Re: blindfold test #2 – vorgarten

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gypsy-tail-wind
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Zuerst mal ein grosses DANKE an Dich, vorgarten! Hab deine Auswahl hoch und runtergespielt in den letzten Tagen und vieles hat mir sehr gut gefallen! Auch insgesamt ist das eine schöne Zusammenstellung, die vergleichsweise homogen geraten ist und gut programmiert wurde.

Meine Kommentare mögen im einzelnen kritischer klingen als sie gemeint sind – vieles hier wird mir wohl zumindest dem Namen nach nicht unvertraut sein (demgemäss bin ich jetzt schon auf die Auflösung gespannt), aber wirklich vertraut ist mir auch nichts vom Gehörten.

#1 – Tenor battle… klassisch-langweilig-modulierender Einstieg des ersten Solisten. Schöner Ton zwar, aber irgendwie nicht meins… ziemlich langweilig und zerfahren. Der zweite Solist ist dann etwas robuster, streut ein paar freiere Phrasen ein… der Track trieb mich in den letzten Tagen fast in den Wahnsinn, weil ich überhaupt absolut gar keine Ahnung habe, wer die beiden sind! Einengen kann ich’s über den Sound: 90er würd ich sagen, der Bass ist übel aufgenommen, so wie das in den späten 70er und frühen 80ern gemacht wurde, der Drummer nervig über beide Kanäle verteilt (streckenweise könnte man fast meinen, es seien zwei Drummer).
Was ich an sich gut finde ist die Idee, ohne Piano (oder Gitarre) eine Tenor Battle zu machen, aber in der Ausführung find ich das ziemlich langweilig. Auch das Stück ist eher eine „throwaway“ Ding als ein richtiges „tune“… es hat sich mir aber nervigerweise in den Kopf gefressen mittlerweile – hab’s bestimmt schon zehn mal angehört. Leute wie Chico Freeman und allerlei ältere Tenorsaxer hab ich schon längst wieder verworfen, heute sehe ich das eher aus der Criss Cross Ecke… Seamus Blake, Mark Turner (der ist subtiler, mehr in Richtung Warne Marsh), Chris Cheek (der ist toller), vielleicht auch Lovano (aber von „Tenor Legacy“ mit Joshua Redman ist das auch nicht)… auch James Carter kommt nicht in Frage, der ist mehr „over the top“… Branford Marsalis? Genug, ich weiss es nicht.
Sind hier zwei Drummer am Werk? Am Ende klingt das rhythmisch so unsauber… seltsam, aber die Aufnahme lässt’s nicht zu, dass ich das wirklich sagen kann! (Da kam dann eben Seamus Blake ins Spiel, der ja u.a. in den Bloomdaddies mit zwei Tenören und zwei Drummern aber mit Elektrobass gearbeitet hat… mit Mark Turner hat er auch was aufgenommen, aber ich bin kein grosser Fan des Criss Cross Labels).

#2 – Hier find ich zwar das einleitende (und abschliessende) aufsteigende Dingsda deppert, aber jedenfalls find ich das um Welten besser! Schöner Ton, gute Ideen, tolle Stimmung… der Bass gefällt mir auch (ist auch viel, viel schöner aufgenommen). Der Drummer hingegen nervt mich hie und da ein wenig… das Stück bewegt sich in der Art der Rubato-Hymnen, die Coltrane gerne gespielt haben, wirkt aber durch die reduziertere, pianolose Begleitung viel offener und lässt mehr Raum… der Drummer scheint aber nicht so ganz zu wissen, was er jetzt tun soll… impressionistisch ausschmücken, einen feinen swingenden Besen-Beat spielen, oder grooven… grad letzteres stört mich ein wenig (übrigens nicht nur in diesem Stück)… ich hab das in einer der rätselden Mails an redbeans die „hippen Drummer“ genannt, die jüngeren Leute, die nicht mehr das Gewicht und die Autorität von Elvin Jones, Max Roach oder Philly Joe Jones haben und irgendwie – zu meinem Leidwesen – oft eher grooven wollen als swingen, die meist viel leichter klingen und weniger Druck und Wucht mitbringen. Aber egal, am Ende ist das ein ganz schönes Stück, das mit einem flächigeren, impressionistischer (und zugleich druckvoller) agierenden Drummer noch besser hätte werden können. Das Tenorsax gefällt mir aber sehr gut – wohl auch ein bekannter Name, aber ich rate hier nicht schon wieder, habe keine Ahnung, würde aber auch auf einen der vielen Herren tippen, die seit den späten 80ern aufgetaucht sind.

