Re: Bill Evans

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gypsy-tail-wind
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vorgartenwas flanagan bei enja angeht, würde ich jetzt persönlich widersprechen, aber das ist bei mir von lücken und subjektiven filtern bestimmt. ich kann mir pianisten, die in den siebziger jahren parker-kompositionen spielen, nur als isolierte klassizisten vorstellen, die fenster und türen schließen, sich eine pfeife anzünden und erinnerungsarbeit betreiben, im wissen, dass das natürlich noch einen wert hat. das hat für mich mit sowas wie RE: PERSON IN KNEW nicht viel zu tun (ohne das werten zu wollen, ich höre das nur komplett anders). flanagan schien mit ja auch schon viel wagemutiger als zu enja-zeiten, auch wenn ich das jetzt nicht konkret festmachen kann.

(und evans hat sicherlich auch immer viele türen und fenster verschlossen).

Der Unterschied ist für meine Ohren keiner der „Wagemutikgkeit“ … oder doch, vielleicht schon (und dann fällt er durchaus auch in meinen Augen zugunsten von Evans aus) … aber der Hauptunterschied ist, dass Evans keinen puren Bebop spielte, oder das nur selten tat. Dennoch …

vorgartenich glaube, hier müssten andere mal widersprechen, nail oder atom, aber bei evans höre ich was anderes als voicings oder einflüsse, ich höre da immer eine komplexe, in furchtbar viel widersprüchen begriffene persönlichkeit. kaum eine musik kann so kalt und gleichzeitig so warm sein, so starr und so elastisch, so zurückhaltend und autoritär.

Evans auf Voicings zu reduzieren käme mir nie in den Sinn, das wäre äusserst albern. Die Voicings sind ein Teil des Ganzen, den man bei technischer Betrachtungsweise gesondert betrachten kann. Natürlich tut man das an Jazzschulen, worauf ich mich ja bezog – nicht, dass ich das besonders toll oder unterstützungswürdig fände, aber manchmal schärft sowas durchaus den Blick.

Was Du sonst schreibst, diese Beobachtung über Wärme und Kälte: Ja! Das gehört gewiss zu dem, was die Faszination ausmacht. Neil Tesser endet seinen Textes über Evans im Booklet der ersten Ausgabe der Verve-Box treffend mit der Aussage, „in his art, Evans had no fear of revealing the man behind the beard.“

In diesem Sinne höre ich Evans durchaus aus grossen Sucher – aber im Gegensatz zu den ganz grossen Suchern tat er das eben nicht mit rundum geöffneten Fenstern, um bei Deinem Bild zu bleiben, sondern hatte quasi ein Territorium gefunden, auf dem er sich bewegte und das er beherrschte wie kein anderer.

vorgartenund was seine wichtigkeit für musiker angeht, denke ich natürlich an leute wie jarrett, mehldau, hersch, auch ein bisschen kikuchi, dann die vielen mediokeren in diesem bereich, aber dieser bereich ist von evans überhaupt erst scharfgestellt worden.

Und da müsste ich nun wieder widersprechen, aber eigentlich tat ich das ja oben schon … diesen Mythos von Bill Evans, dem Solitär, halte ich – ich wiederhole mich – für eine fahrlässige Verkürzung. Schon klar, dass er Legionen von Pianisten beeinflusst hat, aber Evans war nicht der Phönix aus der Asche, er bewegte sich in einem sehr realen Umfeld, in dem auch andere Pianisten tätig waren, er hörte wohl Tristano, natürlich Bud Powell und eine Unzahl anderer. Ich halte die Sichtweise einfach für verkürzt, was wiederum nicht den Einfluss Evans‘ mindern soll – bloss den Blick etwas ausweiten. Bloss weil nail (sorry, mein Lieber! ;-)) nie was von Al Haig oder Duke Jordan gehört hat, heisst das nicht, dass Evans seinem Spiel und dem vieler anderer (u.a. natürlich Wynton Kelly, sein grosser Konkurrent bei Miles) nicht aufmerksam gelauscht hat. (Und, das tut hier jetzt wohl nichts zur Sache, aber mich nähme Wunder, wessen Debussy-Aufnahmen Evans gelauscht hat … weiss dazu zufällig jemand etwas?)

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