Re: Kriterien der Jazzkritik

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katharsis

Registriert seit: 05.11.2005

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otisad 1: Wieso Schwachpunkte? Schumanns Violinkonzert, welches ich sehr liebe, war jahrelang mehr oder minder verpönt, aus einem elitären Blickwinkel heraus. Seine Arrangements, sprich die Instrumentierung seiner Sinfonien, wurde ebenfalls immer leicht bespöttelt. Solcherart Kritik kam immer aus der Perspektive des Maßes an Künstlichkeit und kompositorischem Könnertum, weniger aus einer ästhetischen. Einzig fallen mir in dieser Hinsicht Komponisten aus der ersten Hälfte des 19.Jhdts. ein, die damals hoch gerühmt in der Folgezeit deutlichst verloren haben (Meyerbeer etc.)
ad 2: Mir ist sehr wohl bewusst, dass über den Bolero diskutiert wird, ich weiß auch um seine „inneren Werte“, kann dieser, wenn auch kunstvollen, in meinen Augen aber billigen „Verzauberung“sästhetik nichts abgewinnen.

Der Punkt mit Schumann’s Symphonien ist sehr treffend, da ich da eigentlich von meinem Punkt abweichen muss. Wenn ich die Symphonien in ihrer eigentlichen Fassung höre, dann habe ich daran nichts auszusetzen, allerdings sind es nicht gerade die spannendsten Werke, die ich kenne. In der Mahler’schen Bearbeitung kommt dann aber unheimlich viel Dynamik und auch Dramatik hinein, dass ich diese Version der originären Fassung absolut vorziehe.
Das trifft nun den Punkt der Kritik. Ist es gerechtfertigt, Schumann bzw. seine Werke zu kritisieren? Eigentlich ja, aber nur von einer Position aus, die einem eine fundierte Kritik ermöglicht. Und das ist vielleicht das wichtigste an einer Kritik, sie sollte nie von obenherab und einseitig destruktiv sein. Vielmehr sollte sie Schwachpunkte gegen Vorteile abwägen und das unter Ausdruck ausreichender Kenntnis. Wenn nun ein beliebiger Kritiker ein Werk zerreisst, dann sollte er von seinem Wissen, von seinem Kenntnisstand dazu in der Lage sein. Ansonsten ist so eine Kritik absolut ungerecht.
In der klassischen Musik habe ich eben meine Probleme damit, wenn ein Journalist eine ganze Symphonie oder gar Oper zerreisst, weil angeblich keine Dramatik zu finde ist und das Libretto nichts taugt, demgegenüber aber die Arbeit, die Technik und das Wissen dahinter nicht sieht.

Da ist mir eine Interpretationskritik noch lieber, da man hier eher subjektiv vorgehen und bestimmte Parameter anlegen kann. Werkgetreue, Rubati, Taktgenauigkeit, usw. Das kann man bewusst wahrnehmen, näher analysieren und kritisieren.
Bzgl. des Boleros ist das möglicherweise ähnlich gelagert. Kein Zweifel, das Werk muss man nicht mögen, aber vielleicht klingt die Interpretation von Philippe Jordan besser als die von Ansermet? Der eine dirigiert vielleicht träumerischer und mehr auf Effekt, der andere straffer und rhythmisch akzentuierter.

Im Jazz ist es ja nicht anders. Möglicherweise langweilt einen „Autumn Leaves“. Aber es kann einen großen Unterschied ausmachen, wer es spielt.
Und da nutzt es rein gar nichts, den Titel an sich zu kritisieren.

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"There is a wealth of musical richness in the air if we will only pay attention." Grachan Moncur III