Re: Die 100 beliebtesten Sinfonien

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katharsis

Registriert seit: 05.11.2005

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Ich bin ein bißchen erstaunt, eine dergleiche Diskussion ausgelöst zu haben und wundere mich auch, was dahinter stecken mag. Dementsprechend war ich geneigt, ein wenig in der mir bekannten Literatur zu wühlen, um meine Behauptungen näher zu untermauern, habe das nun aber doch sein gelassen, da es ja hier nicht um eine wissenschaftliche Abhandlung gehen soll.
Zum Einen wollte ich durch meine „Diagnosen“ keinen Erklärungswert zum Verständnis von Mahler’s Musik per se beitragen. Das wäre einerseits dem Werk an sich, wie auch der Person nicht gerecht geworden. Natürlich gibt es in Mahler’s Biographie ausreichend Stoff, auf dem man ein einzigartiges Psychogramm hätte aufbauen können. So erlebte er durchaus im Kindesalter mehr oder weniger harte Traumatisierungen, die sich dann auch in seiner Musik wiederspiegeln – oder man sie vermeintlich herauszuhören vermag. Ebenso war sein Verhältnis zu Alma Mahler alles andere als frei und unbeschwert und ich würde behaupten wollen, dass deren Affären und Schwärmereien für Gropius, Zemlinsky, usw. durchaus Risse in Mahler’s Psyche hinterlassen haben.
Worauf ich ursprünglich hinaus wollte ist, dass ein Redigieren und Überarbeiten eigener Werke nicht unbedingt nur dem Beruf als Kapellmeister geschuldet sein muss – wie es hier auch geschrieben wurde; sondern durchaus eben auch die eigene Persönlichkeit dabei eine Rolle spielt. Mahler war, wenn es um Musik und deren Darbietung ging, sehr genau, ehrgeizig und arbeitsam – man könnte auch pedantisch dazu sagen. Dazu zählt durchaus auch, dass er bei der Einstudierung neuer Werke sehr exakt vorging und mehrmalige Durchgänge bis an die Belastungsgrenzen von Musikern und Sängern durchexerzierte. Felix Salten führte das ja auch in der Neuen Freien Press aus.
Dadurch wird einem Mahler’s Musik zwar nicht als Ganzes nähergebracht, aber ein Mensch, der nach Perfektion strebt, ist eben erst nach der ein oder anderen Revision zufrieden mit seinem Werk. Es mag andere Komponisten gegeben haben, die genauso wenig sonnige Gemüter waren, die aber mit dem Ende der Urfassung auch das gesamte Projekt aus den Händen gegeben und es nie wieder angefasst haben.
Ich finde im Übrigen durchaus, dass solche psychologischen Konstrukte einen Erklärungswert haben. Schostakovich hat schließlich auch existentielle Bedrohungen in seinem Leben erfahren, die in seiner Musik zu hören sind, wenn man darauf achtet. Mahler’s häufig kontrastierend eingesetze Ländler-Themen lassen sich auch besser verstehen, wenn man sein Dissoziations-ähnliches wandeln hinter einem Leierkastenmann kennt. Interessant ist bspw. auch, sich Schumann’s Schaffensphasen in Einklang mit seinen manischen Episoden anzusehen. Es gibt gerade in der klassischen Musik unzählige Beispiele, bei denen solche Konstrukte bestimmte Facetten erhellen oder sie zumindest unter einem anderen Licht betrachten lassen.
Dennoch halte ich es da auch mit Karl Kraus und warne ausdrücklich davor, mögliche psychopathologische Bezüge gegen das Schaffenswerk des Komponisten zu verwenden; waren diese doch meist Antrieb!
Im Umkehrschluss bedeutet das nichts anderes, als dass Mahler’s Persönlichkeit im Wesentlichen dazu beitrug, die Musik zu schaffen, die er hinterlassen hat. Allen Widerständen zum Trotz.
Bezüglich der Zwangsstörung, welche ich ebenso genannte habe, gibt es immerhin überlieferte Berichte von Sigmund Freud, welcher Mahler zumindest als einziger Psychiater für gewisse Zeit hat sehen können. Entsprechend diesen Berichts würde man in der heutigen Nomenklatur zudem von einer zwanghaften Persönlichkeitsstörung ausgehen.

Herzlichen Dank übrigens auch für die Einladung in das entsprechende Forum. Mahler ist zweifelsfrei ein interessanter Mensch, allerdings habe ich mich bislang noch zu wenig mit ihm beschäftigt, um eine Bereicherung für das Forum darzustellen. Ich werde aber gerne meine Freundin darauf aufmerksam machen, die über Mahler ihren Magister gemacht hat.

Noch ein Hinweis: C.S. Mahrendorff, Autor und Musikwissenschaftler, hat eine sehr lohnenswerte Trilogie geschrieben, in deren Zentrum ein junger Psychoanalytiker und immer wieder Gustav Mahler stehen.

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"There is a wealth of musical richness in the air if we will only pay attention." Grachan Moncur III