#3 – Hier hat schon meine erste spontane Vermutung gestimmt: das ist Peter Evans! Einer der eindrücklichsten Zugänge der letzten Jahre, zumal in Sachen Trompete. Trompetensoli sind ja selten, Leo Smith und Lester Bowie kommen da in den Sinn, auch Jacques Coursil… aber keiner von denen ist technisch dermassen eindrücklich. Und da liegt am Ende auch ein wenig das Problem: streckenweise driftet das Stück für mich etwas ins Etüdenhafte ab, ich kriege gar den Eindruck, dass da einer sich mit Arpeggien warmspielt – das ist sehr schade, denn insgesamt ist das doch ein sehr tolles Stück mit vielen tollen Momenten und trotz der technischen Brillanz auch ein Stück, das immer irgendwie lyrisch bleibt, nie mit übermässig glänzendem, strahlenden Ton hausieren geht. Muss mir von Evans endlich mal was kaufen (das Quartett-Album wurde mir schon vor ein paar Jahren wärmstens empfohlen) – bisher beschränkt sich meine Evans-Sammlung auf Live-Mitschnitte.
Der guten Ordnung halber: wir hören hier wohl „C“ von dieser Doppel-CD.

#4 – Zurück zum Tenor… #4 und ein noch tollerer Musiker als die drei bisherigen. Schöner Ton, mehr Luft, mehr Volumen, altmodischer, singender. Gefällt mir sehr gut! Aber da ist wieder das erwähnte „hippe“ Getrommel… passt hier aber besser ist intensiver (es mangelt aber auch hier an Überzeugungskraft und Wucht, ist mir zuwenig druckvoll). Das höre ich jetzt eher aus der David Murray oder David S. Ware Ecke, also nicht viel älter aber doch ein gänzlich anderer Background als die drei in #1 und #2.
Gegen Ende fastert das Stück aber etwas aus… das Geriffe in den letzten drei Minuten find ich recht öde… die Idee war wohl, an Sonny Rollins‘ endlosen Monologe anzuknüpfen, aber das fällt hier ziemlich flach aus… es klingt auch mal noch eine von Roland Kirks Lieblingsphrasen auf. Ein fahriger Schluss für ein rech tolles Stück.
Ist das William Parker am Bass? In seiner Sessionography nach möglichen Trio-Aufnahmen zu forschen erspar ich mir jetzt mal…

#5 – Trompete, Altsax, mehr dieser „hippen“ Drums… fängt sehr verhalten an, gefällt mir! Das Trompetensolo gefällt mir, schöner Ton, dahinter etwas zu aufdringlicher Bass. Muss ich gleich nochmal hören… das hier könnte auch das Quartett von William Parker sein, aufgrund der Besetzung (t/as/b/d – Hamid Drake würde da auch einigermassen passen, soweit ich ihn aus solchen Kontexten kenne). Dann wäre das Lewis Barnes, ein mir fast völlig unvertrauter Trompeter – sehr lyrisch!

#6 – Das hier ist dann das nächste Stück, das mich auf die Palme treibt… ich krieg’s einfach nicht raus, wer das ist! Die Posaune klingt stark nach Julian Priester… dann wäre Abbey Lincoln wohl die naheliegenste Sängerin – aber sie hat „It Could Happen to You“ anscheinend nicht aufgenommen. Die Aufnahme dürfe von Mitte/Ende der 50er stammen, auch was die Rhythmusgruppe betrifft. Aber wie gesagt, ich bin ratlos. Und Priester ist das wohl auch nicht… Jimmy Cleveland? Hab keine Lust auf endlose Suchen auf Allmusic. Aber ein sehr schönes Stück!

