Re: Das Vibraphon im Jazz

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katharsis

Registriert seit: 05.11.2005

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Ein guter Thread über ein Instrument, welches ich sehr schätze. Besonders aufmerksam wurde ich auf das Vibraphon durch den Einbezug Bobby Hutchersons auf einigen überdurchschnittlichen Sessions für Blue Note und gerade Stücke wie das grandiose „Catta“ haben nicht zuletzt wegen des Vibraphons eine besondere Bedeutung für mich.
Auch wenn es um Jazz geht bin ich sehr auf den „klingenden“ Klang eines Instruments fixiert, weswegen ich eigentlich immer ein Klavier als Naht- und Angelpunkt einer Aufnahme benötige. Das Vibraphon kommt dem schon sehr nahe, weshalb es mir in ähnlicher Weise sehr gut gefällt und ich darüber hinaus beide Instrumente in Kombination einfach mag.
Interessant finde ich auch, wie vielseitig man das Vibraphon spielen kann und wie man doch die jeweilige Tradition des Spielers dahinter zu hören vermag.
Dennoch würde ich mich sehr über die Ausführungen eines technisch versierten begeistern, worin denn nun die klanglichen und spielerischen Unterschiede zwischen Pike, Hutcherson, Dickerson, u.a. wirklich liegen.

Rein vom Gefühl her haben Hutcherson und Dickerson bei mir die Nase vorn, da ich einfach am meisten von den beiden kenne.
Dickerson sehe ich ähnlich wie gypsy tail wind, „To my Queen“ ist einfach ein faszinierendes Album, das – auch wenn es nur drei Stücke hat – eine tolle Bandbreite bietet, vom hart swingenden Bop, bis hin zu fast schon neoklassizistischen Klangexperimenten. Auf der anderen Seite schätze ich die Aufnahmen mit Austin Crowe sehr, der in meinen Augen wohl ein unterrepräsentierter lyrisch versierter Pianist gewesen ist. Besternungen kann ich aus dem Stegreif nicht vornehmen, da mir „Relativity“ noch zu unbekannt ist und die beiden anderen ad hoc auf einer Stufe stehen.

Bei Hutcherson ist es allerdings anders gewesen, da ich „Dialogue“ als erstes kennengelernt habe. Wie oben schon erwähnt, ist „Catta“ eines meiner liebsten Stücke überhaupt, weshalb dessen Glanz auf das ganze Album abfärbt. Trotzdem ist die Session unglaublich faszinierend und genießt bei mir einen ähnlichen Stellenwert wie „Out to lunch“ oder „Idle Moments“, die den selben Vibraphonisten teilen. Toll finde ich, wie die unterschiedlichsten Einflüsse zu einem Klangteppich verwoben werden, der zum damaligen Zeitpunkt einfach nur neu und anders geklungen haben dürfte. Ich mag diese dunkle, aber funkelnde und elegante Struktur der Musik; das taktisch klug Komponierte, was wiederum durch Hubbard’s direkte Musikalität wieder aufgelockert wird und von Rivers immer weiter zusammengenäht wird. Das Tolle ist diese irgendwie dann doch absolut lose Strukturiertheit, die sich zugleich unheimlich dicht präsentiert.
Die danach aufgenommenen Sessions schätze ich auch, allerdings wurde mir diese Intensität nicht mehr so spürbar. „Components“ kommt dem sehr nahe. Trotzdem kann ich die Musik weniger greifen. Auf der einen Seite wirkt sie expressiver, forschender und gewagter, andererseits irgendwie auch wieder konventioneller, schematischer. Hubbard und Spaulding (den ich sehr mag) passen einfach wunderbar zusammen, wirken dadurch aber auch „bekannter“ als Hubbard mit Rivers – wenngleich es da ja auch Berührungspunkte gibt.
Bemerkenswert ist, dass Hutcherson sich emanzipierter zeigt – er trägt immerhin die Hälfte der Kompositionen bei und ist deutlicher im Vordergrund zu hören. Insgesamt fällt mir auf, dass Alben von Hutcherson sehr von Gegensätzen und Spannungen leben, expressiv und kontemplativ zugleich. Chambers trägt sehr viel zum Gelingen der Musik bei und hält die Musik pulsierend, treibend. „Happenings“ ist ein weiteres, tolles Album, welches für mich aber eher zu Gunsten (oder zu Ungunsten) Hancock’s ausfällt. Die Band ist gewöhnlicher und Hutcherson stellt nahezu das komplette Material. Hier fehlt mir ein bißchen die Spannung, die die beiden Vorgänger ausmachte, das ruhige Element tritt mehr in den Vordergrund und die Stücke sind weniger komplex. Vielleicht liegt es irgendwie auch am Fehlen eines Bläsers, wenngleich das natürlich kein Kompliment für Hutch ist – obwohl Hancock weit mehr im Vordergrund steht. „Bouquet“ ist allerdings eine sehr schöne, fast fein ziselierte Miniatur! „Happenings“ besitzt jedoch eines der schönsten Blue Note Cover.
„Oblique“ mit der nahezu identischen Band habe ich wieder faszinierender in Erinnerung, was an der prominenteren Rolle von Chambers liegen könnte.
„Stick-up“ führt trotz Henderson und McCoy ein Schattendasein bei mir und befindet sich schon seit langem auf dem Hören-Stapel.
„Spiral“ habe ich so gut wie gar nicht repräsentiert und als ich eben nachgesehen habe, war ich sehr überrascht, dass Harold Land vertreten ist.
„Patterns“, das letzte Album, das ich kenne, fand ich immer sehr gewöhnungsbedürftig und im Gegensatz zu den anderen Einspielungen hat sich mir das Album erst später erschlossen. Irgendwie weicht die Musik von den anderen Sessions ab, was darin begründet ist, dass Chambers von seinem ansonsten gewohnten Stil abweicht und irgendwie abstrakte aber an schönen Melodien gebundene Musik komponiert hat. Spaulding gefällt mir hier sehr gut – die Flöte passt toll – und man kann sich fast die Freiheit einbilden, die er genoss, ohne dass Hubbard ihm im Nacken saß. Insgesamt beinahe ein Showcase speziell für Spaulding, der gerade zu jener Zeit zu wenig Aufmerksamkeit genoss.

Dave Pike kenne ich nahezu von nur zwei Alben, „It’s time…“ sowie „Pike’s Peak“. Der Vergleich ist unfair, aber Pike hat nicht die Raffinesse von Dickerson und nicht das Umfeld von Hutcherson, weswegen seine LPs melodisch sauber und durchaus sehr gut sind, aber nie über das „Normale“ hinaus gehen. „Pike’s Peak“, eine Session mit Bill Evans wird mir zudem durch sein ständiges Mitgesumme verleidet. Ab und an ist das sehr spaßig zu hören, der Musik tut es dann aber doch irgendwann weniger gut….Vibraphonisten!

Demnächst muss ich mal nach Winchester, Teddy Charles, u.a. anderen suchen, um ein bißchen mehr schreiben zu können.

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"There is a wealth of musical richness in the air if we will only pay attention." Grachan Moncur III