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otisIn Klassik und Jazz beobachte ich solche grundlegenden ästhetischen Ablehnungen nicht, wenn überhaupt, sehe ich sie dort politisch motiviert (z.B. Wagner) evtl. noch ansatzweise ästhetisch grundiert, aber nur sehr schwach (Rachmaninow).
Mich erstaunt also diese Einigkeit innerhalb der Klassik- und Jazzkritik (gebe zu, nicht wirklich tiefen Einblick bzgl. Jazz zu haben).
In der Klassik wird selten das Werk als solches hinterfragt oder gar der Komponist in seiner ästhetischen Bedingtheit, sondern am ehesten die Interpretation. Ein Bolero von Ravel wird kritiklos hingenommen, obwohl er im Grunde doch ein reiner Schmarren ist (klar, kann man über eine solche Aussage streiten, aber genau das meine ich ja, man tut es nicht).
Politisch motivierte Ablehnung von Wagner kann ich nachvollziehen, auch wenn ich der Meinung bin, dass bis zu einem gewissen Grad der Urheber vom Werk zu trennen ist, wenn es um eine rein analytische Betrachtung geht. Ansonsten fallen Komponisten wie Pfitzner oder von Schillings fast komplett raus und das wäre musikalisch gesehen schade. Warum aber Rachmaninov aus ästhetischen Gründen – wenn auch schwach – abgelehnt wird, hätte ich gerne näher begründet.
Ich finde es durchaus in Ordnung, wenn das Werk eines Komponisten nicht grundsätzlich kritisiert wird. Das hängt vor allem damit zusammen, dass egal wie, eine Leistung dahintersteht, die in der heutigen Zeit nicht adäquat bewertet werden kann. Das führt dann auch zu unsinnigen Einteilungen in Kleinmeister und Großmeister. Vielleicht ist auch eine einfache sachlich begründete, musikologische Kritik nicht möglich, weil auch gar nicht gewollt. Darüber hinaus halte ich es für wenig zielführend, eine Symphonie, ein Streichquartett, etc. im Grundsatz zu kritisieren. Mit einer Angabe der subjektiven kompositorischen Schwachpunkte, evtl. Harmlosigkeiten, harmonischen Unstimmigkeiten kann ich leben.
Weiters muss man sehen, dass in der klassischen Musik der Schwerpunkt insofern auf einer Kritik der Interpretation liegt, da ein Dirigent, ein Orchester nach der Partiturtreue oder auch der Herausarbeitung neuer Facetten bemessen werden muss. Eine Kritik von Beethovens Neunter oder Mozart’s Haffner an sich wäre wenig sinnvoll und auf Dauer auch arg langweilig.
Im Jazz gibt es zwar auch Gassenhauer, aber bei weitem kein derartiges Herumreiten auf den immer gleichen Schlachtrössern – erst recht nicht in deren epischer Breite.
Mit Deinem letzten Satz triffst Du – allerdings wohl un-bewusst – einen Kern musikwissenschaftlicher Diskurse. Natürlich wird über Ravels Thema mit ewiger Variation diskutiert, allerdings dann nur in Fachkreisen. Was bringt auch eine Auseinandersetzung in Form einer Rezension? Entweder man mag das Stück, oder man mag es nicht. Und trotz seiner einfachen Struktur kann der „Bolero“ verzaubern, besonders wenn man genau auf die sich entwickelnden Variationen achtet…
Ein allgemeiner Satz vielleicht noch: Das was mich an Musikkritik und insbesondere an Musikkritikern stört ist, dass sie sich über die Dinge heben. Mit welchem Recht und welche Kompetenz kann man denn ein Stück, oder gar ein ganzes Werk kritisieren und vernichten?! Ein bißchen mehr Respekt und subjektive Argumentation wäre zuweilen angebracht!
gypsy tail winddie Dave Burns Serie über den „Jazz“ –
Ken Burns
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"There is a wealth of musical richness in the air if we will only pay attention." Grachan Moncur III