Startseite › Foren › Über Bands, Solokünstler und Genres › Eine Frage des Stils › Über die Klasse der Klassik › Die 100 beliebtesten Sinfonien › Re: Die 100 beliebtesten Sinfonien
SatieeIch freue mich heute über Deinen Beitrag. Mein einstiger Zugang besonders zur SINFONIK geschah
Ende der 60er-Jahre pur autodidakt und hing mit der „Stereophonie“ zusammen. Ich war knapp 19 und
noch vollkommen unbedarft. Das ‚Primat der Musik‘, wie Du richtig sagst, fing mich zuerst emotional
ein. Anfänglich der 2. Satz Beethovens‘ 7-ter infolge einer damaligen Plattenschenkung zu einer
‚Veranstaltung‘. Erst als ich dann später erstmals auf ‚Mahler‘ aufmerksam wurde, interesssierte
mich der Hintergrund seiner Persönlichkeit. Damals (um 1971) gab’s grad neu eine rororo-Biographie
über ihn. Ausschlaggebend für mich blieb und bleibt seitdem dennoch mein ‚erster Eindruck‘ von seinem sinfonischem Werk.
Das teile ich insofern, als dass mich einst das „Poco Allegretto“ der Dritten von Brahms unvorbereitet erwischt hat und ich die Töne zutiefst emotional aufgesogen habe. Auch heute schauert’s mich bei einer guten Einspielung trotz des ausgelutschten Themas. Über Brahms habe ich seitdem einiges en passant gelesen, nicht weil mich die Person besonders interessiert, sondern weil man über ihn einfach viel liest.
Mahler hat mich dagegen bei meinen ersten Berührungen kalt gelassen. Irgendwann habe ich dann gedacht, dass es das nicht sein kann – und habe ein bißchen in seiner Biographie gewühlt, ohne mich -zugegebendermaßen darin zu vertiefen. Und siehe da, ich verstehe mittlerweile was an Mahler fasziniert, ich verstehe auch, was mich an ihm stört. Das hilft mir, nicht einfach zu sagen „Mahler gefällt mir nicht“, sondern zu differenzieren. Das hat alles mit Psychologie nur am Rande zu tun, aber doch gehört sie für mich dazu.
Ein anderes Beispiel wäre Alexander Zemlinsky, mein „Hausgeist“. Die Musik hatte sofort einen dermaßen emotionalen Impact auf mich, dass ich rasend alles zusammen suchte, was es auf dem Markt gab, gleichzeitig wollte ich aber auch wissen, was diesen Mann dazu veranlasste, so aufgekratzt, melancholisch und einfach emotional zu komponieren. Also auch hier wieder das bewusste Auseinandersetzen mit seiner Persönlichkeit um dieses in den Dienst der Musik zu stellen.
Ich entkopple dabei bewusst Emotion von Ratio, weiß aber beide für mich zu vernetzen.
Um das Ganze vielleicht noch von einer anderen Seite aufzudröseln. Neben Zemlinsky schätze ich die Musik jüdischer Komponisten wie Franz Schreker, Korngold oder auch Karl Weigl. Bei vielen hört man einfach die exisenzialistische Bedrohung durch die emotionale Kraft der Musik. Schreker bspw. hat seine Stelle durch Kollegen wie Max von Schillings verloren. Ich weiß darum, aber es verstellt mir nicht die Sicht auf das Werk, auf die Kraft der Musik an sich. Ich kann ihn oder Pfitzner genauso schätzen.
Ich könnte diesbezüglich noch viele Beispiele nennen, aber ich denke, es ist klar geworden, wie ich meine Herangehensweise verstehe.
SatieeGrad im Kontext zum ursächlichen Thread hier, interessiert und fasziniert mich die „Geschichte der Sinfonik“ innerst der Musikgesichte als gesonderte Form der „weltlichen Ausdrucksweise“ ausschließlich
ab Beethoven im 19.Jahrhundert. Im 20.Jahrhundert hielt sich diese ‚trad. Form‘ am Beispiel vor allem
Schostakowitsch’s selbst als indirekt bezwecktes ‚politisches Ausdrucksmittel‘. Den enormen Peinigungen, denen dieser Komponist ausgesetzt war, ist kaum mit ‚psychologisch/persönlichen‘
Analysen beizukommen, um sein ‚intellektuelles Werk‘ emotional anzuznehmen und sich seinem Werk erschliessen zu wollen. Ähnliches betr. Gorecki’s Werk, bzw. u.a. das des Alfred Schnittke.
Interessanterweise habe ich mit Shostakovich ähnliche Probleme wie Mahler, daher gilt eigentlich nahezu das Gleiche. Die Musik selbst liegt nicht mehr in meinem Kernrepertoire und es gibt einiges, was ich als kühl, technokratisch beschreiben würde, weshalb sie sich mir versagt. Aber auch hier hilft mir die Biographie, das erlebte Leid sehr, Shostakovich zu verstehen und nachzuvollziehen, was seine Musik transportiert. Noch einmal deutlicher: Diese Herangehensweise is für mich hilfreich, auch zu verstehen, was mir nicht gefällt. Gerade bei so wichtigen Komponisten.
SatieeSINFONIK bedeutet trad. in erster Linie ANHÖRAUFGABE an die von den Komponisten vorausgetzten
HÖRER. (Nicht etwa „auserkorene Konzertbesucher“ oder dergleichen Oberschichtenklientelen)
Ihre ‚universell zu verstehende Sprache‘ ist a ll e n „zum Anhören“ zur Verfügung gestellt gedacht.
Da gebe ich Dir uneingeschränkt Recht. Ein bißchen passt Adorno dazu, der gesagt hat: „Nichts gegen schöne Stellen in der Musik, aber man muss sie sich verdienen indem man das Vorher und Nachher klaglos und aufmerksam anhört.“ Das setzt voraus, dass ich mich dem Werk als solches voraussetzungsfrei widme. Daher suche ich stets nach Neuem, da es so vieles gibt. Und gerade in der klassischen Musik steckt so viel werthaltiges drinnen, dass es kaum ausreichend ist, etwas ad acta zu legen, was einem beim ersten Hören nicht gefällt.
SatieeUnverändert widerspricht zumindest mir daher eine 100-TOP-Liste dem bedeutenderen Sinn und Grund der
SINFONIK.
Das sowieso. Listen sind ja nur ein Abgleich des eigenen Geschmacksprofils mit der Konfomität anderer. Man freut sich, dass vieles bekanntes enthalten ist und profiliert sich über das Fehlende.
Dennoch sind solche Listen ein guter Konsens für Menschen, die davon ausgehen können, um Neuland zu entdecken, gleichzeitig damit aber eine Basis konformen Wissens haben.
SatieePS: O. Sacks‘ benannte Literatur behandelt ausschließlich extrem spezifische Vorkommnisse überdies aus
neurologischer Perspektive, und gesteht ja in seinen Recherchen ein, den ‚Phänomenen‘ nicht auf die Spur
gekommen zu sein.
Keine Widerrede meinerseits.
--
"There is a wealth of musical richness in the air if we will only pay attention." Grachan Moncur III