#7 – Das hier ist dann etwas später, aber immer noch ziemlich alt… Anfang/Mitte der 60er? Das Vorbild dürfte das Gil Evans-Arrangement sein – ich dachte dann mal kurz an Helen Merrill (die aber nie mit so geschmacklosem Vibrato und solchen „slurrs“ gesungen hätte ;-) ), aber deren Version von „Summertime“ entstand in den 50ern ausgerechnet auf jener Session des betreffenden Albums, auf der Evans nicht arrangierte. Das Piano klingt älter als die Flöten, eher nach 2. Hälfte der 50er… ist das Herbie Mann an der Flöte? Bin auch hier ratlos… schlau, so weit verbreitete Standards zu wählen, da helfen Allmusic etc. nämlich auch nicht weiter ohne klaren Anhaltspunkt!

#8 – Ein kurzes, sehr stimmungsvolles Stück. Toller Sound am Tenor, gefällt mir. Ist der Bassist der Bandleader? Ich werf jetzt den Namen William Parker noch ein letztes Mal in die Runde :-)

#9 – Das hier ist speziell… erst hat’s mich total genervt (ich dachte: Dolphy-Klon, der aber niemals rankommt), dann gefiel’s mir immer besser. Ist das hier nur ein Drummer oder ist da auch noch ein Perkussionist dabei? Das Cello prägt den Beginn des Stückes, Abdul Wadud ist hier der erste, der mir in den Sinn kommt, am Altsax dann wohl jemand wie Oliver Lake oder Julius Hemphill… die Drums klingen aber irgendwie neuer als aus den 70ern (meine erste Einordnung, die wohl falsch ist). Arthur Blythe? Ist der so agil? Oder eben doch Lake? Weiss es nicht, aber das Stück ist toll… und ja, das ist nur ein Drummer, der die Snare stellenweise mit der Hand bedient… toll!
(Ist es der Opener von hier?)

#10 – Ein seltsames kleines Intermezzo, das ich zu Beginn auch nicht mochte, aber das mir mittlerweile auch gefällt – nichts grossartiges, irgendwie vage an Jarrett in den 70ern erinnernd, mit diesem offenen, weit ausholenden Gestus. Keine Ahnung, wer das sein könnte… einmal mehr.

#11 – Das ist gleich der nächte tolle Track… wieder ein Tenorsaxer mit einem speziellen Sound, viele Obertöne. Sind das hier zwei Drummer oder wieder einer, der etwas weit übers Stereo-Spektrum abgemischt wurde? Wenn ich mal so eine Idee im Kopf hab (siehe #1) werd ich ganz irr deswegen… Jedenfalls gefällt mir, wie sich das Stück über dem einfachen Bass-Lick entfaltet, das Getrommel gefällt mir hier auch besser als auf den vergleichbaren Stücken zu Beginn der Zusammenstellung. Aber wenn der Bass schnarrt, dann ist das halt wieder der „neue“ Sound, der mir selten so gut gefällt, wie wenn Mingus spielt… ich bin halt voll old school, irgendwie :lol:
Und nö, das ist nur ein Drummer, aber auf den Kopfhörern klingt das schon ein wenig seltsam.
Weiss nicht warum, aber der Saxer hat für mich etwas europäisches…

#12 – Dieses Stück kam mir schon beim ersten Mal hören vertraut vor… aber ich hab keine Ahnung, wer das sein könnte an der Trompete… ich dachte z.B. an Monks Casino; aber das ist natürlich nicht Monk und weder Schlippenbach noch Mahall tauchen hier auf – aber ich würde mal vermuten, dass das hier auche eher europäisch ist?

#13 – Das hier ist für mich dann der grosse Tiefpunkt… der Saxer, der auch während den Teilen mit Gesang unablässig sein (langeweiliges) Riff bläst, viel zu laut abgemischt ist… die generischen Keys und Beats, die genausogut programmiert wie gespielt sein könnten (das gilt wohl sogar für die Gitarre)… Acid Jazz aus dem UK kam mir in den Sinn, daher mein Tip: Courtney Pine.
Kenne ihn schlecht, aber eben, diese Art Musik interessiert mich auch kaum. Es gibt vom Sax aber ein paar durchaus gute Momente, ein paar Bebop-Phrasen (ein entfernter Verwandter von Steve Coleman?!) und auch der Ton ist gut. Aber am Ende macht mich sowas nur schläfrig und ungeduldig.

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba