Re: Andrew Hill

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gypsy-tail-wind
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Der Abstand zwischen Hills Sessions wurden etwas länger. Fanden die ersten fünf Sessions in einem Zeitraum von 18 Monaten statt, vergingen zwischen „Andrew!“, „Pax“ und „Compulsion“ jeweils acht Monate. Fünf Monate später war Hill mit Sam Rivers wieder im Studio. Begleitet wurden die beiden von einer Blue Note-atypischen Rhythmusgruppe: Walter Booker und J.C. Moses. Bassist Booker hatte zuvor schon auf ein paar Blue Note Sessions von Donald Byrd mitgewirkt, für Moses war das die einzige Blue Note Session überhaupt.
Hill hatte zum ersten mal im Vorjahr auf Bobby Hutchersons „Dialogue“ mit Rivers gespielt und anscheinend gefiel ihm die Zusammenarbeit sehr – das Quartett hätte laut Cuscunas Notes zum Mosaic Set zu einer working group werden sollen.
Die Aufnahme erhielt die Katalog-Nummer BST 84233 und hätte 1967 erschienen sollen, dazu kam es jedoch nicht. Erst 1975 erschien die Session gemeinsam mit einer unveröffentlichten Rivers-Session (ohne Mitwirkung von Hill) auf dem Doppel-Album „Involution“ (BN LA 453-2). Der Titel „Change“ stammt laut Cuscuna bereits von Alfred Lion:

Alfred liked it a great deal at the time and was thinking about calling it CHANGE. It was even given a catalog number 84233 and prepared for release“

~ Michael Cuscuna (March 1995), Liner Notes zu „The Complete Blue Note Andrew Hill Sessions (1963-66), p. 10

Ich habe diese Session in den letzten beiden Wochen mindestens sechs oder sieben Male gehört – und ausgerechnet heute gefällt sie mir ganz wunderbar, wobei ich sie sonst (auch am Wochenende noch) immer etwas verzettelt, unkonzentriert, mäandrierend fand. Bin wohl heute genau in der richtigen Stimmung (sie kriegt im Tages-Rating ****1/2 statt den ***1/2 aus dem Langzeit-Rating – dieses passe ich vorderhand nicht an).

Der lange Master Take von „Violence“ beginnt mit einem starken Solo von Rivers – völlig ohne vorgegebenen Rahmen, aber getrieben von Hills Akkorden, dem pulsierenden Bass Bookers und Moses‘ sehr freien aber auch sehr swingenden Rhythmen. Hill folgt mit einem tollen Solo, dann steigt Rivers wieder ein, ein Dialog mit Hill entsteht, in dem die Musik immer dichter wird. Booker folgt am Bass, zunächst nur von Moses begleitet, dann beginnt Hill, ihn zu begleiten, zunächst kurz auf dem Piano und dann auf dem Cembalo, während Moses sich abgesehen von einigen Akzenten und einem leisen Grundrauschen zurückzieht. Er folgt dann aber selber mit einem Solo, das von Hill und Rivers begleitet wird (von Booker wohl auch, aber der geht hier unter… überhaupt: eigentlich hatte er ja einen schönen Sound, aber der kommt hier leider nicht richtig zur Geltung).
Der kürzere Alternate Take war ursprünglich als Master vorgesehen. Hill eröffnet ihn vorderhand ohne Rivers und soliert als erster, Rivers, Booker (wieder mit Cembalo) und Moses folgen. Auch das eine schöne Performance, aber weniger dynamisch und dramatisch als der lange Take. Rivers zweites Solo hier ist sehr toll, ebenso Hills öffnendes Solo!
Es folgt die Rubato-Ballade „Hope“, von Rivers präsentiert (er beschränkt sich übrigens aufs Tenor, was durchaus gut kommt!) und von Hill sanft eingebettet. Für die Soli wechselt Moses in einen schnellen aber fein-swingenden 3/4, über dem Rivers ein tolles Solo spielt, das jedoch die balladeske Stimmung stellenweise völlig aufgibt, sehr vokale Qualitäten hat (ein wenig wie bei Dolphy). Hills Solo ist lyrischer, sehr schön. Dann folgt Booker, mit Bogen – und ein letztes Mal setzt Hill sich ans Cembalo, dann leitet Moses mit einem tollen kurzen Solo, unter dem Booker weiterstreicht, über zum Thema. Eine wunderschöne Performance!
„Illusion“ ist eine dieser typisch Hill’schen Singsang-Nummern: Hill repetiert unablässlich ein simples Motiv, das Booker dann übernimmt und zu einer ruckelnden Minimal-Basslinie macht, wie Richard Davis das so oft gemacht hat. Der Beginn des Themas im Rubato und mit gestrichenem Bass bricht die Musik allerdings kurzfristig auf, aber dann kündet Hill den Rhythmus wieder an. Hill soliert aus diesem Rhythmus hinaus, ein „kleines“ Solo mit rhythmischen Verschiebungen und abgehackten kurzen Motiven. Rivers übernimmt dann, auch er baut sein Solo aus kleinen Motiven aus, verzahnt sich mit dem Rhythmus von Booker – Hills Begleitung ist etwas freier, Moses spielt mit Trommeln und streut Rimshots ein und spielt dann selber ein schönes, Solo, das seinen freien, und spielerischen Umgang mit Swing und Groove verdeutlicht. Dann bricht der Rhythmus wieder auf für das Thema im Rubato.
„Pain“ klingt anfänglich eher fröhlich, eine swingendes lineares Thema, in dem die Rhythmusgruppe sehr kompakt wirkt und enorm swingt (Rivers setzt aus). Das Stück klingt ein wenig nach Monk und noch mehr nach Herbie Nichols, es besteht aus 7 Takten und wird wiederholt. Booker spielt das erste Solo, mittlerweile gelingt es Rudy Van Gelder auch, seinen schönen Sound gut einzufangen – ein ausführliches und sehr schönes Bass-Solo, das sich in der Stimmung wie Hills folgendes Piano-Solo perfekt einfügt – eine fast zu homogene Performance für dieses sonst so freie Album.
„Desire“ folgt wieder in zwei Takes, zuerst im kürzeren, der deswegen schliesslich doch zum Master Take wurde. Das Stück besteht aus einem 4-taktigen Thema im 5/4 Takt, Rivers soliert zweimal, dazwischen Hill. Bookers Lick klingt fast nach „Take Five“, aber Moses‘ freie Rhythmen und Hills dichte Akkorde lassen keine Zweifel daran, dass es sich hier um ganz andere Musik hält. Mit der Zeit beginnt Rivers, leicht orientalisch klingende Motive in seine Soli einzustreuen, mit Bookers Bass erinnert mich das dann ein wenig an die Musik, die Yusef Lateef fast ein Jahrzehnt davor gemacht hat. Rivers klingt hier wie in der ganzen Session leicht verhangen, ein klein wenig düster – sehr passend für Hills Musik, man kann sich jedenfalls denken, weshalb Hill gerne eine working group mit Rivers gehabt hätte – aber von meiner Seite bleiben Zweifel, ob Rivers auch für die komplexen Hill-Stücke geeignet gewesen wäre.
Das letzte Stück, „Lust“, wird wieder im Trio ohne Rivers gespielt. Es ist ein zärtliches, romantisches Stück – auch hier ist der Titel wieder eher eigenartig gewählt. Hill ist der einzige Solist in dieser Rubato-Ballade, er spielt ein lyrisches Solo, in dem alle seine Qualitäten zum tragen kommen, die eigenartigen Akkorde, die Rhythmik, die so spannende Mischung aus Improvisation und Komposition, aus Struktur und Freiheit, dann die aus Linien, Arpeggi und langen Tönen zusammengesetzten Soli, der schöne Ton, den er aus dem Instrument zaubert, der stellenweise kristallklare Anschlag… – und das ist ein wunderschöner und würdiger Abschluss der wohl grossartigsten Phase in Hills Werk.

Hier noch ein wunderbares Cover für dieses Album, das ein Freund gemacht hat lange vor die „Change“ Connoisseur CD erschienen ist:

(@redbeans: ich halte mich nun brav an den Albumtitel „Change“, da ich nun weiss, dass er von 1966 und von Alfred Lion stammt! ;-) )

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