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Anfang Januar 1964, genau zwei Monate nach seiner ersten Session für Blue Note, nahm Hill mit Judgment bereits das dritte Album fürs Label auf – und vielleicht das schönste!
Es erschien im September 1964 als zweites („Smokestack“ wurde ja wie erwähnt erst 1966 veröffentlicht) und präsentiert Hill erneut in einer Quartett-Formation, allerdings sind dieses Mal neben Richard Davis Bobby Hutcherson und Elvin Jones mit dabei.
Die Session beginnt mit einem ersten (alternate) Take des Titelstückes, das auf einer komplizierten Form beruht: zweimal A (10 Takte, in 4-4-2 unterteilt), dann ein 12-taktiger B-Teil – insgesamt also Standarlänge von 32 Takten, aber wie Bob Belden mal gesagt haben soll: „32 bars the hard way“. Elvin swingt von Beginn an, die Musik ist für Hills Verhältnisse recht hell und unbeschwert, was sich allerdings in seinem Solo dann stellenweise ändert. Auf sein langes Solo folgen kurze Soli von Jones und Hutcherson, wobei Jones von Davis begleitet wird. Der folgende Master Take klingt sehr viel lebendiger, gerade was Elvin Jones‘ Spiel betrifft – er taut richtig auf (soliert auch ohne Davis‘ Leitlinien) und lässt die Trommeln wirbeln, sein dichtes Spiel trifft genau den richtigen Nerv.
„Flea Flop“ besteht aus 18 Takten, in zwei Teile zu 9 Takten unterteilt. Davis‘ Solo mit Doppelgriffen ist besonders schön, die Atmosphäre insgesamt etwas düsterer als im ersten Stück.
„Siete Ocho“ ist vielleicht der grosse Klassiker des Albums, wie der Name schon sagt in schnellem 7/8 gespielt (Cuscuna schlägt als Zählhilfe 1-2-3-1-2-3-4 vor, ich würde eher sagen 1-2-3-1-2-3-1, weil das Stück über weite Strecken wie ein 6/8 mit einer angehängten Verschnaufpause funktioniert – zumindest empfinde ich Davis‘ Bass-Ostinato so. Hill und Hutcherson verschmelzen im Thema zu einem einzigen, enorm dichten Gewebe, das Jones auf eindrückliche Weise fortspinnt und ergänzt, während Davis den Boden liefert und die Musik verankert. Hutcherson spielt ein wunderbares Solo, gefolgt von Jones, Hill (mit Begleitung von Hutcherson) und Davis. Wohl das Highlight des Albums! Die Struktur des Stückes ist für einmal übrigens einfacher (dafür ist der Rhythmus schwierig genug!): A und B sind je 8 Takte lang, dann folgt ein 4-taktiger C-Teil.
Weiter geht’s mit einer Widmung an den Produzenten: „Alfred“. Der A-Teil besteht aus einem 4- und einem 2-taktigen Statement in Bb-Moll, der B-Teil repetiert die ersten vier in B-Moll und dann nochmal wieder in Bb-Moll und hängt dann eine 1-taktige Endung an. Das Thema ist sehr stimmungsvoll, Hill soliert über einen feinen Puls, mit Davis‘ freien Basslinien klingt das oft nach Rubato. Hutcherson begleitet einfühlsam, umspielt Hills langsame Linien. In seinem Solo nimmt Hill dann das Thema auseinander und setzt es wieder zusammen. Es folgt zum Ende Davis – aber in diesem Stück scheinen Solo und Begleitung zu verfliessen und das trägt ganz enorm zum besonderen Zauber bei – eine wunderschöne Einspielung!
Von „Yokada, Yokada“ wurden zwei Takes fertiggestellt – der Titel ist Hills Bezeichnung für sinnloses Gelaber… ein geschäftiges, dissonantes Thema in 12 Takten mit einem Drum-Break in Takten 8-10, letzten Endes aber – oh Überraschung! – ein konventioneller 12-taktiger Blues in Bb. Hills Soli sind faszinierend, wechseln zwischen rastanten Powell-ähnlichen Läufen und repetitiven, einfachen Motiven. Jones ist der einezige Solist neben Hill.
Auf „Reconciliation“ ist Hutcherson wieder prominent vertreten. Unisono präsentieren Hill und er das Thema, das aus 30 Takten besteht – der A-Teil ist 6-taktig, B 3-taktig, die Struktur AB/ABB/AB. Davis soliert als erster, von Hutcherson begleitet, derweil Jones mit den Besen swingt. Hill soliert als zweiter und am ausführlichsten, nach seinen drei eindrücklichen Durchgängen folgen Hutcherson und Jones (stets mit den Besen) mit je einem Chorus. Das Stück endet abrupt – die letze Note des Themas bleibt ungespielt.
Und mit diesem fehldenden Ende geht auch diese wunderbare Session zu Ende, die zu meinen allerliebsten Hill-, Hutcherson- und Blue Note-Aufnahem zählt!
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