung meiner diesbezüglichen Haltung ist dies in der Tat nicht der rechte Ort, nur soviel: die causa Guttenberg legte doch auf das Schauerlichste den Blick auf eine Titelwirtschaft frei, die nirgendwo auf der Welt so floriert wie in deutschen Landen (Österreich evtl. ausgenommen). Statt nun aber die Gelegenheit zu nutzen, endlich grundsätzlich dieser deutschen Seuche beizukommen, wurde bloß das Symptom Guttenberg umkreist, sein Fehlverhalten innerhalb des Systems akademischer Klüngelei gebrandmarkt. Dabei war es weniger das dubiose Zustandekommen seiner Fleißarbeit, die ihn menschlich disqualifizierte, als das Bekenntnis, der Verlust des Doktortitels schmerze ihn. Tiefer kann man kaum noch sinken, was freilich nicht auffällt im Land des Dünkels, wo aus „House“ notabene „Dr.House“ wird, weil bei uns die Anrede „Herr Doktor“ fast noch so verbreitet ist wie einst im Kaiserreich. Schon ein Blick ins Fernsehprogramm macht gruseln: „Familie Dr.X“, „Unser Lehrer Dr.X“, etc.

Daran lassen sich Restaurationstendenzen festmachen, ähnlich denen immer beschämenderer Hofberichterstattung für Adelsgeschlechter („Der Herr Baron lässt bitten“), denn vor 30, 40 Jahren war man da ja schon erheblich weiter. Die verbalen Kniefälle, derer sich Moderatoren heutzutage befleißigen, von Plasberg über Maischberger bis Kerner, wären damals mitleidig belächelt worden. Franz Alt, CDU-Mitglied und Kirchenfunktionär, umstürzlerischer oder auch nur egalitärer Bestrebungen also eher unverdächtig, konnte verfügen, daß weder er selbst noch Gäste seiner Sendungen mit etwaigen Titeln angesprochen werden. Dieser „alte Zopf“, so Alt anno dunnemals, gehöre abgeschnitten. Bei ARD und ZDF schluckte man zweimal, dann war das durch. Die Titelanrede, so hieß es in einer Verlautbarung, sei letztlich undemokratisch und passe sowieso nicht mehr in die Zeit.

Ein paar Dekaden später passt sie offenbar wieder. Und wie! Das Führen von Titeln jedweder Art gilt als erstrebenswert, so ein Titel schmückt wieder ungemein. Vorwärts in die Vergangenheit. Guttenbergs Geltungssucht wird ihm gern nachgesehen, allenfalls wird moniert, daß er meinte, seinem angeborenen Titel unbedingt noch einen akademischen hinzufügen zu müssen, wo er doch mit einem so schönen wie „Freiherr zu“ bereits hinreichend Eindruck schinden kann. Auf die Korrektoren in Bayreuth zum Beispiel einen geradezu blendenden: drei Wissenschaftler, honorige Glieder ihrer servilen Gesellschaft, einigen sich auf „summa cum laude“. Das gilt inzwischen als kritikabel, die Herren schämen und ärgern sich ja auch ein wenig. Des Freiherrn Verlust akademischen Lorbeers wird als fair empfunden, denn immerhin hatte er sich seinen Titel erschwindelt. Dass aber dieser universitäre Guttenberg-Bayreuth-Beschiss nur die Spitze eines Eisbergs ist, wird verschwiegen, oder doch zumindest nicht an die große Glocke gehängt. Die selbstherrliche, so würdevoll renommierende Wissenschaft ist nämlich zu nicht geringen Teilen ein Popanz, nach innen zusammengehalten durch hierarchische Strukturen, nach außen nicht zuletzt durch den Glanz verliehener Grade. Ein Treppenwitz.

Wobei nicht leicht zu entscheiden ist, wer mehr Häme verdient: Guttenberg, weil er sich bei der Titelerschleichung erwischen ließ, oder die protestierenden, rechtschaffenen Doktoranden, die befürchteten, daß der Nimbus ihres angestrebten Titels leiden könnte, sofern man Karl Theodors akademische Hochstapelei auf die leichte Schulter nähme und nicht streng ahnde. Letzteres, glaube ich. Denn der Erwerb akademischer Grade hat zwar einen Preis, doch der läßt sich mit zweierlei Währung begleichen: entweder mit Fleiß oder eben mit Bargeld. Ich weiß ganz gut, wovon ich rede. Wandel durch Handel.

Schuldig im Sinne der Anklage sind indes erst in zweiter Linie jene armseligen Wichtigtuer, die mit ihrem Titel hausieren gehen, auf dem Briefkopf und an der Türklingel. Erbärmlicher noch sind die überangepassten Wichte, die den gesetzlich geschützten Dünkel habituell honorieren und es oft nicht bei einem inneren Bückling bewenden lassen, wenn sie einem Titelträger begegnen. Gehört zum Kitt einer Gesellschaft, in der das Sein vom Schein überstrahlt wird.

Ist nun leider doch etwas länger geworden, die Antwort. Es liegt mir jedoch fern, hierüber eine Diskussion anzetteln zu wollen. Betrachte es also bitte als persönlichen Exkurs. Die Kurve zurück zur Sendung bekomme ich wohl am besten, indem ich die Playlist nochmal zitiere…

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