Re: Andrew Hill

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vorgarten

Registriert seit: 07.10.2007

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ein paar gedanken zu hills zeitnah erschienenen blue-note-alben, jetzt mal inklusive PAX.

was ja erstmal auffällt, ist die stabilität seines spiels, ich könnte jetzt nicht festmachen, wo er mehr oder weniger inspiriert ist, mehr oder weniger ideen hat – das ist alles sofort identifizierbar und von gleicher dichte und freiheit.

wo ich jetzt schon unterschiede höre, ist bei den kompositionen, die entwickeln sich auch sehr in diesem zeitraum. BLACK FIRE hat schon (noch) ein paar catchy latin-motive, eingewebt in die sperrigen rhythmus- und harmoniewechsel – und die machen auch meiner ansicht nach (verbunden mit hendersons „anspringen“ darauf) die große qualität dieses albums aus. danach verkompliziert sich hills musik aber auch harmonisch – wobei ich nicht weiß, ob es wirklich ein „danach“ ist oder ob er und lion nicht für das blue-note-debüt erstmal die vergleichsweise eingängigeren stücke ausgewählt haben. und ich finde auch, dass diese verkomplizierungen manchmal zuweit gehen, den durch modale und noch freiere strukturen gerade erst geöffneten raum des jazz wieder dicht machen. SMOKESTACK ist am stück so, aber auch teile von DIALOGUE und ANDREW!!!, mit denen dann selbst so ein strukturierter saxofonist wie gilmore seine schweirigkeiten bekommt. den weg in die noch größere freiheit (wie auf DIALOGUE) finde ich aber im ergebnis noch weniger gelungen. ganz großartig dagegen, wenn hill ein paar schwebeelemente mit einbaut, hutchersons vibrafon auf JUGMENT oder davis‘ gestrichenen bass z.b. und wenn schließlich die latin- und afro-elemente wieder auftauchen, die überhaupt keine scheu vor dem populären haben („catta“ auf DIALOGUE, „rootn n‘ herbs“ auf PAX), schließlich – ein bisschen analog zur arkestra-entwicklung (und vorausschauend vielleicht auf das art ensemble) – als abstrakter dauer-loop in eigenlogik oder mit little instruments als happening-elemenent auftauchen (COMPULSION). ich bin sehr gespannt, wie das ab 1967 weitergeht.

was die einzelnen besetzungen angeht, ist das natürlich eine sache persönlicher vorlieben. so toll, schnell, geistesblitzend ich roy haynes finde, funktioniert er in hills musik nur bedingt, finde ich. elvin jones hat mit seinen schwereren grooves auch seine grenzen hier, aber darauf kommt hill tatsächlich gut klar (und mit hutcherson zusammen hört sich das einfach toll an). joe chambers scheint mir aber die totale idealbesetzung zu sein, da er einerseits jeden schlag isolieren kann, aber eben auch großartig gegenläufige kreuzrhythmische strukturen aufrechterhalten kann, insofern toll zu den afro-elementen auf COMPULSION passt). ersteres ist natürlich auch bei tony williams der fall, das funktioniert auch hervorragend.

richard davis finde ich ja immer grenzwertig, bei hill ist er aber überragend. wenn ich dann mc bee höre, finde ich ihn auch toll, aber eben anders. beide sind auf völlig unterschiedlichen arten perfekt auf chambers eingestellt (mc bee und chambers bei shorter: ETCETERA, zur erinnerung), wobei davis eben einen perfekten weg gefunden hat, die dichte in hills spiel als befreiung von begleitung und fundament zu nutzen.

schließlich die anderen solisten: dolphys so mühelos eingebrachte radikalität, hendersons struktur-soul, dorhams melancholische, im letzten ton von POINT O DEPARTURE fast brechende stimme, schließlich hubbard, den ich, wie gypsy, bei hill unvergleichlich toll finde – klischeefrei, leicht, wirklich modern, auch risikobereit (in „eris“ auf PAX löst sich die luft vom ton, sowas habe ich auch noch nicht gehört). klar, wunschkandidaten gäbe es schon noch andere – alan shorter z.b. oder marion brown, um noch mehr hills melancholie aufzugreifen… john gilmore dagegen finde ich nah an der idealbesetzung, fast scheint es mir, als wolle er auf seinem instrument grundsätzlich etwas ähnliches als hill, eine im eigensinn komplett logische phrasierung, zu jedem zeitpunkt völlig klar und trotzdem schroff in ihrer unbedingtheit und nur geringfügigen kommunikationsbereit. leider hat er auf ANDREW!!! tatsächlich das pech, ausgerechnet in den hill-kompositionen eingesetzt zu werden, die in ihren komplizierten akkordwechseln fast schon stillstehen. aber auch da gibt es ausnahmen und sofort ist die hölle los („le serpent qui danse“).

hier mit COMPULSION aufzuhören, das tatsächlich kultisch, vorjazzig und free zugleich ist, wirkt wie ein riesiges versprechen – das, wie ich befürchte, danach nicht mehr eingelöst wird.

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