Re: Clark Terry

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gypsy-tail-wind
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redbeansandrice@gypsy: nach dem was hier in den letzten Tagen vorgefallen ist, hatte ich nicht wirklich erwartet, dich überzeugen zu können – ich gehör halt nicht zu den Leuten, die sich Musik, die sie nicht mögen immer wieder anhören, um ihre Kritik eloquent formulieren zu können, ich hab sechs Terry Alben (nicht wenig), und auf allen gibt es so Momente, wo sich glasklar ein in meinen Ohren mieser Geschmack manifestiert – und mir verleidet sowas in der Regel dann auch den Rest des Albums…

Ja, da werden wir uns wohl nicht mehr einig… bei mir ist schon die Neugierde da, ab und zu mal wieder was auszuprobieren, dass ich nicht besonders mochte… die ganzen Alben von Clark Terry, die ich hier kurz besprochen habe, haben sich über die letzen wohl 10-12 Jahre angesammelt – ich kauf ja bekanntlich eh dauernd viel zu viel, manches davon eben auch, um es später mal schätzen zu lernen… (schöne Rechtfertigung… die käm bei meiner Freundin allerdings nicht an ;-) )

redbeansandricein Sachen Verlust der Vielfalt: wenn ich so Instrument für Instrument durchgeh, dann kann ich deiner These jetzt doch nicht mehr so richtig folgen:

– Tenorsaxophon: hier hör ich in den frühen Jahren einen Haufen Leute, die genauso nah an Hawkins waren, wie zB Sonny Criss und Eric Dolphy an Charlie Parker, wenn nicht näher – und dazu Lester Young… die Zeit der großen Vielfalt beginnt für mich Mitte der vierziger, als den Tenoristen des frühen modernen Jazz drei wichtige Vorbilder zur Verfügung standen, Hawkins, Young und Parker, die sich alle drei bestens dazu eigneten im modernen Jazz weiterentwickelt und vermengt zu werden… die meisten wichtigen Tenoristen der 50er kamen ja noch aus dieser Zeit, ab dann wird es ein bißchen weniger… drastisch aber erst seit den 70ern…

– Trompete: hier fällt es mir schwerer einen roten Faden zu sehen – ich find die stilistische Vielfalt der Jazztrompete in den 50er Jahren jedenfalls beachtlich und hab bewusst nie ein mehr an Vielfalt in früherer Zeit wahrgenommen…

– Altsaxophon; ok, hier passt deine Theorie besser, ich hör in der Mitte Charlie Parker, davor ein Haufen Leute, die sich relativ stark unterscheiden, aber auch einfach für sich genommen nicht so richtig großartig sind (großartig wie Konitz, Criss, Dolphy, Pepper – wieviele Altisten auf dem Level gab es vor Parker, drei?), und dann ganz klar Parker als Haupteinfluss, wenn auch in zum Teil in beachtlichen Variationen

– Klavier: hier scheint mir deine These am besten zu passen, der dumme Rest floss von einer vergleichsweisen Vielfalt in die Bud Powell und dann in die McCoy Tyner Schule (nicht, dass ein einzelner Musiker diese Entwicklung durchlaufen hätte – nur, dass ein zufällig herausgegriffener Pianist in den 50er Jahren wie Powell klang und in den 70er Jahren wie Tyner)… hier gab es allerdings stärker als auf anderen Instrumenten immer wieder bemerkenswert individualistische Einzelmusiker, weswegen man wohl wirklich viel Überblick braucht, um die These hart zu kriegen…

– zu tiefem Blech, Bass und Schlagzeug kann ich mich nicht kompetent äußern, die Entwicklung der Gitarre scheint mir vergleichsweise linear gewesen zu sein, da gab es stilistische Vielfalt erst ab Ende der 60er Jahre, und dann auf Kosten des guten Geschmacks (verkürzt gesagt)

Tenorsax: da gehe ich mit Dir überein, die grösste Vielfalt bestand wohl in den Jahren, vor Rollins (1956) und Coltrane (ab 1957 wohl, bei Miles 1956 war er ja noch keineswegs auf dem Niveau, das Rollins schon erreicht hatte) sich endgültig durchsetzten… Thompson, Gray, Eager, Getz, Griffin, Golson, Lateef, Heath, Shorter, Turrentine, Ervin… so bis 1960 oder so war da wirklich die Hölle los!

Trompete: da würd ich dagegenhalten: Bunny Berigan, Bix Beiderbecke, Armstrong, Henry „Red“ Allen, Bubber Miley, Roy Eldridge, Sweets Edison, Buck Clayton, Hot Lips Page, Charlie Shavers, Wild Bill Davison, Muggsy Spanier, Rex Stewart, Cootie Williams, Ray Nance… aber das muss am Ende wohl jeder für sich entscheiden!

Beim Altsax und Klavier sind wir uns einigermassen einig…

Schlagzeug: auch da… Sonny Greer, Sid Catlett, Cozy Cole, Gene Krupa, George Wettling, Jo Jones, Shadow Wilson, Chick Webb, Dave Tough, Zutty Singleton, Baby Dodds… danach gab’s Klook, Roach, Haynes, Blakey… und klar später wieder mehr, Philly Joe, Pete LaRoca, Elvin, Persip, Heath, Taylor – vielleicht ist meine Behauptung hier nicht haltbar, aber das kann ich ehrlich gesagt nicht wirklich beurteilen, dazu müsste ich mich mal besonders vertiefen.

Die Gitarre ist klar, die explodiert gewissermassen mit Charlie Christian, und damit fängt ja auf dem Instrument auch der moderne Jazz an.
Beim Bass ist es wohl auch klar… da kam mit Mingus und Pettiford (aufbauend auf Jimmy Blanton) der erste Schritt zur Emanzipation des Instrumentes, mit Leuten wie Scott LaFaro, Richard Davis oder David Izenzon wurde sie dann nochmal wesentlich weitergetrieben, ganz zu schwiegen etwa von Barry Guy… das ist vielleicht der seltene Fall, wo nicht schon in den 60ern „alles gesagt“ worden ist (gilt auch für die Gitarre mit Derek Bailey).

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